Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Mache dich auf und werde licht, denn dein Licht kommt“ ist ein Kanon der  im Advent häufig gesungen wird. Sein Text stammt aus dem Buch Jesaja im Alten Testament. Dort fordert der Prophet sein Volk auf, sich auf den Weg zu machen,  die Zeichen der Zeit zu erkennen und entsprechend zu handeln. Was waren damals diese Zeichen der Zeit?

Nachdem das Volk Israel jahrzehntelang im Exil gelebt hat, hat es endlich die Möglichkeit zurückzukehren in die Heimat, ins Vertraute. Aber für etliche ist das vielleicht inzwischen fremd geworden. Manch einer mag da gezögert haben…Jetzt hat man sich doch so gut in der Fremde eingerichtet. In dieser Situation fordert Jesaja sein Volk heraus: „Mache dich auf und werde licht, denn dein Licht kommt“. Mit dem Licht, das kommt, ist Gott selbst gemeint. Er holt sein Volk ab und bringt es heim. Dazu müssen die Leute aufbrechen! Soweit so gut. Was aber meint der Prophet mit dem zweiten Teil seiner Aufforderung: „Werde licht“!  ?

Dieses kleine Wörtchen „licht“ ist im Text nicht groß – sondern klein geschrieben. „Licht“ ist hier ein Adjektiv, ein  „wie-Wort“,  kein Nomen.

Nicht ein Licht, sondern licht werden sollen die Menschen. Dieses kleine Wort „licht“ ist aus unserem Sprachschatz fast verschwunden. Es meint soviel wie – hell, durchscheinend,

und so klingt es auch, irgendwie hell leicht. „Werde licht“! – Zwei kleine Worte, sie sind ein Auftrag. Für mich heißen sie übersetzt: Werde durchlässig, transparent. Aber wofür? Ich glaube, für dieses Licht, das von Gott kommt, das unsere Dunkelheiten ausleuchten und hell machen will.

Dieses Licht will in mir leuchten. Die Frage ist: Bin ich bereit, offen, durchlässig dafür?  Kann ich mich davon beschenken lassen?

Und: Bekommt dieses Licht die Chance auch wieder nach außen zu dringen, weiter zu leuchten? 

Denn durchlässig sein bedeutet für mich, sich nach zwei Seiten zu öffnen.

Etwas abzugeben von dem, was ich empfangen habe – dieses Licht zu teilen,

es auszustrahlen.

Oder wie Hilde Domin es in einem ihrer Gedichte in Worte fasst:

Vielleicht wird nichts verlangt

von uns

während wir hier sind,

als ein Gesicht

leuchten zu machen

bis es durchsichtig wird.

(Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, Frankfurt 1987, Seite 176)

 

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