SWR4 Abendgedanken RP

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Hauptschule: Das klingt nach Rüttlischule, nach schwierigen Schülerinnen und Schülern. Preisverdächtig allenfalls, wenn es um Gewaltbereitschaft geht – nicht unbedingt um so-ziales Engagement. Und doch: Die Schüler einer Mainzer Hauptschule haben genau das bekommen: einen ersten Preis für ihr soziales Engagement. Den Ketteler-Wettbewerb im Bistum Mainz haben sie gewonnen. Um das Projekt und das Engagement der Jugendli-chen von der Mainzer Goetheschule soll es in der kommenden halben Stunde gehen, im Blickpunkt Kirche am heutigen Mittwoch.


Teil 1
Ein besserer Ruf muss her – ein Projekt entsteht

Jugendliche an einer Hauptschule: Die haben einen denkbar schlechten Ruf: Wer eine Hauptschule besucht, der ist angeblich wenig intelligent, wenig sozial, der taugt nicht viel für den Arbeitsmarkt oder sogar: für die Gesellschaft allgemein. Wer solch einen üblen Ruf hat – der kann eigentlich nur gewinnen. Ein neues Image nämlich. „Wir sind besser als unser Ruf!“ Dieser Slogan entstand auf einem Schülervertretungsseminar der Mainzer Goetheschule. Hilal, 19, und Tyrone, 17, waren damals dabei, als Schulsprecher. Und sie waren überzeugt:

„Es ist nicht wirklich, wie die Leute sagen. Goetheschule ist ne ganz normale Schule, an jeder Schule gibt’s natürlich Chaoten, das ist klar, aber 90 Prozent der Schüler sind ganz normal, wie jeder andere. Es wird zu unrecht gesagt, dass die Goetheschule eine schlechte oder antisoziale Schule ist.“

Aber wie lässt sich das zeigen, wie lässt es sich beweisen? In der Katholischen Jugend-zentrale in Mainz, der KJZ, hatte man die passende Idee dazu: Schülerinnen und Schüler helfen, sie engagieren sich ehrenamtlich. Und so wurde aus dem Motto „Wir sind besser als unser Ruf!“ ein handfestes Projekt. Ute Friedrich-Lendle und Anja Kremper von der KJZ begannen mit Jugendlichen zu sprechen, mit der Schulleitung, mit Altenheimen und Kinderkrippen – und viele in der Mainzer Neustadt machten mit bei dem neuen Projekt.

„Die Idee ist: Jugendliche gehen in eine soziale Einrichtung, einmal wöchentlich für ungefähr zwei Stunden, und unterstützen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, lernen die sozialen Einrichtungen ihrer Umgebung, nämlich der Neustadt kennen. Und mit diesen Jugendlichen ist es tatsächlich so entstanden, die Goetheschule in ein besseres Licht zu rücken.“

Hauptschüler engagieren sich ehrenamtlich, in Kinderkrippen, Altenheimen oder öffentli-chen Büchereien: Das ist neu und besonders in der Mainzer Neustadt. Für alle Beteilig-ten: für die Mitarbeiter in den sozialen Einrichtungen, für die Kinder und älteren Leute, die dort spielen oder leben, aber auch für die Jugendlichen selbst. Sie alle haben sich aufeinander eingelassen - und dann miteinander viele neue Erfahrungen gesammelt und sich gegenseitig schätzen gelernt. So zum Beispiel auch Tyrone und die Kinder vom Kin-derhaus „Blauer Elefant“:

„Ich war immer einen Tag da, donnerstags, von zwei bis sechs, normalerweise von zwei bis vier. Es hat mir so gut gefallen da, ich konnt einfach nicht gehen, die Kinder ha-ben mich auch irgendwie nicht gelassen.“

Teil 2
Erfahrungen in Kinderkrippe und Altenheim

„Wir sind besser als unser Ruf!“ Das ist das Motto eines Projekts der Katholischen Ju-gendzentrale in Mainz, das sie gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern der Goethe-schule durchführen. Jugendliche gehen einmal die Woche zwei Stunden in eine soziale Einrichtung und helfen dort ehrenamtlich mit. Tyrone zum Beispiel war im Kinderhaus „Blauer Elefant“ am Goetheplatz in der Mainzer Neustadt. Am Anfang war er noch zu-rückhaltend und hat erst mal nur zugeguckt. Das hat sich aber schnell geändert:

„Später hab ich dann z.B. die Hausaufgabenbetreuung mitgemacht oder bin mit den Kindern mal rausgegangen, hab auf die aufgepasst. Die Kinder haben sich gefreut, die kamen dann zum Beispiel, wenn sie z.B. nach der Hausaufgabenhilfe oder bei der Lern-hilfe später ne gute Noten geschrieben haben, dann kamen sie auf mich zu und haben sie sich total gefreut, fand ich immer total süß.“

Gute Noten: die haben auch Tyrone und seine zehn Projektkollegen für ihre Mitarbeit in den sozialen Einrichtungen bekommen. Ein Zeugnis von der Katholischen Jugendzentrale gab es nach dem halben Jahr ihres Projekts, auch im Abschlusszeugnis der Goetheschule wurde ihr Engagement vermerkt. Das macht sich langfristig gut bei Bewerbungen bei Arbeitgebern oder andren Schulen. Aber genauso langfristig und genauso wohltuend war die Wirkung in ihrem Stadtteil: die Anerkennung und Dankbarkeit der Menschen, mit de-nen sie zusammengearbeitet haben. Tyrone bemerkt:

„Wenn ich heute noch über den Goetheplatz laufe, kommen die meisten, sagen: hey, Zitrone, denn sie konnten meinen Namen nicht aussprechen. Also ich fand’s schon ganz schön.“

Auch Michelle hat ehrenamtlich mit Kindern gearbeitet, in der Kinderkrippe der Mainzer Neustadt. Und auch sie hat die Erfahrung gemacht: Sie ist willkommen und: Sie wird ge-braucht:

„Ich war in der Kinderkrippe, war auch zwei Stunden die Woche dort, hab die meiste Zeit mit den Kindern gespielt. Am Anfang mussten sie ein bisschen warm mit mir wer-den, weil ich nur einmal die Woche da war, ja, dann sind sie auf mich zukommen, war schon ganz schön anzusehen. Es hat mir sehr gut gefallen. Es war interessant, es war was völlig Neues für mich.“

Und auch Aylin, 17 Jahre wie Michelle, war in einem Altenheim. Die Hauptschüler von der Goetheschule waren auch hier höchst willkommene Gäste:

„Ich war im Martinsstift-Altenheim in der Neustadt tätig, auch einmal die Woche für zwei Stunden. Ich hab mit den alten Leuten Mensch-ärger-dich-nicht gespielt, hab mit ihnen gesprochen, damit ihnen nicht so langweilig wird. Die haben sich sehr gefreut, wenn man sich um sie kümmert. Und ich hab mich auch gefreut, wenn ich sie gesehen hab, wie sie so froh geworden sind, wenn sie so glücklich waren.“

Auch Nusrat war einmal die Woche für zwei Stunden in einem Mainzer Altenheim – und hat ganz ähnliche gute Erfahrungen gemacht wie Aylin:

„Meine Aufgabe war es, das Essen vorzubereiten und dann die Alten ins Zimmer zu bringen, meistens den Alten was vorlesen oder mit ihnen spielen oder rausgehen. Die waren immer froh, wenn ich da war.“

Ob im Altenheim oder Kinderhaus: Wenn die Hauptschüler von der Goetheschule kamen, stieg die Stimmung. „Wir sind besser als unser Ruf!“ Das war das Motto, mit dem elf Ju-gendliche angetreten waren – und es wurde erfolgreich in die Tat umgesetzt. Über Erfol-ge und Nachwirkungen des Projekts hören Sie gleich noch einmal mehr, im dritten Teil von Blickpunkt Kirche.

Teil 3
Das Projekt wirkt weiter

SWR 4 Blickpunkt Kirche, heute zum Projekt „Wir sind besser als unser Ruf!“ Mainzer Hauptschüler engagieren sich – in Altenheimen, Kinderkrippen oder öffentlichen Büche-reien. Ehrenamtlich haben die Jugendlichen von der Goetheschule dort mitgeholfen, erst mal nur für ein halbes Jahr – aber das Projekt wirkt weiter. Zum Beispiel für Hilal, 19 Jahre alt:

„Also ich war in der öffentlichen Bücherei Anna Seghers. Hab da halt Bücher wieder in die Regale eingeräumt, die zurückkamen, oder Lesekisten erstellt, so Bestellungen von den Schulen zu Themen halt Hexen oder was Gruseliges. .. Oder wenn ein kleiner Junge, ein kleines Kind ne Frage hatte, die Frage beantworten, weiterhelfen, ja das wars. Ich fands schon ok. Jetzt bin ich ja in der Goetheschule in der Bücherei, ich mach’s jetzt wei-ter, nur an nem andren Ort.“

„Wir sind besser als unser Ruf!“ – die Aktion entwickelt sich weiter, auch nachdem das erste offiziell geplante halbe Jahr vorbei ist. Nachhaltigkeit – das ist für Anja Kremper von der Katholischen Jugendzentrale ein besonderes Kennzeichen und eine tolle Sache bei diesem Projekt:

„Ich find das schon beachtlich. Die Hilal ist jetzt nicht mehr in der Goetheschule Schülerin, sondern woanders, und geht trotzdem ehrenamtlich einmal die Woche in die Goetheschule und macht da die Bücherei. Es ist schon besonders, und ich glaube, die Schule, die Schulleitung, die Schüler sind da auch dankbar dafür, dass du das machst.“

Das Projekt von Katholischer Jugendzentrale und Goethehauptschule wirkt weiter – und: Es hat sich herumgesprochen, nicht nur in der Mainzer Neustadt. Ministerpräsident Kurt Beck erfuhr auf einer Podiumsdiskussion von der Aktion – und lud die Jugendlichen als Anerkennung spontan zur Rheinland-Pfalz-Ausstellung ein. Und in der vergangenen Wo-che hat die Aktion sogar einen 1. Preis bekommen: beim Ketteler-Wettbewerb im Bistum Mainz. Der Erfolg beflügelt – und trägt das Projekt in weitere Runden. Soziale Einrichtun-gen finden, die mitmachen – das ist mittlerweile nicht mehr schwer, erzählt Ute Fried-rich-Lendle von der Mainzer Jugendzentrale.

„Es hat sich inzwischen auch rumgesprochen, es ist ein Türöffner geworden. Wenn wir jetzt irgendwo anrufen und sagen: Wir machen wieder das Projekt - ach ja, das Pro-jekt kenn ich, natürlich mach ich mit! Oder: Ich hab von Kollegen gehört. Es ist schon sehr schön, in der Neustadt schon so einen gewissen Bekanntheitsgrad inzwischen er-reicht zu haben.“

Hauptschule – in der Mainzer Neustadt hat einen neuen Klang bekommen. Sozial enga-giert, freundlich, verlässlich – so sind sie, die Schülerinnen und Schüler der Goethe-hauptschule. Hilal erklärt, warum es ihr so wichtig ist, einen solchen Ruf zu haben.

„Ja, ich will halt angesehen werden. Nicht als so ne faule Person oder eine, die halt keine Lust hat irgendwas zu machen, ich will halt, dass die Leute irgendwann über mich sagen: die hat ihr Leben lang gearbeitet, keine Ahnung, Respekt oder so was..“ https://www.kirche-im-swr.de/?m=1565
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