SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1
Weit zurück liegt die Zeit, als man uns das Kinderlied vom kleinen Hänschen gesungen hat, das voller Neugierde in die Welt hinaus wandert. „Stock und Hut stehn ihm gut, ist auch wohlgemut“. Mittlerweile sind wir selber Eltern geworden, vielleicht schon Großeltern, haben Kinder und Enkelkinder. Doch die Erfahrungen des kleinen Hänschen sind zeitlos. Solange es Kinder gibt, werden sie es dem kleinen Hans nachmachen: wollen entdecken und erforschen, die große unbekannte Welt in Besitz nehmen. Da probieren sie es aus: Wie weit darf ich mich und wie weit kann ich mich entfernen, ohne dass es für mich und meine Eltern schlimm wird? Die sieben Jahre, die der kleine Hans in der Fremde verbringt, sind heute für ein Kind - für eine Kathrin, einen Luca oder Finn - vielleicht ein Vormittag in der Schule, ein paar Stunden im Kindergarten oder auf dem Spielplatz, für den groß gewordenen Hans werden sie später die Ausbildung sein, der Anfang im Beruf oder die Gründung einer eigenen Familie.
Was hilft Hänschen, was hilft Kathrin und Luca, dass sie sich auf den Weg machen können? Am Anfang vielleicht vor allem das Gefühl: Ich kann jederzeit zurück kommen.
„Doch die Mutter weinet sehr, hat ja nun kein Hänschen mehr“. Der kleine Hans braucht anscheinend diese Vorstellung. Vielleicht kann er irgendwann die Trennung nicht mehr aushalten. Mit dem Bild der weinenden Mutter im Kopf kann er erleichtert in die Geborgenheit zurückkehren: Ich kann meine traurige Mutter doch nicht allein lassen.
Und irgendwann werden die groß gewordene Kathrin, der erwachsene Luca oder Finn ihren Weg gehen und auch das Recht auf den eigenen Umweg beanspruchen. Diese Erfahrungen werden sie verändern.
Wenn sie hin und wieder in ihr altes Zuhause zurückkehren, dann werden sie verändert zurückkommen. Schön, wenn dann eine Kathrin, ein Luca, ein Finn wie der Hans in der ursprünglichen Fassung des Liedes empfangen wird: „Hans, mein Sohn, grüß dich Gott, mein Sohn“. Schön, wenn unsere Kinder von den guten Wünschen derer begleitet werden, die zu Hause bleiben. Statt zu sagen „Du kannst ruhig gehen, aber du wirst schon sehen, was du davon hast“, wünschen wir ihnen das Glück des mitgehenden Gottes: „Du sollst gesegnet sein, wenn du fort gehst und wiederkommst“ (Ps. 121); denn der Herr behütet deinen Ausgang und deinen Eingang. So jedenfalls steht es in einem anderen, noch viel älteren Lied, nämlich in den Psalmen, dem alten jüdischen Gesangbuch. Aus dem Gewohnten weggehen und zurückkommen dürfen und von Segenswünschen begleitet sein, so lernt man das Erwachsenwerden.

2. Teil
Für Eltern ist es manchmal schwer, dem Erwachsenwerden, diesem Entdecken und Erproben, dem Weggehen und dem Wiederkommen der Kinder zuzusehen. Aber ich glaube, wir Eltern müssen es uns nicht so schwer machen. Es genügt, wenn wir unseren Kindern zutrauen, dass sie einen guten Weg im Leben gehen. Es genügt, sie mit guten Gedanken ihren Weg gehen zu lassen, sie also zu segnen.
„Du sollst gesegnet sein, wenn du fort gehst und wiederkommst“ (Ps. 121); denn der Herr behütet deinen Ausgang und deinen Eingang. Was ich da in der Bibel finde, sagt mir: schon immer haben sich Menschen darauf verlassen: Gott wird mit denen gehen, die uns verlassen. Wo wir nichts mehr tun können, da wird er sie begleiten. Das hat ihnen den Abschied leichter gemacht und das Warten. So können auch Eltern sich selbst und ihre Kinder dem Segen Gottes anvertrauen.
Dieser Segen wird zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich konkret. Joachim Scharfenberg, ein Theologe und zugleich Psychotherapeut, erinnert sich:
„Meine Mutter segnete mich, als sie mich an ihre Brust legte oder mir die Flasche gab. Mein Vater segnete mich, wenn er Nein sagte. Meine Geschwister segneten mich, indem sie mir ermöglichten, anders zu sein als sie. Menschen segneten mich, indem sie Vorbild waren, andere, indem sie mir zeigten, was ich nicht sein wollte. Gott segnet mich, indem er elementare Bedürfnisse befriedigt und indem er Nein sagt. Gott behütet mich, indem er mir zeigt, wie ich sein kann und wie nicht. Heißt ein Gesegneter sein vielleicht einfach ich selbst sein können?“
Gott hat mich gesegnet. Wenn Eltern für sich und ihre Kinder darauf vertrauen, dann können sie sich dem Leben anvertrauen. Dann wird einem Kind nicht immer nur das angstvolle alte Lied gesungen. Das geht gewissermaßen nach der Melodie: „Freu dich nicht zu früh, der Ernst des Lebens kommt noch“. Das einzige, was unser Kind lernt, ist dann: Wenn die Freude spärlich bleibt, dann bleiben auch mögliche Enttäuschungen erträglich.
Dagegen können Eltern, die auf Gottes Segen vertrauen, ein anderes, ein neues Lied singen. Sie können ihren Kindern sagen: Du, es stimmt nicht, was manche Leute glauben: „Vögel, die am Morgen singen, holt am Abend die Katz“. Du kannst ganz mutig und fröhlich in jeden neuen Tag gehen. Weder Kinder noch Erwachsene müssen ängstlich mit eingezogenem Kopf durch den Tag laufen. Gott begleitet dich und uns mit seinem Segen.
Natürlich können wir nicht wissen, was auf uns und unsere Kinder im Leben alles zukommen wird. Doch eine Kathrin, ein Luca und ein Finn sollen nicht bloß auf mögliche Niederlagen und Enttäuschungen warten. Wir Eltern und Großeltern können ihnen helfen, auf Gottes Begleitung zu hoffen. Dann werden sie nicht sang und klanglos ihren Lebensweg gehen, sondern einstimmen in die Erfahrung des Psalmbeters: „Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1265
weiterlesen...