Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Bei Dir ist das Glas auch immer eher halb voll, als halb leer", sagt ein Jugendlicher zu mir. Da kann ich ehrlicherweise nur zustimmen: Ich bin überzeugt, dass fast in allen Dingen auch etwas Gutes stecken kann. Aber ich weiß, dass mein Optimismus manchmal für andere anstrengend ist. Und ab und zu werde ich deshalb auch nicht ganz ernst genommen. Das ärgert mich. Denn mir wird dabei unterstellt, dass ich erst einmal mehr vom Leben mitbekommen soll. Dass ich halt noch jung und naiv bin. Wenn ich mir die Lage der Kirche anschaue, muss ich allerdings zugeben, dass auch mir oft ganz anders wird. Und ich kann die Klagen und resignierten Aussagen gut verstehen, wenn es heißt: „Wir werden eh immer weniger" - „Wer ist denn heute noch Christ?" und „Die Kirche ist sowieso veraltet." Ja, die Realität ist oft ernüchternd : Wenn man nach der Erstkommunion kaum mehr eine Familie in der Kirche sieht; wenn neue Aktionen ausprobiert werden und kaum jemand kommt; wenn alte, eigentlich überholte Strukturen der Kirche verhindern, dass Neues entstehen kann. Das ist nicht leicht zu verkraften. Besonders, wenn man selbst viel Herzblut hineingesteckt hat. Dennoch: Ich bewundere Menschen, die trotzdem weitermachen; die nicht nachlassen in ihrem Engagement. Die das Leben voller Zuversicht angehen können. Ich meine nicht diejenigen, die die Welt durch eine rosarote Brille betrachten. Sondern diejenigen, die - auch in der Kirche - die feste Zuversicht haben, dass es irgendwie weitergehen wird. Dass sich die Botschaft Jesu durch die Zeit trägt. Wie es auch immer in und um die Kirche bestellt sein mag. Der Theologe und Schriftsteller Lothar Zenetti hat ein wunderbares Gedicht geschrieben. Es macht Mut, die Dinge anders zu betrachten. Zenetti schreibt: Es ist nicht zu leugnen: was viele Jahrhunderte galt, schwindet dahin. Der Glaube, höre ich sagen, - verdunstet. Gewiss, die wohlverschlossene Flasche könnte das Wasser bewahren. Anders die offene Schale: sie bietet es an. Zugegeben, nach einiger Zeit findest Du trocken die Schale. Das Wasser schwand. Aber merke: die Luft ist jetzt feucht. Wenn der Glaube verdunstet, sprechen alle bekümmert von einem Verlust. Und wer von uns wollte dem widersprechen? Und doch: einige wagen trotz allem zu hoffen. Sie sagen: spürt Ihr's noch nicht? Glaube liegt in der Luft!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13114
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