SWR1 3vor8

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Ich bin Peter Kottlorz von der Katholischen Kirche. Einen schönen guten Morgen!
„Truth is a blow into your face“. Wahrheit ist ein Schlag ins Gesicht.
Das hat der amerikanische Schriftsteller Saul Bellow gesagt.
Diese brutale Einsicht ist natürlich nicht die ganze Wahrheit.
Wahrheit kann auch groß sein, schön sein, aber auch überraschend, schockierend und schmerzhaft. Wer das schon erlebt hat durch „Schicksals-Schläge“, weiß wovon ich rede. Die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit, der Seitensprung des Partners oder der plötzliche Tod eines geliebten Menschen.
Mit der Wahrheit muss man sehr behutsam umgehen, weil sie so brutal sein kann. Ihre Unausweichlichkeit, ihre Endgültigkeit und ihre Größe.
In den Texten, die heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen werden geht es genau um sie: die Wahrheit. Aber bei all den schönen weisen und großen Worten bin ich mal wieder bei einem scheinbar unscheinbaren Satz hängen geblieben. Er steht im Johannesevangelium, da sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen.“
„Ihr könnt es jetzt nicht ertragen“. Dieser Satz fällt bei einer Abschiedsrede. Jesus ahnt, spürt oder weiß, was auf ihn und damit auf seine Jünger zukommt. Dass er sterben wird. Und so wie manchmal Menschen andere Menschen trösten, die zurück gelassen werden, so tröstet er seine Jünger. Und er schützt sie. Er erzählt ihnen nicht die ganze Wahrheit. So wie man Kindern auch nicht alles erzählt, weil sie vieles noch nicht verstehen oder ertragen könnten.
Ich kenne diese Situation. Wenn man mehr weiß als andere und sich genau überlegen muss, was man wem sagt oder besser nicht sagt. Manchmal kann es entwürdigend sein, jemanden im Zustand der Unwissenheit zu lassen, manchmal aber auch ein Schutz. Dafür gibt es kein Patentrezept. Es hängt unter anderem von der Situation ab, und vor allem vom seelischen Zustand des Gegenübers.
Was aber immer hilft und richtig ist, ist dem anderen das Gefühl zu geben, dass er nicht allein ist. Dass es Menschen gibt, die da sind, die bei ihm sind, die an seiner Seite sind. Die nicht sein Leben führen, sicher nicht, aber ihn spüren lassen, dass sein Leben weiter geht, was auch passiert ist und dass das auch gut ist.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1428
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