Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Die S-Bahn heute früh wieder ein einziger „Streichelzoo“. Fast alle Fahrgäste wischen mit den Fingern über die Displays ihrer Smart-Phones. Vermutlich haben die Lieben zuhause vorher beim Abschied nicht einmal annähernd so viele Streicheleinheiten abbekommen wie dieses winzige Ding. 

Auch eine junge Mutter starrt wie gebannt auf den Bildschirm und postet irgendwelche Nachrichten in den Äther. Im Buggy ihr gegenüber sitzt ihr kleiner Junge und sucht schon seit Minuten Blickkontakt zu seiner Mutter – vergebens. Erst als das Kind erbärmlich zu weinen beginnt, packt die Frau das Wisch-Phone weg und streichelt die tränennassen Wangen des Kleinen, der sich allmählich beruhigt, denn die Mama ist ja nun aus der anderen Welt zurückgekehrt und endlich wieder für ihn da.

Das menschliche Antlitz verrät mehr als ein elektronisches Display. Es ist voller versteckter Botschaften. In ihm spiegeln sich Freude und Glück, aber auch  Enttäuschungen und Verhärtungen. In manchen Gesichtern hat sich die Bitterkeit des Lebens in tiefe Sorgenfalten eingegraben. Wie schön ist es dann, wenn sich plötzlich ein finsteres oder gar hassverzerrtes Gesicht erhellt, aufheitert, wie wir sagen, und uns ein Lächeln schenkt.

„Ich danke Gott und freue mich
Wie's Kind zur Weihnachtsgabe,
Dass ich bin, bin! Und dass ich dich,
Schön menschlich Antlitz habe“.

 So besingt der Dichter Matthias Claudius das geliebte Antlitz seiner Frau.

 Wir würden viel über das Geheimnis des Lebens erfahren, wenn wir – statt wie verrückt im Web zu surfen – in den Gesichtern der Menschen läsen. 

Mehr noch: Das Antlitz eines Menschen ist ein „Touchscreen“ der ganz anderen Art, mit einer hochsensiblen „Benutzer-Oberfläche“. Man kann – wie diese Mutter es in der S-Bahn schließlich tat – Wangen streicheln, Tränen trocknen, trösten und aufmuntern. Man kann den Geplagten die Sorgenfalten aus der Stirn streichen, mit Zärtlichkeit ein Lächeln entlocken. 

 

Vielleicht könnten wir heute einmal aufmerksam im Gesicht eines Menschen lesen.

Und dann wünsche ich, dass uns Gott – wie es in der Bibel heißt – sein Angesicht zuwende und uns gnädig sei.

 

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17552
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