Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Heute ist ein guter Tag, um etwas Mutiges zu tun. Vielleicht nicht ganz so mutig wie das, was der Prophet Natan getan hat. Von dem erzählt die Bibel: Eines Tages bekommt er den Auftrag von Gott, dem König eine unschöne Wahrheit ins Gesicht zu sagen. „Du bist ein Verbrecher", soll der Prophet ausrichten. „Du hast deine Macht ausgenutzt. Du hast einem anderen zuerst die Frau und dann das Leben genommen. Das bleibt nicht ungestraft." Natan muss damit rechnen, dass der König jetzt ihn umbringen lässt, um seine Untaten zu vertuschen. Aber er sagt dem Landesherrn dennoch, was er falsch gemacht hat. Mir fällt das manchmal nicht so leicht. Ich suche erst einmal nach Erklärungen, nach Entschuldigungen für das, was andere getan haben. Dann muss ich mich nicht einmischen. Mich einmischen ist mir unangenehm. Wegsehen ist einfacher. Vor kurzem habe ich in einer Bäckerei miterlebt, wie ein Kind in der Schlange der Wartenden übergangen wurde. Ich habe das zunächst gar nicht gemerkt. Und als ich es dann gemerkt habe, da habe ich gedacht: „Vielleicht hatte die Frau es ja sehr eilig, die da über das Kind hinweg ihre Bestellung aufgegeben hat." Andere hätten vielleicht gedacht: „Das ist ein Kind. Das hat ja Zeit. Das bringt es nicht um, wenn es mal ein bisschen warten muss." Es gibt immer unterschiedliche Sichtweisen, wie man etwas betrachten kann. Wirklich? „Pluralistische Ignoranz" nennen Fachleute für Zivilcourage es, wenn man einfach nicht wahrhaben will, was passiert und Entschuldigungen findet für etwas, das doch eigentlich ganz eindeutig ist. In der Bäckerei wird man der Reihe nach bedient. Sich vordrängeln ist unfair. So ist das. Ich möchte nicht, dass Kinder als Menschen zweiter Klasse gelten, die man übergehen darf. Und ich möchte nicht, dass jemand sich einfach vordrängeln darf, ohne um Erlaubnis zu fragen. Trotzdem erkläre ich mir das Unrecht anderer manchmal „zurecht". Vielleicht, weil ich dann nichts tun muss? Für den Propheten Natan damals gab es diese Möglichkeit nicht. Er konnte sich und den Missetäter nicht herausreden. Ihm sagt Gott höchstpersönlich: „Mir gefällt das ganz und gar nicht, was der König getan hat." Und damit hat Natan einen Wert-Maßstab, mit dem er einschätzen kann, was richtig und was falsch ist. Werte schützen vor dem Wegsehen. Dem Propheten Natan hat Gott gesagt, dass da ein Unrecht geschieht und dass der Prophet sich einmischen soll. Mir und Ihnen hat er Werte gegeben, damit wir einschätzen können, was richtig ist. Heute ist ein guter Tag, um mit Gott etwas Mutiges zu tun. Ich bete, dass Sie und ich nicht wegsehen.

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