SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Heute beginnt die Gebetswoche für die Einheit der Christen. Für viele Menschen braucht es dies nicht. Sie sagen: „Wir haben doch eh alle denselben Herrgott!“  In der Tat, den haben wir. Gott sei Dank! Dennoch gibt es zahllose christliche Konfessionen. Ich frage mich: Ist das ein Fehler?

Wer an Ostern die Grabeskirche in Jerusalem besucht, wundert sich, wie pingelig genau die verschiedenen Konfessionen ihr Recht auf diese Kirche beanspruchen.  Manchmal streiten sie sogar, wem welcher Teil gehört.

In unserem Land gibt es heute selten solche Streitigkeiten.  In meiner Jugend war das noch anders. Da hatten wir Katholiken manchmal einen schweren Stand im evangelischen Württemberg, und den Protestanten ging es im katholischen Süden unseres „Ländle“ nicht anders. Manche Fehden wurden zwischen Dörflern verschiedener Konfessionen ausgetragen, vor allem wenn ein  junger Mann aus dem katholischen Dorf im evangelischen Nachbarort zur Freundin ging. Zum Glück ist das alles längst Geschichte.

Das Zweite Vatikanische Konzil, das von 1962 bis 65 in Rom stattfand, hat die Türen der katholischen Kirche weit geöffnet. Seither ist die ökumenische Bewegung immer stärker geworden. Leider gibt es  noch christliche Gruppen auf allen Seiten, die nur ihr eigenes Süppchen kochen möchten und sich Andersdenken gegenüber verschließen oder sie gar bekämpfen. Aber sie sind glücklicherweise in der Minderheit.

Dasselbe Phänomen finden wir in anderen Religionen. Auch im Judentum wie im Islam gibt es Gruppen, die sich mit Andersdenkenden verstehen wollen,  und es gibt solche, die nur sich sehen und andere verteufeln.

Wenn einer seiner eigenen Sache gegenüber nicht sicher ist, gerät er leicht in Angst um das Seine und wird dann intolerant gegen Andersdenkende. Vor lauter Angst macht er zu und empfindet andere nur als Bedrohung. Statt sich auf den Andern einzulassen, bekämpft er ihn.

Das erleben wir gerade im Islam, aber das hat es im Christentum genauso gegeben. Es ist immer fatal, wenn jemand Gott auf seine Seite zieht und gegen Andersdenkende losgeht.

Ich habe ein gutes Wort aus Asien gehört: „Es gibt drei Wahrheiten: meine, deine und die Wahrheit.“ Wo dieses Wort greift, braucht keiner sich ängstlich abzugrenzen. Dort weiß ich, was mir geschenkt ist, und ich schätze es. Ich achte aber auch, was dem Andern geschenkt ist, und ich möchte mich mit ihm auf den Weg machen, um besser zu begreifen, was Gott uns heute sagen möchte.

Musik

Teil 2

Die Gebetswoche für die Einheit der Christen, die heute beginnt, macht uns bewusst, wie schön es ist, dass es verschiedene Konfessionen gibt. Darüber spreche ich heute in den Sonntagsgedanken. Manche halten es für falsch, ja ärgerlich, dass es verschiedene Konfessionen gibt. Ich sehe darin einen Reichtum, denn keine Konfession kann Gott fassen oder nur für sich beanspruchen. Gott ist nicht einförmig, er zeigt sich in vielen Gestalten. Jede Konfession sieht etwas anderes für wichtig an. So können wir uns gegenseitig bereichern.

Deshalb gibt es in der Bibel auch vier Evangelien und nicht nur eines, obwohl es um die eine Botschaft geht. Aber das, was Gott uns über unser Leben und unsere Welt sagen will, ist umfassender als wir je zu begreifen vermögen.

Ich bin dankbar für meinen christlichen Glauben, so wie er mir in der römisch-katholischen Form vermittelt worden ist. Ich bin aber auch dankbar für das, was mir die evangelische Theologie geschenkt hat. So habe ich früher nicht so viel Wert auf die Predigt gelegt. Heute ist es mir wichtig, meine Hörerinnen und Hörer so anzusprechen, dass sie Kraft schöpfen für ihr Leben. Ich möchte, dass sie spüren: Gottes Ja zu uns Menschen ist etwas, an das ich mich halten kann, wenn andere ständig etwas von mir fordern oder ich mich überfordert fühle. Ich habe gelernt, dass ich sein darf, so wie ich bin, auch wenn ich manches an mir nicht so gut finde und gern anders hätte.

Aber Gott nimmt mich so an wie ich bin. Er sagt nicht zu mir: „Zuerst musst du dich ändern, dann kannst du mit mir reden.“ Nein! Er steht bedingungslos zu mir. Das habe ich von der evangelischen Theologie gelernt.

Ich kann Gott auch dafür danken, was er mir in der orthodoxen Kirche geschenkt hat, etwa durch meine Freundschaft mit christlichen Arabern in Galiläa. Sie haben eine innigere Beziehung zu Bildern von Heiligen, die sie verehren.  Der Weihrauch bedeutet ihnen viel. Ihre Gesänge rühren mich an. Auch Freikirchen wie die Baptisten oder die Methodisten sind mir liebe Geschwister geworden.

Jesus bittet uns um Einheit, aber nicht um Uniformität. Im Englischen klingt das schön: unity, but not uniformity, also Einheit, aber nicht Einförmigkeit. Sie lähmt das Wirken des Geistes Gottes und endet in der Langeweile. Einheit in der Verschiedenheit dagegen ist eine spannende Sache, weil sie mir immer wieder neue Horizonte eröffnet.

Ich möchte in dieser Woche darum beten, dass wir die Vielfalt der verschiedenen Bekenntnisse als etwas sehen, was uns nicht bedroht, sondern bereichert. Bedrohlich wird diese Vielfalt nur, wenn ich meine Form zu glauben für die einzig richtige halte. Wenn ich aber andere Formen zu schätzen beginne, können wir voneinander lernen, und unser Leben wird reicher, vielfältiger und farbiger.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19759
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