SWR4 Abendgedanken BW

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Manchmal macht man sich selbst das Leben schwer mit dem eigenen Pflichtbewusstsein. Freilich, ohne Pflichtbewusstsein und Zuverlässigkeit wäre eine "Veranstaltung" wie unsere Wirtschaft und Arbeitswelt, überhaupt ein Zusammenleben, gar nicht möglich. Wo Pflicht und Pünktlichkeit Leben erleichtern, sind sie gut.
Aber es kann auch anders sein. Sogar Jesus hat das erlebt.
An einem Sabbat hatten seine Jünger unterwegs ein paar Kornähren abgerissen, um die Körner zu kauen. Einigen Obergenauen ging das gegen den Strich und sie warfen ihnen vor: "Sie arbeiten am Sabbat und das ist nach dem biblischen Gesetz verboten." - Jesus antwortet ihnen, vielleicht mit Schalk im Blick: "Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, nicht der Mensch um des Sabbats willen!" Sollte wohl heißen: Unsere Gesetze, unsere Regeln sollen Zusammenleben ermöglichen, womöglich erleichtern. Dafür sind sie gemacht. Und nicht dafür, dass Menschen in Regeln und Gesetze gepresst werden; auch nicht durch übereifriges Pflichtbewusstsein ...
In Afrika habe ich mal eine ähnliche Geschichte erlebt. Dort war ich als Pfarrer unterwegs, um mit Arbeitern in Fabriken Gottesdienste zu feiern und mit ihnen zu reden..
Eines Morgens war ich bei strömendem Regen (und wer die Tropen kennt, weiß, was ein echter Regenguss ist) früh um 6 Uhr mit dem Motorrad in den Fabrikhof einer Firma eingefahren, in dem mich sonst immer ca. 150 Arbeiterinnen und Arbeiter erwarteten.
Diesmal war der Hof leer - bis auf einen einzigen Mann, der frierend unter einem Wellblechdach hockte. Noch triefend ging ich zu ihm und fragte: "Wo sind denn heute deine Kollegen alle?" - "Ja, die können doch nicht kommen, es regnet doch!"
"Aber du und ich, wir sind doch auch da?!"
Er strahlt mich an und sagt: "Warum du trotz des Regens gekommen bist, weiß ich auch nicht. Ich bin hier, weil ich der Nachtwächter bin. Und ich kann ja nicht heim: Es regnet doch!"
Fast im Wortsinn "wie ein begossener Pudel" bin ich damals dagestanden. Meinem Gegenüber war völlig unverständlich, warum ich "das Natürlichste" nicht getan habe: Nämlich zu Hause zu bleiben.
Die Woche darauf waren alle wieder da - es regnete ja nicht - und ich erzählte, vielleicht sogar ein wenig stolz, dass man in Deutschland auch bei Eis und Schnee pünktlich zur Arbeit zu erscheinen hatte.
Kopfschütteln bei einigen: "Diese Weißen ..." und eine sprach mich an: "Dann stellt ihr also Pünktlichsein und einem Zeitplan gehorchen höher als die eigene Gesundheit?"
Dieses Erlebnis aus Afrika erinnert mich immer wieder: Pflichtbewusstsein und Zuverlässigkeit sind gut, wenn sie das Leben ordnen und leichter machen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1456
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