Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Kinder können einem manchmal ganz schön auf die Nerven gehen. Benny zum Beispiel. Er war 12 als er zum ersten Mal in unsere Jugendgruppe kam und er benahm sich von Anfang an unmöglich. Er legte sich mit allen an. Klar, dass niemand neben ihm sitzen oder etwas mit ihm zu tun haben wollte.

Eines Tages ist er dann mal wieder ausgerastet, sprang mit seinen dreckigen Schuhen von Stuhl zu Stuhl, brachte alles durcheinander. Ich habe ihn erst mal nach draußen befördert, war dabei auf Hundertachtzig und zu allem bereit. Er hätte nur ein Wort sagen müssen, dann hätte ich ihm mal so richtig die Leviten gelesen. Aber Benny hat gar nichts gesagt, war ganz ruhig. Da habe ich auf einmal verstanden: Genau das war er von zuhause gewohnt. Was jetzt kommen würde, war sein Alltag. Auf einmal sah ich Benny mit anderen Augen – und dann habe ich ihn einfach in den Arm genommen. Das war er nicht gewohnt.

Ich weiß nicht, wie lange wir da draußen vor der Tür gestanden haben. Aber da ist etwas zwischen uns beiden passiert. Ich habe auf einmal angefangen, in Benny einen Jungen zu entdecken, der meine Liebe und Zuwendung wie ein trockener Schwamm aufgesaugt hat. Später hat mir noch von seinen drei kleinen Geschwistern erzählt, für die er oft alleine sorgen musste – mit gerade mal 12 Jahren! Seine raue Art war wie so eine Art Panzer für ihn. Vielleicht wollte er auch einfach erreichen, dass man sich mit ihm beschäftigen musste?

Albert Schweizer hat einmal gesagt: „Viel Kälte ist zwischen den Menschen, weil wir es nicht wagen, uns so herzlich zu geben, wie wir sind.“ Bei Benny war es nicht nur Kälte, es war geradezu ein Eispanzer, mit dem hat er sich geschützt hat – auch, weil er Angst hatte, verletzt zu werden.

Ich hatte hinter seinen Panzer gesehen und den liebenswerten Jungen dahinter entdeckt. Wenn er jetzt mal wieder auf „starker Kerl“ machte, dann konnte ich gar nicht mehr so sauer sein. Immer öfters habe ich ihm dann eine Aufgabe geben, zum Beispiel den anderen in der Gruppe zu helfen, wenn er es besser konnten. Und je öfters ich ihn so wertgeschätzt habe, umso mehr veränderte sich Benny. Im Laufe der nächsten zwei Jahre habe ich erlebt, wie aus einem nervenraubenden Quertreiber ein echt freundlicher und sympathischer Junge wurde. Für mich ist das ein echtes Wunder.

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