Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Das kommt vom Wachsen!“ hat meine Mutter früher gesagt, wenn mir als Kind scheinbar ohne Grund nächtelang die Beine wehgetan haben. Das hat mich getröstet, weil es ja anscheinend für etwas gut war, dass es wehtat. Damals war ich nicht ganz sicher, ob das auch wirklich stimmt und sie mich nicht vielleicht nur vertrösten will. Aber gut getan hat es trotzdem. Inzwischen weiß ich: Es gibt sie wirklich die Wachstumsschmerzen bei Kindern. Und ich weiß noch mehr: es gibt Wachstumsschmerzen auch innerlich, an der Seele gewissermaßen, und die gibt es auch bei Erwachsenen.
Wenn Altes vergeht und etwas Neues wächst. Das tut weh. Wenn die Kinder erwachsen werden und ihre eigenen Wege gehen. Das tut weh. Auf einmal ist es so leer und still im Haus. Wenn ich mich nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen muss, weil das, was ich bisher gemacht habe, zu Ende geht – aus welchem Grund auch immer: das tut weh. Wer weiß, ob ich und wie ich noch einmal etwas finde, dass zu mir passt. Wenn ich umziehen muss, wenn eine langjährige Beziehung, wenn eine Ehe zerbricht. Das tut weh. Das was war, hat mir Sicherheit gegeben und Halt. Ich hatte eine Aufgabe. Ich habe mich wohl gefühlt. Warum soll das nun zu Ende gehen?
So ist das mit den Wachstumsschmerzen der Kinder wohl auch: eine Phase der Kindheit geht zu Ende. Sie werden größer, manches hört auf, was ihnen lieb geworden war. Es fängt etwas Neues an. Aber erst mal tut es weh. Bloß: es hat keinen Sinn, sich zu verweigern. Man kann das Wachsen nicht verhindern.
Helfen tut, wenn man nicht allein sein muss. Meine Mutter hat früher manchmal warme Umschläge gemacht. Die haben nicht wirklich geholfen – aber sie haben getröstet. Und vor allem: man braucht eine Aussicht! Wachstumsschmerzen kommen vom Wachsen! Da wächst was Neues. Das kann und wird anders sein. Aber auch das wird gut werden, da gibt es neue Aufgaben, neue Chancen, neue Möglichkeiten. Wenn ich darauf warte und dafür bereit bin, tut das Wachsen nicht so weh.
Mir hilft es auch, mich Gott anzuvertrauen. Zu dem bete ich, wenn das Wachsen weh tut: „Gott, großzügig wie kein anderer, zeig mir, wie groß und weit deine Welt ist, wie reich und bunt das Leben. Hilf mir heraus aus meinen Grenzen, damit ich aufbrechen kann aus Gewohnheit und Angst, mich selber entdecken und neue Aussichten finden. Lass mich erfahren, was bleibt: Deine Treue, die mich begleitet, wo immer ich bin, was immer geschieht, damit ich in deiner Nähe bleibe, Gott: ganz bei mir selbst, bei den Menschen und bei dir.“ (Koeppen, Spennhoff, Wolf (Hrg), Spuren des Lebens, Aussaat Verlag, 19942, S 125) https://www.kirche-im-swr.de/?m=2020
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