SWR1 3vor8

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Da kommt einer oder eine und heult einem die Ohren voll, weil etwas total schief gelaufen ist: Vielleicht hat er einen Fehler gemacht. Vielleicht ist er irgendwo rein geraten. Und jetzt sieht er keinen Ausweg mehr. Zum Heulen ist das. Deshalb ist er untröstlich. Was dann?
Manchmal kommt dann der erhobene Zeigefinger. Jetzt siehst du, was dabei herauskommt. Das konnte ja nicht gut gehen. Das hast Du jetzt davon. Und dann kommen die Ermahnungen. Mit erhobenem Zeigefinger kann man sagen, wie es besser gewesen wäre. Was der andere jetzt tun soll. aber ein bisschen plötzlich. Der erhobene Zeigefinger zeigt, dass ich es besser weiß. Und nie in so eine Situation gekommen wäre.
Ich habe das manchmal auch schon so gemacht - ehrlich empört, manchmal auch einfach erschrocken über das, was passiert war. Aber geholfen hat es nichts. Der andere heult dann noch mehr. Ist ganz aufgelöst und am Boden zerstört. Mit erhobenem Zeigefinger kann man einen anderen fix und fertig machen. Der kommt nicht noch einmal zu mir, wenn ihm zum Heulen ist. Beim nächsten Mal wird er versuchen, dass ich nicht merke, was passiert ist.
Jesus hat es anders gemacht, als eine Frau angeheult kam. Wie er da reagiert hat, darüber wird heute in den evangelischen Gottesdiensten gesprochen. Die Frau war eine stadtbekannte Hure. Niemand wollte mit ihr zu tun haben, jedenfalls nicht bei Tageslicht. Und jetzt kommt sie angeheult. Am helllichten Tage. Jesus war gerade bei angesehenen Leuten zum Essen eingeladen. Die Frau kommt, fällt auf die Knie und heult so sehr, dass sie Jesus die Füße nass macht. Was für ein peinlicher Auftritt! Und die Frau ist jetzt erst recht völlig aufgelöst und erschrocken. Weil ihr nichts Besseres einfällt, nimmt sie ihre langen Haare und versucht, Jesus die Füße damit abzutrocknen. (Lk 7, 36-50)
Und Jesus? Was tut er? Ihm ist das nicht peinlich. Er ist auch nicht entsetzt, wie die anderen am Tisch. Die erwarten, dass er sie wegschickt. „Ab auf dein Zimmer", gewissermaßen. „Ich will dich nicht mehr sehen." Wer so was macht, mit dem wollen wir nichts zu tun haben.
Jesus aber schickt die heulende Frau nicht weg. Er will ihr, die nicht weiter weiß, helfen. Nicht sie strafen und damit vollends fertig machen. Deshalb lässt er sie gewähren. Und als sie sich ausgeheult hat, sagt er: Deine Schuld ist dir vergeben.
Ich glaube, wenn es eine Chance gibt, neu anzufangen, dann nur so. Die Frau weiß jetzt: du musst dich nicht verstecken. Du kannst zu Gott kommen mit dem, was schief gelaufen ist. Ich glaube: So fängt man leichter neu an.

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