SWR4 Abendgedanken RP

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„Meine Tochter will immer nur Geld von mir", beklagt sich die Frau am Telefon. Nein, sie ist nicht zufrieden. Sie ist einsam. Hat kaum Kontakte. Und auch die Tochter ruft nicht an. Nur, wenn sie Geld will. „Und", frage ich, „geben Sie ihr Geld?" Die Frau muss schlucken. Ja, sie gibt Geld, zum Geburtstag, zu Weihnachten, an Ostern. Vielleicht braucht die Tochter das Geld, denke ich. Aber dann stellt sich heraus: Die Tochter hat einen Beruf, verdient gut. Und: Sie ist schon fast vierzig.
Ich versuche mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal Geld von meinen Eltern bekommen habe. Da war ich vielleicht Mitte zwanzig. Als ich noch studiert habe. Und was war das für ein Gefühl, als ich dann meine erste Stelle hatte, mein erstes Gehalt bekam. Das war Freiheit pur. Die Eintrittskarte in die Erwachsenenwelt.
„Warum geben Sie ihr Geld?" will ich von der Frau am Telefon wissen. „Na ja, " sagt sie, „weil ich sie liebe." „Und lieben Sie sie weniger, wenn Sie ihr kein Geld geben?" frage ich. „Nein," sagt die Frau, „die Liebe bleibt." Wir überlegen, was passiert, wenn es kein Geld mehr gibt. „Vielleicht", sagt die Frau, „will sie dann nichts mehr mit mir zu tun haben. Bricht den Kontakt ab." Langsam kommen wir auf den Kern des Problems. Da haben Mutter und Tochter jahrelang Liebe und Geld miteinander verbunden. Die Tochter ist nur freundlich, wenn's Geld gibt, die Mutter erkauft sich mit jedem Geldgeschenk ein bisschen Aufmerksamkeit. Ein schlechtes Geschäft. Für beide Seiten. Weil es abhängig macht. Weil es Beziehung allein übers Geld definiert. In vielen biblischen Texten erscheint Gott als ein Gott, der bedingungslos liebt. Liebe ist an nichts geknüpft. Sie ist einfach da. Gott mag das leicht fallen. Unter Menschen fällt das schwer. Bedingungslos lieben - und bedingungslos geliebt zu werden. Das ist die hohe Kunst der Beziehung. Aber sie lohnt sich, für alle. Weil erst dann nicht Geld oder anders im Mittelpunkt steht, sondern der Mensch. Weil ein neuer, offener Blick füreinander möglich ist. Auch für Mutter und Tochter.

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