SWR4 Sonntagsgedanken RP

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Nur noch selten verlässt Maria ihre kleine Wohnung. Das liegt aber nicht nur an den Schmerzen in ihren Gelenken. Maria fehlt schlicht auch das Geld. Als Reinigungskraft hat sie viele Jahre lang geschuftet, hat für andere Menschen sauber gemacht. Viel verdient hat sie dabei nie. Doch sie schaffte es, sich irgendwie über Wasser halten. Ihr Mann ist schon vor vielen Jahren gestorben. Seitdem wohnt sie allein in einer kleinen Sozialwohnung. Ihre Nachbarn wechseln oft, man kennt sich kaum. Ihrer Gesundheit hat all das nicht gut getan. Heute lebt sie von einer Minirente, die zum Leben eigentlich zu wenig, zum Sterben aber zu viel ist.

Maria ist nur ein Beispiel für viele, die ganz ähnliche Schicksale teilen. Und: Menschen wie Maria gab es immer, auch zur Zeit der Bibel. Als das Christentum noch ganz jung war, da fühlte sich die kleine Christengemeinde verantwortlich für jedes ihrer Mitglieder. Leute wie Maria, die nur wenig zum Leben hatten, wurden damals von den anderen mitversorgt. Das hat ganz  gut geklappt, solange sie wenige waren. Doch als die Gemeinde nach und nach immer größer wurde gab es Probleme. Einige fühlten sich zurückgesetzt und ungerecht behandelt. Es gab Streit. Eine Lösung musste her. So wählte man sieben angesehene Männer aus und machte sie zu Diakonen. „Diener" heißt das wörtlich übersetzt. Sie sollten sich ab sofort darum kümmern, dass jeder der bedürftig ist, auch etwas bekommt. Die sieben waren quasi der Anfang dessen, was wir heute als Caritas oder Diakonie kennen. Wir wissen nicht mehr, wer diese Männer waren. Nur den Namen ihres Sprechers, den kennen wir noch. Er hieß Stephanus. Heute, am zweiten Weihnachtstag, erinnert sich die Kirche ganz besonders an ihn.

Stephanus hatte aber nicht nur ein großes Herz für die Schwachen und Bedürftigen. Er ist auch für seinen Glauben eingetreten, laut und deutlich. Hat für seine Überzeugungen gestritten und sie verteidigt. Das passte nicht jedem. Seine Gegner haben ihn eines Tages vor die Stadt gejagt und ihn dort umgebracht. So wurde Stephanus auch der erste aus der jungen Christengemeinde, der für seinen Glauben in den Tod gegangen ist.

Für mich gehört diese Geschichte des Stephanus zu Weihnachten dazu. Sie erinnert mich nämlich jedes Jahr aufs Neue daran, dass Weihnachten nicht nur ein Fest der wohligen Gefühle ist. Denn sie rückt gerade jene Menschen in den Blick, denen es auch in diesen Tagen nicht gut geht. Menschen etwa, wie die Rentnerin Maria. 

TEIL 2

Weihnachten. Fest des Friedens, der Liebe, der Geschenke und so weiter. Mit keinem anderen Fest verbinden sich so viele Klischees. Die Geschichte des Stephanus, der sich in der jungen Christengemeinde um die Bedürftigen kümmerte, scheint da nicht so richtig zu passen. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Dennoch gehört sie für mich genau hier hin.  Mitten hinein ins Weihnachtsfest. Sie bringt mich bei aller Weihnachtsstimmung auf den Boden der Tatsachen zurück. Denn die Wirklichkeit ist ja nicht nur glitzernd und einladend wie die bunt strahlenden Einkaufspassagen. Menschen, die arm sind, spüren das an Weihnachten vielleicht ganz besonders. Wer einsam ist, empfindet das in diesen Tagen besonders schmerzlich. Und für die, die miteinander im Streit liegen, mag alles Gerede vom Frieden erst mal wie Hohn klingen. Es gibt ganz viele Leben, in denen es auch an Weihnachten nicht glitzert und strahlt.

In unserer Stadt gibt es seit einigen Jahren eine Initiative für alte, arme und einsame Menschen. Getragen wird sie von einem Verein engagierter Christen und der örtlichen Tageszeitung. In den Wochen vor Weihnachten sammeln sie Spenden. Geld, das Menschen zu Gute kommen soll, die es bitter nötig haben. Da wird dann schon mal ein neuer Ofen organisiert, wenn der alte kaputt ist. Oder auch ein warmer Mantel, den sich mancher kaum leisten kann. Und wer einsam in seiner Wohnung sitzt, dem tut es einfach gut, wenn einer vorbei kommt. Mit einem freundlichen Wort und ein bißchen Zeit zum Plaudern im Gepäck. Genau genommen passiert da dasselbe, das auch Stephanus in der jungen Christengemeinde in Jerusalem getan hat: Not lindern und denen helfen, die sich selber kaum noch  helfen können. An Weihnachten feiern wir Christen, dass Gott Mensch geworden ist. Wenn das aber nicht nur eine nette Geschichte bleiben soll, dann muss sie konkret werden. Spürbar. Auch heute noch. Nicht nur an Weihnachten, sondern immer wieder. Dazu braucht es Menschen. Menschen, die sich anrühren und bewegen lassen. Vielleicht will Gott ja immer wieder Mensch werden. Und wie sonst könnte das geschehen, wenn nicht in Menschen?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14400
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