Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Mutig für Menschenwürde, so heißt das Motto für die Friedensdekade 2012, die nächste Woche beginnt. Auf den Plakaten steht es mit weißen Buchstaben auf schwarzem Grund. Davor viele bunte Hände, die sich mutig in die Höhe strecken. Mutig für Menschenwürde.
Menschenwürde klingt irgendwie feierlich. Man kann an unser Grundgesetz denken, wo es im 1. Artikel heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Menschenwürde ist irgendwie kein Alltagswort wie Parkplatz oder Kaffeemaschine. Was es bedeutet, das ist aber für den Alltag. Es sagt: jeder Mensch, jeder Mann, jede Frau und jedes Kind hat einen Wert, hat Würde, weil er oder sie ein Mensch ist. Egal ob er in Miete wohnt oder in einer Villa, egal ob er privat oder pflichtversichert ist, ob er hier geboren ist oder von irgendwo anders her kommt.
Menschenwürde kommt einem Menschen zu, vom ersten bis zum letzten Augenblick. Deshalb ist Menschenwürde nicht zuerst etwas fürs Gesetzbuch oder für den Aktenschrank. Menschenwürde ist zuerst etwas für den Alltag.
Menschenwürde beginnt gleich um die Ecke.
Oder, wie hier bei mir, 100 m weiter, da wo das Alten- und Pflegeheim steht. Wo Frauen und Männer leben, die nicht mehr für sich selbst sorgen können. Sie wissen nämlich nicht mehr, wie das alles geht, was sie früher so selbstverständlich gemacht haben.
Im gleichen Haus arbeiten Männer und Frauen, die diese Menschen pflegen. Sie waschen, anziehen, ihnen das Essen reichen, mit ihnen zur Toilette gehen.
Marina ist so eine Altenpflegerin, wie viele ihrer Kolleginnen kommt sie aus Osteuropa. Sie erzählt: Wenn wir Zeit haben, fahren wir mit ihnen im Rollstuhl um den Block. Manches Mal sehen wir, wie Erwachsene verstört schauen, vielleicht weil der eigene Vater oder die Mutter auch in so einem Heim lebt. Oder Kinder bleiben stehen und fragen, warum der Opa so dick angezogen ist. Es gibt auch welche, die sich laut wundern, dass die Pflegenden heutzutage aus aller Herren Länder kommen. Ob sie die alten Leute überhaupt verstehen? Hoffentlich merken sie, wie liebevoll die Altenpflegerin aus Osteuropa dem alten Herrn im Rollstuhl die Wolldecke über die Knie zieht.
Menschenwürde beginnt gleich um die Ecke.
Im Altenheim. Oder an der Straßenbahnhaltestelle sein, an der Joschi jeden Morgen wartet, bis seine Bahn kommt. Er kann nur einsteigen, wenn ihm jemand dabei hilft. Und meist ist da jemand.
Menschenwürde beginnt gleich um die Ecke.

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