SWR4 Abendgedanken BW

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Wenn Sie ein Beispiel bräuchten für die Erfahrung: die Kleinen müssen dafür bluten, wenn die Großen ihre Machtspiele treiben, dann hätte ich eins, Malchus nämlich.
 Er spielt in den Ereignissen, die zur Verhaftung und Hinrichtung Jesu geführt haben, nur eine kleine Nebenrolle, aber er wird ausdrücklich erwähnt und bekommt im Johannes-Evangelium sogar einen Namen.
Und mit dem Namen bekommt er für mich, in meiner Phantasie auch ein Gesicht und eine Geschichte. So stelle ich es mir vor:
Bisher war es eigentlich sein Glück gewesen, dass Malchus zu einem Knecht des Hohenpriesters geworden war. Damit waren die Jahre, in denen er sich als Bettler durchgeschlagen hatte, zu Ende. Es bedeutete zwar harte Arbeit, oft auch Schläge und Fußtritte von den Aufsehern. Aber jetzt hatte Malchus nachts ein Dach über dem Kopf und - was das Wichtigste war - genug zu essen.
Die Tage ums Passahfest waren immer besonders anstrengend und lang. Malchus hatte sich gerade erschöpft auf seine Pritsche fallen lassen, da ging die Tür auf. Ein neuer Befehl: Alle mitkommen, es gibt Arbeit! Am Ölberg müssen wir einen festnehmen. Wahrscheinlich ist er nicht allein ist und hat Leute bei sich, die kämpfen werden.
Und so bekam Malchus einen Knüppel in die Hand gedrückt, auch wenn ihm das überhaupt nicht passte. Er war kein Schlägertyp und außerdem hundemüde. Und er dachte bitter: Und das in dieser Nacht, wo wir uns daran erinnern sollen, wie unser Volk aus der Gefangenschaft in Ägypten befreit wurde.
Aber es half nichts, jetzt musste er mit den anderen Knechten den Ölberg hinauf.
Und gleich vorne, am Eingang des Gartens stand eine kleine Gruppe von Menschen. Der Mann in der Mitte schien sie erwartet zu haben.
Malchus sah, wie einer auf diesen Mann in der Mitte zuging, kurz mit ihm sprach und ihn küsste. Und dann hörte er den Befehl: Angreifen und festnehmen!
Unversehenes fand sich Malchus mitten im Kampf wieder. Einer aus der Gruppe des Festgenommenen stürzte mit einem Schwert auf ihn zu. Dem ersten Schlag konnte er noch ausweichen, der zweite traf ihn am Kopf.
Malchus griff mit der Hand an sein rechtes Ohr, aber das war nicht mehr da. Stattdessen war Blut in seiner Hand.

Und er hörte, wie der Mann, den sie verhaftet hatten, seinen Leuten zurief:
Hört auf! Es reicht!
Im Lukas-Evangelium wird erzählt, dass Jesus das Ohr des Malchus heilt. Denn für Lukas war klar: es darf nicht sein, dass die Kleinen für die Interessen der Großen bluten müssen. In der Nähe Jesu müssen die Wunden geheilt werden.
Ich wüsste allerdings gerne, ob Malchus von nun an anders gehört hat, ob er neu überlegt, wem er sein Ohr leiht und wessen Worte er ernst nimmt.

 

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