SWR1 Begegnungen

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Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag, ich bin Roland Spur von der Evangelischen Kirche.
Schauspieler, Rezitator, Synchronsprecher – so ist er bekannt geworden. Für Kinogänger die Stimme von Robert de Niro, zum Beispiel: Christian Brückner. Manche nennen ihn nur „the voice“ – die Stimme. Aber er ist auch Ehemann und Familienvater.

Wir haben uns gestern mit unsern Kindern unterhalten, abends, über das, was uns bevorsteht, also beispielsweise Migrationsströme nach Millionen, und Menschen, die einfach ihr nacktes Leben retten wollen und irgendwo ankommen, wo sie noch irgendeine Unterkunft finden, einen Stall finden, in den sie reinschlüpfen können und zunächst mal bleiben.

Teil 1
Ich habe Christian Brückner getroffen nach einer Dichterlesung in der Nähe von Stuttgart. Dafür war er frisch angereist, und gleich anschließend ging sein Flieger wieder zurück nach Berlin: er reist ständig. Während wir reden, wird im Hintergrund aufgeräumt. Christian Brückner, mit seiner auffallenden Stimme, markant und verletzlich – wie ist das, habe ich ihn gefragt, wenn man beruflich immer nur fremde Texte liest, sie präsentiert und gestaltet: was macht das mit einem selber? Verschwindet da im Lauf der Zeit nicht die eigene Persönlichkeit, das eigene Ich?

Ich muss sagen: gerade das Ich verschwindet nicht, glaube ich. Denn das Ich, das ist das, was ich einbringen muss, mit dem ich reden muss bei einem fremden Text. Denn verschwände das Ich, wäre so zu sagen mein Auftritt überflüssig. Hinfällig.

Und uns ist dann schnell klar, dass diese Arbeit ja kein Kleinschreiben der eigenen Person ist. Er ist vielmehr so etwas wie ein „Sprachrohr“, spricht im Auftrag eines Dichters, eines Romanautors. Ähnlich wie bei den biblischen Propheten. Die verstehen sich auch als Sprachrohr Gottes, auch als profilierte Sprecher in seinem Namen und Auftrag »So spricht der Herr«, so beginnen sie oft ihre Rede. Und sind doch auch ganz eigenständige Persönlichkeiten gewesen! Haben sich regelrecht inszeniert, mit Haut und Haar. Propheten wie ein Jeremia, ein Amos, Elia oder Moses.

Ich meine, mit dem brennenden Dornbusch kann er sich natürlich einen starken Bühnenauftritt verschaffen. Das ist mal völlig klar!

Sein persönlicher Auftrag, oder seine Mission – ich vermute sie in seinem Verlagsprogramm parlando, das er zusammen mit seiner Frau Waltraut betreibt. Sie wurden dafür 2005 ausgezeichnet. Erlesene Prosa, Poesie, und – politische Texte! So hat er ein Hörbuch gestaltet mit den Menschenrechten. Jeder kennt die zehn Gebote, sagt er. Aber kennt auch jeder jedes Gebot? Genauso ist es mit den Menschenrechten. Sie sind ständig in aller Mund, doch wer könnte die einzelnen Rechte aufzählen?
Und da die Menschenrechte überall immer mehr mit den Füßen getreten werden, müssen wir sie kennen, meint Christian Brückner, damit wir sie verteidigen können. Ich frage ihn, ob da also sein Herz schlägt, bei den großartigen Dokumenten der Freiheit. Ob er darin seinen persönlichen Auftrag sieht?

Mit einem Satz beantwortet: das ist sicher so. das ist sicher ein Versuch, den meine Frau und ich machen mit Hilfe von parlando, wo wir frei – freier sind als je sonst in einem Arbeitsverhältnis. Und wo wir wirklich die Dinge nach außen zu bringen versuchen und zu anderen Menschen hin, die uns wichtig erscheinen. Und ich muss es sagen, auch wenn es unglaubwürdig vielleicht klingt, wo wir eben so gut wie nicht auf den Erfolg im Sinne der materiellen Bereicherung achten, sondern die Texte müssen da sein, sie müssen bewusst sein, so bekannt wie möglich sein oder werden. Das ist der Versuch.

Und Christian Brückner erklärt auch, woher das kommt, solche politischen Freiheitstexte aufzunehmen, die Gründe und Motive...

...das heißt, in einem ethischen Bewusstsein, das tradiert ist aus der kulturellen und auch religiösen Tradition, in der ich aufgewachsen bin. Also kein festlegbares Bekenntnis außer eben zu Menschenwürde, Menschenrechten, ich wiederhole es noch mal.

Teil 2

In den Medien zuhause, in der Welt viel unterwegs, aufmerksam, wachsam. Seit Jahren. Was bewegt einen Vielreisenden wie Christian Brückner da?

Wir haben uns gestern mit unsern Kindern unterhalten, abends, über das, was uns bevorsteht, und was natürlich ganz andere Sachen sein werden als das, was wir so in der Alltagspolitik qua Medien, Presse, Fernsehen nahegebracht wird. Es hat ja mit der Wirklichkeit, die uns in ein paar Jahren – oder spätestens Jahrzehnten – erwartet, gar nichts zu tun. Also beispielsweise Migrationsströme nach Millionen, und Menschen die eben nicht „Terroristen“ sind, als die sie möglichst von vornherein hier dargestellt oder verteufelt werden, sondern die einfach ihr nacktes Leben retten wollen und irgendwo ankommen, wo sie noch irgendeine Unterkunft finden, einen Stall finden, in den sie reinschlüpfen können und zunächst mal bleiben.

Christians Brückner reist viel durch die Welt. Und macht sich viele Gedanken über Menschen, die reisen, auswandern oder flüchten. In seiner Biographie kann man lesen: Geboren Oktober 1943, in Waldenburg – und zwar nicht das hier im Schönbuch, sondern Waldenburg in Schlesien, im schlesischen Dialekt „Walbrich“ gennant. Heute heißt seine Geburtsstadt Wałbrzych, in Polen. Die einst vorwiegend evangelische Stadt ist rund 65 Kilometer südwestlich von der niederschlesischen Hauptstadt Breslau entfernt und bildete das Zentrum des niederschlesischen Steinkohlereviers.
Ort und Zeit lassen vermuten: sein Leben ist bestimmt von Einschnitten. Gab’s da Brüche? habe ich ihn gefragt.

Ganz viele, ganz viele. Schlesien – die Vertreibung, die ich natürlich nicht bewusst erlebt habe, sondern im Kinderwagen, die aber mir das Anwachsen irgendwo, also in dem Fall in Köln, verhindert hat, weil meine Eltern bei Gott keine Revanchisten sind. Natürlich schwärmten sie von ihrer verlorenen Heimat, nicht weil sie sie gewaltsam wiederhaben wollten, sondern weil: Das war weg! Und da, wo wir waren, war’s eigentlich nicht wünschenswert. Und das ist ein bisschen so geblieben, dieses nirgendwo ganz anwachsen Können. Ich glaube, das hat mit dieser ursprünglichen Situation wesentlich zu tun. Da ist natürlich Wunsch, dass es gelänge! Aber es wird mir nicht gelingen.

Vielleicht hängt damit auch zusammen, dass er heute pendelt, zwischen New York und Berlin. Ja, wie ist das mit dem Wurzelnschlagen, wenn man so was wie Geborgenheit und Sicherheit nicht aus seiner Kindheit kennt?
Und wir kommen wieder auf die Bibel zu sprechen, auf die Psalmen. Viele sind von Flüchtlingen, von Heimatvertrieben formuliert worden. Beim Untergang des israelischen Nordreiches, so um 700 vor Christus, sind sie nach Süden, nach Jerusalem geflüchtet: »Unter dem Schatten Deiner Flügel habe ich Zuflucht!«
»Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde,
du schenkst mir voll ein. Und ich werde bleiben...«
Und wir denken an New York als Zufluchtsort.
Asylanten beten in der Bibel, danken Gott. In seinem Haus, bei ihm, da finden sie Trost und Schutz. Ihnen schenkt Gott eine neue Lebensperspektive. Solche Psalmen richtig vorstellen, daraus könnte ein besonderes Hörbuch werden.

Das höre ich in diesem Moment jetzt, und es leuchtet mir sofort ein, und ich werde daraufhin die Texte begucken! https://www.kirche-im-swr.de/?m=1584
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