SWR4 Abendgedanken BW

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Neulich sagte jemand: Mich interessieren vor allem die Randfiguren. Deshalb lese ich die Zeitung von hinten.
Über so eine Randfigur möchte ich heute Abend berichten. Ich kenne sie nicht aus der Zeitung, sondern aus der Bibel: die Frau des Pilatus. Nur ein Vers erzählt von ihr, aber je länger ich darüber nachdenke, umso mehr bewegt er mich.
Ich stelle mir vor:
Sie weiß: ihr Mann, der römische Statthalter, sitzt heute wieder auf seinem Richterstuhl. Von einem Diener lässt sie sich berichten, worum es diesmal geht. Der erzählt: Die Hohenpriester und Ältesten hätten einen besonderen Gefangenen gebracht: Jesus. Pilatus solle ihn wegen Gotteslästerung und Aufruhr hinrichten lassen. Pilatus halte den Mann zwar für unschuldig, doch der politische Druck auf ihn sei sehr groß.
Da schreibt sie in großer Erregung ein paar Sätze auf und schickt den Diener zu Pilatus.
Lass die Hände von diesem Mann, er ist unschuldig. Ich hatte seinetwegen heute Nacht einen schrecklichen Traum.
Ob sie schon vorher einiges über Jesus gehört hatte, weiß ich nicht. Der Traum in der Nacht jedoch war so eindeutig, dass sie etwas unternehmen muss, um den Unschuldigen zu retten und um ihren Mann davor zu bewahren, schuldig zu werden am Tod eines Unschuldigen.
Aber sie hatte keinen Erfolg. Gegen seine Einsicht beugt sich Pilatus dem politischen Druck und lässt Jesus kreuzigen.
Was hat sie zu Pilatus gesagt, als er am Abend nach Hause kam? Und was hat er zu ihr gesagt?
Hat sie ihn angeschrien, dass alles Wasser der Welt nicht die Schuld und das Blut wegwaschen könne, das nun an seinen Händen klebt?
Hat er ihr vorgeworfen, deine Botschaft hat mich mitten in der Verhandlung gestört, deshalb habe ich die Situation falsch eingeschätzt und keine gute Lösung gefunden?
Oder sind beide verstummt, weil sie keine Worte fanden für die schreckliche Einsicht: wir haben den Tod eines Unschuldigen nicht verhindert?
Ich weiß nicht, wie die beiden für den Rest ihres Lebens damit fertig geworden sind.
Pilatus ist bald darauf wieder nach Rom zurückgekehrt. Seine Frau soll, so wird später erzählt, in Rom die Nähe zur christlichen Gemeinde gesucht haben.
In der griechischen Kirche wird sie sogar als Heilige verehrt, weil sie den Mut hatte, sich für einen Unschuldigen einzusetzen. Im ganzen Prozess gegen Jesus war sie der einzige Mensch, der für ihn eintrat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10494
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