SWR4 Abendgedanken RP

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Häuser und Kirchen verschwinden nicht so schnell. Sogar nach einer Katastrophe, wie einem Erdbeben, oder nach einem Bombenangriff, bleiben zumindest Schuttberge übrig. Und trotzdem heißt eine derzeitige Ausstellung im Mainzer Diözesanmuseum: „Der verschwundene Dom." Aber - er steht doch seit tausend Jahren in Mainz, weithin sichtbar. Wieso also - „Der verschwundene Dom"? Natürlich soll dieser Titel neugierig machen, denn das Dom- und Diözesanmuseum will mit der Ausstellung zeigen: Das romanische Gotteshaus existiert zwar seit tausend Jahren, hat aber viele Verwandlungen erlebt. Erzbischof Willigis hat ihn als große Anlage geplant, fast wie einen Palast. Der Dom sollte den weltlichen Herrschern Respekt einflössen. Später wurde der Dom immer wieder verändert. Im Mittelalter sah der Dom ganz anders aus als heute; im vorletzten Jahrhundert war der Dom innen sogar ganz bunt ausgemalt. Heute unvorstellbar. Die Sonderausstellung, noch bis Mitte Oktober zu besichtigen, zeigt also überraschende Einblicke in die verschiedenen Gesichter des Mainzer Doms. Und sie macht vor allem eins deutlich: Jede Epoche hat dem Gotteshaus ihren Stempel aufgedrückt.
Zum Beispiel wurde der Turm vergrößert, der gotische Marienaltar und das Grab des Sozialbischofs Ketteler sind Orte des Stillen Gebetes geworden, und später hat man die trennende Absperrung zwischen Altar und Gemeinde, also den Lettner, entfernt. Jede Veränderung zeigt: der Dom ist kein Museumsgebäude, sondern steinernes Glaubenszeugnis.  Am Dom wird seit tausend Jahren gearbeitet, renoviert, verändert, verbessert. Er hat Kriege, Brandkatastrophen und Umweltveränderungen überstanden. Deshalb ist das gemauerte Gotteshaus ein Symbol für die Treue Gottes zu den Menschen. Gott begleitet die Menschen durch die Geschichte. Er ist ein Spiegelbild unserer Zeit, unserer Fragen und unseres Lebens. Deshalb ist der Dom eigentlich nicht verschwunden, sondern verwandelt.
Insofern ist er auch ein Sinnbild für uns Menschen; wir verändern uns und verwandeln uns ständig. Deshalb können wir hoffen, dass wir mit dem Tod nicht einfach verschwinden, sondern verwandelt werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11157
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