SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Heute ist der Gedenktag von zwei Menschen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben: die heilige Cäcilia und John F. Kennedy. Cäcilia ist die Patronin der Kirchenmusik.   Wenn ich in Rom bin, besuche ich ihre Kirche im Stadtviertel Trastevere. Die Kirche ist nicht imposant, eher bescheiden. Aber es gibt in ihr eine liegende Marmorstatue der Cäcilia, die mich jedes Mal in Bann zieht. Der italienische Künstler Stefano Maderna hat sie 1599 geschaffen. Ich habe gelesen, Maderna hätte sie aus Marmor so geformt, wie man ihren Leichnam vorfand, als man ihr Grab in den Katakomben öffnete. Dann hat man sie in jene Kirche überführt, die bis heute ihren Namen trägt.

Was mich an dieser Gestalt fasziniert: ich sehe die Schnittwunde des Schwertes an ihrem Hals und frage mich: Wie war ihr wohl zumute, als sie das Schwert sah, das ihr irdisches Leben beendet hat? Eine junge Frau wie sie, die eigentlich das Leben noch vor sich hat. Dann ist da ihre linke Hand. Mir scheint, die Finger sind wie zum Schwur erhoben. Will sie mir sagen: Ich bin treu gegenüber Christus  – bist du es auch? Ich merke, wie sie mich fragt, ob ich meinen Glauben überzeugend lebe oder nicht.

Cäcilia ist zusammen mit ihrem Verlobten und dessen Bruder enthauptet worden, weil sie sich geweigert hatten, den Göttern zu opfern. In unserer Zeit, in der Menschen auch wegen Ihres Glaubens umgebracht werden, spüre ich die Nähe zu diesen frühchristlichen Märtyrern. Heute sind es nicht mehr römische Cäsaren, die wüten, sondern fanatische Gotteskrieger, wie sie sich nennen. Sie meinen, Gott einen Dienst zu tun. Furchtbar! Ich denke an die schrecklichen Attentate in Paris. Religiöser Fanatismus ist immer schlimm, egal in  welchem Namen Gottes!

Wie schön dagegen, wenn Menschen die Patronin der Kirchenmusik praktisch erfahren, wenn sie nämlich miteinander singen. Jeder bringt sich ein,  keiner muss Solist sein. Es herrscht kein Egoismus, wo einer aus dem Chor herausfällt, sondern ein Miteinander. Das ergibt dann einen schönen Klang.

Das habe ich schon als Kind erfahren. Als ich Klavier spielen lernte, hat mich meine Klavierlehrerin nicht nur mit Sonaten von Mozart und Beethoven vertraut gemacht, sondern auch mit Fugen von Johann Sebastian Bach. Da hab ich etwas gelernt, was für mich im Leben wichtig geworden ist:  In der Fuge ist jede Stimme gleichberechtigt. Es gibt nicht eine Hauptstimme und alle anderen sind bloß Nebenstimmen. Nein, jede Stimme ist bedeutend! Dennoch klingt es erst dann gut, wenn nicht nur eine Stimme erklingt, sondern alle drei oder vier. Keine Diktatur eines Einzelnen! Alle sind gleichberechtigt und wichtig.

Das ist für mich auch ein Bild für die Demokratie, in der wir leben. Sie war dem wichtig, an den ich heute neben Cäcilia auch denke:  John F. Kennedy, dem amerikanischen Präsidenten.

 Teil 2 

Heute ist nicht nur der Gedenktag der heiligen Cäcilia, der Patronin der Kirchenmusik, sondern auch der Tag der Ermordung von John F. Kennedy 1963. Ich kann mich an jenen Abend noch gut erinnern. Ich hatte mit dem Waiblinger Kirchenchor Probe, und wir wollten anschließend noch Cäcilia, unsere Patronin, feiern. Da brachte jemand mitten in die Probe hinein die Nachricht,  Kennedy sei erschossen worden. Wir waren wie gelähmt. Dieser sympathische Präsident hatte so viel Hoffnung in uns geweckt. Gerade war die Kubakrise mit Chruschtschow ausgestanden, die damals die Gefahr eines dritten Weltkrieges heraufbeschworen hatte.

Ein Wort von ihm, das mich damals sehr geprägt hat, ist:  Zivilcourage! Mut zeigen und eintreten für das, was mir wichtig ist, auch wenn die andern nicht applaudieren. Mich beeindruckt, dass Kennedys Bruder Robert erzählt: „Obwohl er, John, viel krank war und schmerzliche Operationen durchstehen musste, hörte ich ihn nie klagen. Stattdessen hat er für das Wohl seiner Mitmenschen gekämpft und sie eingeladen, Zivilcourage zu zeigen.“ Ja, Kennedy war überzeugt davon, wie wichtig jeder Einzelne ist, damit eine Demokratie gelingt. Ich hab damals als junger Mensch gespürt, dass es sich lohnt, mutig zu sein. Denn davon war Kennedy überzeugt: es braucht Mut, seinem Gewissen treu zu bleiben.

Ich möchte Kennedy nicht verklären. Er hat auch seine Fehler gehabt wie wir alle. Aber er hat deutlich gemacht, dass wahre Demokratie nicht bloß um Wählerstimmen buhlt, sondern sich mit den andern einsetzt für das Wohl der Menschen. Der wahre Demokrat weicht dabei nicht dem Druck der öffentlichen Meinung oder verrät sein Gewissen. Er ist standhaft und widersteht den Verlockungen falscher Freunde.

Am Tag seiner Ermordung hat Kennedy frühmorgens mit einem Kloster telefoniert und gefragt, um welche Uhrzeit die Schwestern Messe feiern. Er wolle daran teilnehmen, denn er habe einen schweren Tag vor sich. So hat er sich Kraft geholt aus der Feier des Gottesdienstes in der Gemeinschaft. Sicher hat er dabei gespürt, dass diese Gemeinschaft ihn trägt.

Vor kurzem hab ich in Bietigheim eine Religionslehrerin im Unterricht vertreten. Immer wenn ich aus der Realschule herausgekommen bin, sah ich an der gegenüberliegenden Hauswand einen Spruch von Kennedy angeschrieben: „Wann, wenn nicht jetzt. Wo, wenn nicht hier. Wer, wenn nicht wir.“ So zeigt sich Zivilcourage – und die wünsche ich uns allen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20926
weiterlesen...