SWR2 Wort zum Tag

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Sei sehend! So hörte es ein Blinder in der Nähe von Jericho. Jesus war unterwegs nach Jerusalem. Der Blinde hatte den Lärm der vielen Menschen gehört, die auf Jesus gewartet hatten, und dann mitbekommen, dass er vorüberging. Laut schreiend hatte er auf sich aufmerksam gemacht. Jesus hatte seine Bitte um Heilung von der Blindheit gehört und war zu ihm gekommen. Sei sehend, sagte er ihm. Dein Glaube hat dir geholfen. Und der Blinde wurde sehend. (Markus 10,46-52)

Ich stelle mir vor, was es für den Blinden bedeutet hat, endlich sehen zu können, was ihn umgab. Ich weiß von Menschen, die eine erfolgreiche Augenoperation hinter sich haben und nun voll Staunen die leuchtenden Farben der Blumen, das Grün der Wiesen, die Schönheit der Schöpfung sehen und nicht zuletzt in den Gesichtern der Menschen ihrer Umgebung lesen können.

Ich denke aber auch daran, dass es so etwas wie Blindheit der Sehenden gibt und ihnen die Augen aufgehen müssen. Man sieht oft etwas hundert Mal, tausend Mal, ehe man es zum ersten Mal wirklich sieht, sagt Christian Morgenstern.Er meint damit die Erfahrung, dass man Kleines oder Gewohntes viele Male übersehen kann, bis einem plötzlich seine Bedeutung oder seine Schönheit aufgeht.

Scharf sehen wir oft die Fehler Anderer und wenig oder gar nicht, was bei uns selbst nicht in Ordnung ist. Jesus hat dies mit dem Bildwort vom Splitter im Auge des Nächsten und vom Balken im eigenen Auge, den man nicht bemerkt, anschaulich gemacht und wollte damit helfen, andere und sich selbst besser zu sehen.

Damit wir uns selbst richtig sehen, bedarf es einer Heilung. Und damit meine ich nun nicht nur die Schärfung des Blicks auf die eigenen Grenzen und Schwächen. Die Geschichte von der Heilung des Blinden haben die Evangelisten an prominenter Stelle erzählt: Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, wo er leiden und sterben wird. Was das bedeutet, dafür müssen uns die Augen geöffnet werden, immer wieder. Dann sehen wir, was da für uns geschehen ist. Wir sehen, dass wir angenommen sind - mit allem, was bei uns nicht in Ordnung ist. Wir sehen uns mit den Augen Gottes, der uns liebt. Mit dem Blick der Liebe sehen wir dann auch die Anderen und erkennen, was sie sind und sein wollen, was sie bedrückt und erfreut, was sie brauchen.- Es ist gut, wenn wir für uns hören: Sei sehend und dann erfahren, dass uns der Glaube geholfen hat, neu zu sehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15894
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