SWR2 Wort zum Sonntag

SWR2 Wort zum Sonntag

Mir fällt in letzter Zeit auf: Immer häufiger prallen entschiedener Atheismus und vollmundiges Bekenntnis zu Gott aufeinander - Gottleugner hier - Gottverehrer da.
Bisweilen stehen sie sich verbissen gegenüber.
(Religiöse Lebensdeutung und areligiöse Lebensdeutung geraten in Konfrontation zueinander.)
Nicht nur in Deutschland..
Gibt es Brückenmenschen, die diese heftigen Reaktionen verstehen helfen?
Der Schriftsteller Martin Walser ist für mein Empfinden zu so einem Brückenmenschen geworden - für Atheisten.
Er äußerte unlängst: "Wenn ich von einem Atheisten, und sei es von einem „bekennenden", höre, dass es Gott nicht gebe, fällt mir ein: Aber er fehlt. Mir." „Gott ist nicht tot, er fehlt mir." (Luzern, 27.8.12 - zit. n. : kipa)
Kein vollmundiges Bekenntnis ist das. Kein Glaubensinhaber spricht hier. Martin Walser gibt auf diese Weise erst einmal eine Verlustanzeige auf. Seine erste Aufgabe beschreibt Walser so: Wie fehlt Gott mir?
(In: Über Rechtfertigung, Eine Versuchung, Hamburg 2012, S.33)
Sich über den Inhalt der Verlustanzeige klar zu werden. Das ist das erste. Erspüren: Inwiefern fehlt mir Gott? Was habe ich verloren?
Was schmerzt? Woher rührt mein Verlustschmerz?
Meine erste Begegnung mit einem Menschen, der Gott verloren hat, geht zurück in meine Kindheit. Es war ein Schulfreund - wir waren beide 12 Jahre alt - er hatte seinen Vater verloren, für den er so sehr gebetet hatte. Und so war er Atheist geworden, aus Erfahrung, aus tiefer, schmerzensreicher Erfahrung. Respekt für Atheisten aus Erfahrung. Respekt für Gottleugner, das habe ich in dieser Begegnung für mein Leben gelernt.
Eine Verlustanzeige, wie sie Martin Walser ausspricht, habe ich damals von meinem Freund nicht gehört. Das war nicht dran. Und braucht mitunter viel Zeit, Jahre und Jahrzehnte.
Genau das wäre, wie es Martin Walser für sich sagt, ein erster Schritt: Die Empfindung zulassen: Gott fehlt mir.
Erst dann könnte eine intensive Suche beginnen - eine, die vom Verlangen getrieben ist, Gott zu finden. Denn wer nach Gott nicht verlangt, wer ihn nicht braucht, wer ihn als überflüssig empfindet, wer ihn ablehnt, der sucht, wenn er überhaupt sucht, mit Vorliebe überall dort, wo er nicht zu finden ist. Um sich wieder und wieder zu beweisen: Gott gibt es nicht!
Darum: Nur wo ich Gott vermisse, mache ich mich auf die Suche und kann ihn womöglich finden, wieder neu finden.
Genau diesen Weg beschreibt der Prophet Jeremia in seinem Brief an die religiös ortlos Gewordenen, die ihre religiöse Heimat, ihr Zuhause, ihre innere Mitte verloren haben, die zu Fremden geworden sind.
Er schreibt von der Einladung Gottes, IHN zu suchen:
„Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
so will ich mich von euch finden lassen ... „ (Jeremia 29,13b+14a)
Gott lädt ein, ihn zu suchen - und - mehr noch - er kommt Suchenden offfenbar auch ein Stück weit entgegen. Heißt es doch: „Ich will mich von euch finden lassen."
Das ist ein wunderbarer Ausdruck, finde ich:
Gott will sich finden lassen.
Das kommt mir vor wie bei einem Versteckspiel mit Kindern.
Wenn ein kleines Kind sucht und sucht und sucht und den Versteckten nicht findet, dann lässt der sich finden, dann raschelt er im Gebüsch, dann streckt er einen Fuß oder eine Hand vor, dann gibt er etwas von sich zu erkennen, damit die Suche ein Ende und Erfolg hat.
Suchen nicht mit kühlem, berechenden Kopf - sondern mit Empathie, mit Schmerz und Freude - mit dem Herzen.
Ich wollte als Jugendlicher mit brennendem Herzen ein Teil der Schöpfung sein, mich als Gottes Geschöpf entdecken.
Ich werde den Ort und das Licht niemals vergessen, da mir dies zur Gewissheit wurde.
Meine Suche geht weiter.
Manchmal unter Schmerzen und Fragen - wenn ich nicht mehr weiß, wo tröstet, wo begleitet mich Gott, wie steht er mir bei - Jetzt.
Dann fehlt er mir.
Ich will aber auch das Schwere nicht ohne Gott verstehen/erleben.
Darum suche ich weiter - ermutigt von seinem Versprechen:
„Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
so will ich mich von euch finden lassen ...
„ (Jeremia 29,13b+14a)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=14077
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