Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Jeder Mensch ist interessant. Man muss nur ganz genau hinsehen.
Diese Erfahrung macht die Journalistin Kitty Logan in einem Roman, den ich neulich gelesen habe (Cecelia Ahern, Hundert Namen). Im Nachlass ihrer verstorbenen Chefredakteurin findet sie eine Liste mit einhundert Namen. Kitty erhält den Auftrag, herauszufinden welche Geschichte sich hinter diesen Namen verbirgt und einen Artikel darüber zu schreiben. Sie wittert eine große Story und versucht herauszufinden, was die hundert Menschen auf der Liste miteinander verbindet. Zunächst ist Kitty enttäuscht, weil es sich nicht um Prominenten handelt, sondern um ganz normale Menschen. Aber je mehr Personen die junge Journalistin kennen lernt und je mehr sie von deren Leben erfährt, umso mehr faszinieren sie diese scheinbar normalen Menschen. Am Ende bietet die Liste nicht nur Stoff für eine, sondern für einhundert Artikel. Denn hinter jedem Namen verbirgt sich eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden.
Ich finde, das stimmt: Je mehr man über einen Menschen erfährt, desto interessanter und einzigartiger wird er. Das habe ich selbst auch schon oft erlebt. Aber um die Geschichten herauszufinden, die sich hinter den Namen verbergen, muss man sich Zeit nehmen und auf den anderen einlassen. Nicht nur oberflächlich hingucken. Man darf nicht denken, man wüsste schon alles über den Anderen, wenn man in Wirklichkeit nur einen ersten Eindruck gewonnen hat. Zum richtigen Hinsehen, gehört auch, neugierig und gespannt zu sein.

In der Bibel wird auch von Gott gesagt, dass er uns Menschen ansieht. Von Gott wird dabei wie von einem Menschen gesprochen. Aber auch wenn Gott in Wirklichkeit natürlich keine Augen hat - ich denke, diese menschliche Redeweise von Gott, sagt etwas Wichtiges über ihn aus: Gott liegt etwas an seinen Menschen, an jedem einzelnen. Jeder ist ihm so wichtig, dass Gott nach ihm schaut. Er sieht die Menschen nicht nur aus dem Augenwinkel, sondern wendet sich ihnen zu. Er ist gespannt darauf und neugierig, wie sie ihren Weg durchs Leben gehen, welche Geschichte sie mit ihrem  Lebensweg schreiben. Wie es ihnen dabei geht, ist ihm nicht egal.  Sondern er sorgt sich um seine Menschen und fühlt mit ihnen mit.
Ich finde das ist ein schöner Gedanken: Da ist jemand, dem ich wichtig, bin und der sich für meinen Lebensweg interessiert. Und ich bin froh, dass ich am Ende von jedem Gottesdienst daran erinnert werde; wenn der Pfarrer oder die Pfarrerin sagt: „Der Herr segnet dich und behütet dich, er lässt sein Angesicht leuchten über dir und ist dir gnädig. Der Herr erhebt sein Angesicht auf dich und gibt dir Frieden.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18946
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