SWR4 Sonntagsgedanken RP

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Teil I

Ein Newweling ist eine kleine, bunte, kegelförmige Kerze.  Er besteht nur aus gedrehtem und mit Kerzenwachs überzogenen Dochten. Es gibt ihn in den Farben Rot, Weiß, Blau, Gelb und Grün.  Durch die Kombination der verschiedenen Wachsstränge ist er recht bunt. Wenn mehrere Newwelinge zusammenstehen, erinnert das eher an einen Kindergeburtstag als an Friedhof und Totengedenken. Sie sind lustig anzuschauen, wie kleine bunte Zipfelmützen schauen sie aus. Aber trotzdem werden sie heute an Mainzer Friedhöfen verkauft und auf die Gräber gestellt. Die Tradition des Newwelings reicht in Mainz bis ins Mittelalter zurück. Bei einigen Vermächtnissen aus dieser Zeit ist eigens vermerkt, dass man zum Gedenken an die Toten Newwelinge abbrennen solle.

Trotzdem: Bunte Kerzen zu Beginn des Totenmonats November auf die Gräber zu stellen, mutet im ersten Moment ein wenig seltsam an. Verbindet man mit dem Monat November doch in erster Linie die Farben grau und schwarz. Eben die Farben, die zu Tot und Trauer passen und damit zu den weiteren Gedenktagen dieses Monats: Volkstrauertag, Buß- und Bettag und Totensonntag. Aber vom heutigen Festtag Allerheiligen her gesehen, ist es richtig, bunte und fröhlich anmutende Kerzen auf die Gräber zu stellen. Denn an Allerheiligen gedenken wir nicht toter, sondern lebendiger Menschen. Denn für uns Christen sind die Verstorbenen nicht einfach tot und weg, sondern wir glauben, dass sie leben werden - wie wir sagen, dass sie auferstehen. Und von den Heiligen glauben wir, dass sie schon auferstanden sind, dass sie schon bei Gott sind. Und das ist ein Grund sich zu freuen, ein Fest zu feiern. Deswegen werden heute Morgen im Gottesdienst auch festliche Lieder gesungen, und der Priester trägt ein weißes Messgewand zum Zeichen der Freude und nicht Schwarz zum Zeichen der Trauer. Das Fest Allerheiligen wurde eigens eingeführt, weil man sehr schnell wusste, dass es viel mehr Heilige gibt als die, die im offiziellen Heiligenkalender stehen. Es gibt viele Heilige, von denen keiner weiß. Und auch die sind alle schon bei Gott. Nicht nur die, die offiziell von der Kirche heilig gesprochen wurden. Das kann ja auch, wie wir bei der Heiligen Hildegard gemerkt haben, manchmal ziemlich lange dauern. Und zu einem Leben bei Gott passen die bunten Newwelinge, die heute in Mainz auf die Gräber gestellt werden. Denn bunt, fröhlich und freudig wird es ja hoffentlich sein, das Leben bei Gott.

Musik

 Teil II

Heute kann man an Mainzer Friedhöfen Newwelinge, kleine bunte Kerzen, kaufen um sie auf die Gräber stellen. Und das passt zum heutigen Festtag Allerheiligen. Denn wir gedenken aller Menschen, die ein heiligmäßiges Leben geführt haben und deshalb nach ihrem Tod nach den Vorstellungen der Kirche schon bei Gott sind. Nun werden diese kleinen bunten Newwelinge aber auch auf Gräber von ganz normalen Menschen gestellt. Menschen von denen wir erstmal nicht davon ausgehen, dass es Heilige waren. Aber ich denke, wir tun das zu recht. Denn heilig bedeutet im ursprünglichen Sinne „zum Göttlichen gehörig". Und wenn wir die christlich-jüdische Tradition ernst nehmen, kommt dies eigentlich jedem Menschen zu. „Gott schuf den Menschen als sein Ebenbild", heißt es im Alten Testament, also irgendwie steckt in jedem von uns auch etwas Göttliches, irgendwie ist jede und jeder auch ein bisschen heilig. Wir sind nicht nur schlecht, auch das Gute wohnt in uns. Aber nicht bei jedem von uns entfaltet sich das Gute, das Göttliche, in gleicher Weise. Viele geben ihrer eigenen Heiligkeit keinen Raum, lassen sie einfach nicht zum Zuge kommen. Und denn noch: Ein ganzes Leben lang lässt sich die Heiligkeit selten unterdrücken, irgendwann blitzt sie mal auf, wenigstens für einige Momente. Irgendwann ist jeder auch mal gut, selbst der größte Schurke. Es gibt viele Menschen, die bedeutend heiliger sind als sie selbst glauben. Und deshalb kann man Newwelinge, kleine bunte Kerzen, auch auf jedes Grab stellen, nicht nur in Mainz. Und damit zum Ausdruck bringen: Hier liegt ein Mensch, dem bei aller Brüchigkeit menschlichen Lebens auch etwas Heiliges zukommt.

Wenn ich es recht bedenke, könnte auch ich, heute auf viele Gräber einen Newweling stellen. Denn es sind mir in meinem Leben viele Menschen begegnet deren Heiligkeit just in dem Moment aufblitzte als wir uns trafen. Menschen, die mir Gutes getan haben. In denen mir ein Stück die Güte Gottes entgegengekommen ist. Die mir gezeigt haben - bei aller Schlechtigkeit auf der Welt  - dass wir Menschen auch ein Abbild des guten Gottes sein können. Der annimmt, verzeiht, liebt und trägt - einfach so ohne Berechnung. An sie möchte ich heute denken.

Das Wort Newweling wird oft mit „Nebellicht" übersetzt. Licht, das mir hilft im nebligen Grau des Novembers meinen Weg zu finden. In diesem Sinne waren diese Menschen Newwelinge in meinem Leben. Und obwohl sie schon verstorben sind, sind sie irgendwie auch lebendig, und die Erinnerung an sie ist bunt - bunt wie ein Newweling.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14118
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