Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Es scheint das 11. Gebot unserer Tage zu sein: „Du sollst nicht langweilen!" Im Fernsehen muss alles spaßig, spannend oder neu sein, damit nur ja keiner abschaltet. In Gesellschaft und Kultur müssen Events her, damit die Leute angelockt werden. Und auch im Privatleben muss immer was passieren, damit nur ja keine Langeweile aufkommt. Und es ist ja auch wahr, was soll ich meine kostbare Lebenszeit mit gähnender Leere verschwenden. Es gibt aber Menschen, die Sätze auf Lager haben wie diesen: „Langeweile ist die Windstille der Seele." Wow, „Windstille der Seele" das klingt nicht nur gut, was der „alte Nietzsche" da gesagt hat, es ist so überraschend wie wahr. Es gibt sogar Menschen, die die Langeweile als eine spirituelle Grundübung bezeichnen. Wenn einem langweilig ist, so sagen sie, dann befindet man sich „in einem fruchtbaren Zustand der Reizlosigkeit", einer so gesunden wie notwendigen Wunschlosigkeit. Wenn äußerlich nichts passiert, wenn die Zeit gedehnt wird, wenn das Verweilen bei mir selbst lang wird, länger als gewohnt, dann kann die Seele zur Ruhe kommen, kann es windstill werden in meiner Seele. Und so wie ich nur bei ruhiger See abtauchen kann, so kann ich auch nur in tiefere Zonen meiner Seele kommen, wenn es still ist in mir. Dort hin, wo die Ängste, die Schmerzen, die Sehnsüchte und Hoffnungen wohnen, die im Alltag, bei der Arbeit oder den verschiedenen Zerstreuungen verborgen sind. Immer wieder an diese Orte zurückzukehren, ist nicht nur eine Frage der seelischen Gesundheit, sondern auch die Voraussetzung für jede Art von Religion. Denn nur durch die Einkehr bei mir selbst, kann auch der Nächste oder gar Gott bei mir einkehren. 
Aber so schön, sinnvoll und notwendig das auch alles ist, irgendwann muss das Schiff auch wieder fahren. Denn nur mit Windstille lässt sich's  ja auch nicht leben. Der Wechsel macht's. Der Wechsel zwischen Arbeit und Nichtstun, zwischen Anspannung und Entspannung, Oberfläche und Tiefe. Die Adventszeit, die gestern begonnen hat, ist eine gute Gelegenheit sich auf diesen Wechsel einzulassen.

Peter Kottlorz, Katholische Kirche, Rottenburg

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11983
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