SWR4 Abendgedanken BW

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Ich bin schon so oft im Stich gelassen worden! Wenn ich wollte, ich könnte meine Lebensgeschichte auch als eine Kette von solchen Situationen erzählen, in denen Menschen mich im Stich gelassen haben.
Es hat mich selbst überrascht, aber als ich angefangen habe, Gott zu vertrauen, da habe ich auch zum Vertrauen zu Menschen zurückgefunden.
Das ist schon zweieinhalb Jahrzehnte her, und ich denke, ich habe darin jetzt einige Erfahrung.
Vertrauen muss man sich verdienen - das sagt man ja so. Das hat seine Berechtigung. Also: Wie hat Gott sich mein Vertrauen verdient?
Das ging nicht von heute auf morgen. Ich habe mir zum Beispiel einige der Momente genauer angeschaut, in denen ich in meinem Leben plötzlich ganz allein dagestanden hatte, von allen Menschen verlassen.
Wo war Gott da, habe ich mich gefragt. Wo war er zum Beispiel, als meine Mutter mich nicht bei sich behalten konnte und ich ins Kinderheim kam?
Viel zu schnell, das habe ich gemerkt, habe ich die Antwort gegeben: „Er war nicht da, sonst hätte er mir doch geholfen, sonst hätte er das doch verhindert."
Mit etwas mehr Nachdenken und Hinschauen habe ich gemerkt, er war da und er hat mir Kraft gegeben.
Vor 25 Jahren hatte ich Gelegenheit, mit der Mitarbeiterin des Jugendamtes zu sprechen, die mich als Säugling ins Heim gebracht hatte. „Es ist erstaunlich, dass sie heute so leben, das ist nicht bei Vielen so", hat sie mir sehr überrascht gesagt. Und da habe ich das erste Mal gedacht: „Es ist erstaunlich, dass ich überhaupt lebe! Da hat mich jemand geschützt."
Ich habe angefangen, ausgerechnet an den einsamsten Stellen meines Lebens zu entdecken, dass da jemand gewesen sein muss, der mich gehalten hat, der mir Kraft gegeben hat und mich nicht allein gelassen hat. Er war da. Immer.
Und heute könnte ich meine Lebensgeschichte auch als eine Kette von Situationen erzählen, in denen Gott da war. Und deshalb bin ich der geworden, der ich heute bin.
Ich vertraue Gott. Ich habe gelernt, anders hinzuschauen.
Und weil ich Gott vertrauen gelernt habe, vertraue ich auch den Menschen wieder. Manchmal werde ich enttäuscht. Aber selbst wenn ich wieder einmal im Stich gelassen werden sollte: Was soll mir passieren? Ich glaube daran: Gott ist da.

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