SWR4 Abendgedanken RP

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Heute knallen in Übersee die Sektkorken und in vielen großen Städten Amerikas gibt es spektakuläre Feuerwerke: Independence Day - der Tag der amerikanischen  Unabhängigkeit. Am 4. Juli 1776 haben sich die damals dreizehn vereinigten Staaten von Amerika von der britischen Krone losgesagt und die Unabhängigkeitserklärung. Besonders auf einen Gedanken haben sie sich dabei gestützt: alle Menschen haben ein Recht auf Leben, auf Freiheit und auf das Streben nach Glückseligkeit, denn vor Gott sind sie alle gleich.
Während meines Studiums habe ich eine zeitlang in Amerika verbracht. Natürlich gibt es auch dort Licht und Schatten, aber ich erinnere mich gerne an diese Zeit. Besonders weil ich als Ausländer den Eindruck hatte, willkommen zu sein. Die Freundlichkeit der Menschen im Alltag hat mir das Gefühl vermittelt: Du bist schon okay. Nicht selten wird diese Freundlichkeit bei uns als oberflächlich abgetan, Smalltalk eben. Aber ich sehe das anders: wenn ich mich entscheiden muss zwischen einem freundlichen Smalltalk oder einem griesgrämigen Gesicht, dann entscheide ich mich für den Smalltalk. An der Kasse im Supermarkt zum Beispiel: Wenn es hier etwas länger dauert, geht ein ungeduldiges Grummeln durch die wartende Schlange und die Leute werden unruhig - als ob es auf die halbe Minute ankäme. Entweder hat dann die Frau an der Kasse Stress, weil sie die Quittungsrolle wechseln muss, oder ich, weil ich meine Sachen nicht schnell genug einpacken und gleichzeitig das Wechselgeld in den Geldbeutel stecken kann. Anders in Amerika: eine lange Schlange, viel los, und trotzdem höre ich an der Kasse ein freundliches „Hello" und ein freundliches „Good-Bye". Ohne Stress verstaue ich meinen Kram und vielerorts gibt es dabei - gerade für ältere Leute - sogar Hilfe. Mir fallen noch mehr solcher Beispiele ein, die mir das Gefühl geben, du bist so in Ordnung wie du bist: das meist entspannte und rücksichtsvolle Fahren auf dem Highway; das kostenlose Wasser, dass selbstverständlich in jedem Restaurant auf dem Tisch steht oder mein Professor, der mich „einfach so" zum Essen einlädt.
Daran denke ich gern, auch heute, wenn die Amerikaner ihre Unabhängigkeit feiern. Es passt gut zu dem Grundgedanken des Festes: vor Gott sind wir Menschen gleich, für ihn sind wir gleich wertvoll. Da ist es nicht so wichtig, wenn es z.B. an der Kasse etwas länger dauert. Ich möchte lieber denken: Du bist okay und ich bin okay.

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