Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wir reden viel, wenn der Tag lang ist. Vor allem über andere, auch aneinander vorbei. Manchmal ist es klug zu schweigen, und manchmal ist es klug zu reden. Vor allem dann, wenn es darauf ankommt. Zum Beispiel habe ich einen Betrieb kaputt gehen sehen, weil die beteiligten Familienangehörigen nicht miteinander geredet haben, sondern einander zwischen Tür und Angel immer nur Wortbrocken hingeworfen haben. Ich habe eine Ehe zerbrechen sehen, weil beide nicht miteinander geredet haben und sich immer fremder geworden sind, stumm und sprachlos.  Eine Studie von UNICEF über die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen in Industrieländern kam zu dem erschütternden Ergebnis: Deutschland gehört zu den Ländern, in denen in vielen Familien „zu wenig" oder „nie richtig" mit den Kindern geredet wird. Das führt oft zu seelischer Verwahrlosung mit schlimmen Folgen. Warum fällt es uns so schwer, miteinander zu reden? - Vielleicht trau ich mich nicht, habe Sorge, dass ich mir den Mund verbrenne. Vielleicht will ich den anderen nicht verletzen. Weil mein Gegenüber sofort beleidigt ist oder ein Wort zur Sache gleich persönlich nimmt. Und keiner vom anderen weiß, wie etwas ankommt. Vielleicht kann ich auch einfach nicht. Weil ich beleidigt bin, verletzt. Trotzdem sollten wir es immer wieder probieren, miteinander zu reden. Zuhören können ist dabei eine wichtige Voraussetzung. Gut hin hören, anteilnehmend hören - das ist die Grundlage jeden guten Gesprächs. Der Benediktiner Pater Anselm Grün sagt: „Im Gespräch treten wir in das Heiligtum des anderen ein". Das Heiligtum des anderen, darunter verstehe ich die Seele, dieser innerste Raum eines Menschen, der so kostbar ist und so verletzlich. Der Ruhe, Vertrautheit und Geschütztheit braucht, um behutsam betreten zu werden. Wenn so reden und einander zuhören möglich ist, dann können Menschen Geborgenheit spüren und das, worauf es im Leben ankommt: Respekt, Vertrauen, Nähe. Und wenn sie verletzt worden sind, hoffentlich die lösende Kraft spüren, die Worte auch bewirken können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11255
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