Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Festtagsstimmung herrscht heute in Santiago de Compostella: Es ist Jakobus-Tag. Jakobus ist einer der zwölf Apostel, die Jesus berufen hat. Legenden zufolge soll er den christlichen Glauben nach Spanien gebracht haben, dann aber wieder ins heimatliche Palästina zurückgekehrt sein. Nach seinem Märtyrertod hätten ihn seine Jünger schließlich in Spanien begraben - eben an der Stelle, die heute - nach dem Heiligen und dem lateinischen Wort für „bestatten" (= componere) benannt - „Santiago de Compostella" heißt. 
Seit dem frühen Mittelalter hat sich hier ein Wallfahrtswesen entwickelt, das dem Brauch, nach Jerusalem an die heiligen Stätten und nach Rom an die Gräber der Apostel Petrus und Paulus zu pilgern, in nichts nachsteht. Bis heute ist das aktuell: Den „Camino", den Jakobsweg zu gehen, lockt seit rund vierzig Jahren immer mehr Menschen aus ganz unterschiedlichen Motiven auf die Wanderschaft. Warum? 
In unserer Stuttgarter Gemeinde wollten wir das herausfinden, allerdings ohne gleich den ganz großen Schritt ins spanische Galizien zu tun. Da unser Gemeindegebiet weitläufig ist - es umfasst große Teile Württembergs - beschränkten wir uns auf eine Strecke vor der Haustür. In mehreren halbtägigen Etappen liefen wir von Winnenden nach Rottenburg auf einem Weg, der höchst offiziell „Jakobsweg" heißt und mit entsprechenden Wegweisern ausgestattet ist. Persönlich erlebte ich, dass jede Etappe für mich ein neuer Aufbruch war: heraus aus meinem beruflichen und privaten Alltag, heraus auch aus so mancher Bequemlichkeit. Das Gehen hatte, obwohl immer wieder auch beschwerlich, etwas Entspannendes und Wohltuendes, die Stille etwas Friedvolles. Eine besondere Erfahrung war, auch dann zu gehen, wenn es regnete oder wenn Schnee lag; im Nachhinein scheint mir das lebensnah zu sein, insofern, dass es im Leben unvorhersehbare Situationen gibt, durch die ich hindurch muss, auch wenn ich mich am liebsten vor ihnen drücken möchte. Unabhängig davon, wo ich den Camino gehe oder ob ich ihn tatsächlich bis Santiago de Compostella gehe - das Gehen erinnert daran, dass das ganze Leben ein Unterwegssein ist. Vielleicht sagen deshalb so viele: „Der Weg ist das Ziel."

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