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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

19MRZ2025
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Was einen echten Kerl ausmacht, das hat Herbert Grönemeyer vor zig Jahren mal halb ironisch in seinem Lied „Männer“ besungen: Dicke Muskeln, furchtbar stark und immer der ganz harte Kerl. Klingt schwer nach Klischee. Trotzdem, viele von uns Männern haben offenbar ein Problem. Weil sie glauben, dass sie vor allem dann Mann sind, wenn sie sich an solch antiquierten Rollenbildern orientieren. Bilder, denen sie vielfach aber gar nicht entsprechen. 

Und deshalb finde ich es zweifelhaft, wenn der „harte Kerl“ gerade scheinbar wieder in Mode kommt. Wenn manche Politiker sich gegenseitig überbieten, wer am härtesten gegen unerwünschte Migranten oder angebliche Sozialschmarotzer vorgeht. Oder wenn Meta-Chef Mark Zuckerberg schwadroniert, dass endlich mehr „männliche Energie“ in seinem Unternehmen herrschen müsse. Was immer das auch heißen soll. Ausgefahrene Ellenbogen? Keine Rücksicht mehr auf Schwächere? Sexismus und dämliche Witze über Frauen?

Für mich klingt das eher pubertär. Als ob stark und energisch vor allem der wäre, der am lautesten rumkrakeelt und den harten Hund markiert. Dabei gibt es sie ja, die starken Männer. So, wie es auch richtig starke Frauen gibt. Weil Starksein eben nicht zuerst mit Muskelkraft und schon gar nichts mit Machogehabe zu tun hat. Stark ist ein Mensch, der souverän ist. Und souverän bin ich, wenn ich weiß, wer ich bin. Was ich will und kann. Wenn mich Kritik nicht gleich umhaut, sondern ich sie gelassen hören kann. Wenn ich mich nicht größer und wichtiger machen muss, als ich eigentlich bin. Anders gesagt: Stark bin ich, wenn ich in mir ruhe.

Gegen all das neue Machogetue steht übrigens eine Kernbotschaft des Christentums, auch wenn sie gerade nicht so angesagt erscheint: Jeder ist etwas wert. Ganz egal, ob du ein Amt oder einen Titel hast. Ob du Millionen verdienst oder gerade über die Runden kommst. Du bist wertvoll! Weil du Mensch bist.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

18MRZ2025
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„Der ist wohl so ein ‚Überkorrekter‘“, meinte mein Sitznachbar, als der Zugbegleiter neben dem Deutschland-Ticket auch den Personalausweis sehen will. Formal ist das völlig in Ordnung, kommt bloß nicht so oft vor. Aber über-korrekt? Was mein Nachbar wohl meinte war: Da nimmt‘s einer offenbar ganz genau. Für seinen Geschmack wohl: viel zu genau.

Nun finde ich es zwar auch nervig, wenn ich im Zug noch meinen Ausweis rauskramen muss. Aber ich mag es, wenn Menschen es genau nehmen. Genau in dem, was sie tun. Menschen eben wie dieser Schaffner. Wenn ich auf der Strecke unterwegs bin, begegne ich ihm öfter. Blaue Bahn-Uniform, dunkelrote Krawatte, immer freundlich und eben - korrekt. Einer, der seinen Job offensichtlich mag. Und der das, was er tut, ernst nimmt. Den Anspruch habe ich auch an mich selbst.

Und deshalb finde ich es auch klasse, wenn die Verkäuferin im Modeladen sich Zeit nimmt, um mich zu beraten. Wenn ich das Gefühl habe, dass es ihr selbst wichtig ist, dass mir ein Kleidungsstück gut steht. Wenn die Technikerin im Studio, die diesen Beitrag schneidet, ganz genau hinhört, damit der Ton wirklich sauber ist. Aber auch, wenn ich in einem Gottesdienst sitze und merke: Der Pfarrer da vorn hat sich echt Gedanken gemacht hat, wie er ansprechend predigen kann. Sowas freut mich. Weil all die Mühe, ja Liebe, die ein Mensch in seine Arbeit legt, sie so wertvoll macht. Und weil ich als Kunde, als Zuhörer oder eben Bahnfahrer genau das dann spüre.

Manch einer mag das pingelig nennen oder eben „überkorrekt“. Aber für mich ist es etwas, was die Philosophie wohl Ethos nennt. Der Ansporn, etwas, das ich für andere tue, wirklich gut zu machen. Ganz egal, was es ist. Ob jemand Wasserrohre montiert oder einen Bus fährt. Kunden berät oder Schüler unterrichtet. Es liegt in seiner Hand, etwas Wertvolles daraus zu machen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

17MRZ2025
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Ein von Gott Erwählter. Ein Messias. Kleiner macht es US-Präsident Donald Trump ja nicht mehr. Eigentlich zum totlachen, wenn es seine Fans nicht auch so sehen würden und die Folgen nicht so schlimm wären.

Dabei hat es Leute wie ihn immer schon gegeben. Weil es auch immer Menschen gegeben hat, die sich einen Messias herbeigesehnt haben. Die Bibel etwa erzählt vom Bußprediger Johannes, der am Jordan stand und Leute taufte. Über ihn heißt es: „Das Volk war voll Erwartung und alle überlegten im Stillen, ob Johannes nicht selbst der Messias sei“. (Lk 3,15) Dabei wollte er gar keiner sein. Und so tauchten damals dauernd neue Messias-Anwärter auf. Und immer hofften die Leute, erlöst zu werden. Von den römischen Besatzern. Von Entbehrungen im Leben. Vom Unrecht und Elend um sie herum. Der ersehnte Messias würde es richten. Daran hat sich in 2000 Jahren offenbar nicht viel geändert. Historisch gesehen ist so ein Möchtegern-Messias also nichts Besonderes. Bloß das mit der Erlösung, das hat eben nie geklappt. Denn wann immer ein vermeintlicher Messias das Himmelreich auf Erden schaffen wollte, ist es furchtbar schiefgegangen.

Nun denken gläubige Christinnen und Christen beim Wort Messias natürlich an Jesus. Weil sie überzeugt sind, dass er dieser Messias war. Ganz anders allerdings, als die Leute ihn sich vorgestellt hatten. Einer, der kein König sein wollte. Auch kein Rächer der Enterbten, der ordentlich auf den Putz haut. Stattdessen einer, der den kleinen Leuten zugehört hat. Ruhig, einfühlsam und überlegt. Besonders denen, die am Boden lagen, weil sie das Leben aus der Bahn geworfen hat. Der gefordert hat, seine Feinde zu lieben und denen die Hand zu reichen, die einen hassen. Eine Witzfigur für alle Machtmenschen. Das Himmelreich auf Erden hat er damit nicht gebracht. Aber einen Weg aufgezeigt, wie es oft nur klein und unscheinbar, aber immer wieder zu erreichen wäre.

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SWR1 Begegnungen

16MRZ2025
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Jan Frerichs OFS copyright: Joschka Link

Heute mit Martin Wolf und mit Jan Frerichs. Wir treffen uns in Bingen, wo er lebt. Jan Frerichs war mal Franziskanermönch. Heute ist er verheiratet und hat zwei Söhne. Der Ordensfamilie der Franziskaner ist er aber treu geblieben. Er gehört nun dem franziskanischen Orden der Weltleute an, die eine Familie haben dürfen und nicht im Kloster leben. Wie sehr die Spiritualität des Heiligen Franz von Assisi ihn geprägt hat, das merkt man schnell, wenn man mit ihm spricht. Unter dem Label barfuss + wild bietet er Kurse an für Menschen, die spirituell auf der Suche sind. Und „wild“ meint hier durchaus Wildnis, Natur, Schöpfung. Etwas also, das ich nie im Griff habe. Für ihn ein guter Ort für geistliche Erfahrungen.

 

Für mich ist das Gegenteil von Glauben auch nicht Zweifeln. Das Gegenteil von Glauben ist für mich Kontrolle. Also wenn du das Gefühl hast, du kannst hier die Kontrolle behalten und du weißt eigentlich schon alles, dann brauchst du nicht zu kommen. Der wilde Raum ist immer der, wo die Antwort nicht schon klar ist, sondern wo ich sie erst finde.

 

Aber auch die uralten kirchlichen Traditionen, sagt er, können Menschen bei ihrer geistlichen Suche helfen.

 

Auch das Unverfügbare bedarf eines Rahmens. Oder sagen wir mal so: Wenn ich jetzt ein Wasser trinken möchte, ist es gut, wenn ich ein Glas habe, weil, dann kann ich das Glas benutzen, das Wasser da reintun und dann trinken. Was wir erleben ist, dass wir uns aufgehört haben mit dem Inhalt zu beschäftigen, sondern nur noch mit dem Glas beschäftigen. Und genauso ist es in spirituellen Dingen. Es ist gut, einen Rahmen zu haben, in dem ich mich bewegen kann. Aber der Fokus ist der Inhalt. Das ist das entscheidende Bild.

 

Um mal in diesem Bild zu bleiben: Suchen Menschen, die zu ihm kommen, also quasi nach diesem Wasser?

 

Sie suchen das Wasser, das tatsächlich den Durst stillt. Ist ja ein uraltes Bild. Jesus benutzt das Bild. Trink aus dieser Quelle und dein Durst wird gelöscht sein, sagt er ja.

 

Und ihren Durst nach Sinn, den können diese Menschen bei den Kirchen also nicht mehr stillen?

 

Durch die Bank könnte man sagen: Alle, die da so zusammenkommen bei barfuß + wild, die haben ihre spirituelle Heimat verloren, so die Orte, die es gab. Kirche als Institution, Gemeinde vor Ort, was auch immer man jetzt da einsetzt, das trägt nicht mehr. Vielleicht ist es auch eine bestimmte Frömmigkeit, die nicht mehr trägt. Der Kinderglaube, der einfach an seine Grenze gekommen ist. Wo ist ein Raum, in dem ich eine Antwort für mich suchen kann? Das ist eigentlich die Grundfrage.

 

Und so einen Raum für neue geistliche Erfahrungen möchte er Menschen bieten. Gibt es denn noch mehr, dass die Menschen, die zu ihm kommen, verbindet?

 

Die stehen auch im Leben alle an einer bestimmten Schwelle. Also, es kommt ein Zeitpunkt im Leben, wo klar ist, es liegt mehr hinter mir als vor mir. Und wenn auch klar wird, dass all das, worüber ich mich identifiziert habe bisher nicht mehr trägt - und diesen Prozessen einen Raum zu geben und aus den Erfahrungen unserer Vorfahren und aus unserer religiösen Tradition zu schöpfen, das ist eigentlich so ein bisschen das, was wir machen bei barfuß + wild.

 

Was es mit dieser „Schwelle im Leben“ auf sich hat, das hat mich interessiert und darüber spreche ich mit Jan Frerichs auch gleich nach der Musik.

 

Ich bin Martin Wolf und begegne heute Jan Frerichs. Aus der alten franziskanischen Tradition heraus macht er Angebote für Menschen von heute, die auf Sinn-Suche sind. Und oft ist er dabei mit ihnen draußen, in der Natur.

 

Wenn ich in die Natur schaue, dann kann das sehr lehrreich sein. Leben ist immer ein Prozess. Und es gibt in diesem Prozess auch den Part des Loslassens. Jeden Tag sehen wir das. Es gäbe überhaupt kein Leben, wenn es keinen Tod gäbe. Und Tod ist Loslassen. Und Tod heißt auch: Das Alte löst sich auf und aus diesem Alten wächst Neues. Aber das Neue kann nur kommen, wenn das Alte auch wirklich Platz macht.

 

Wobei es gar nicht um den physischen Tod gehen muss. Denn auch mitten im Leben heißt es ja immer wieder: Loslassen. Lebensabschnitte, die zu Ende gehen und nicht wiederkommen. Eine Freundschaft. Ein jahrzehntelanges Berufsleben.

 

Wenn wir uns ehrlich machen, sterben wir ja die ganze Zeit an jeder kleinen Schwelle im Leben. Meine Kinder sind jetzt 13 und 15. Ich gucke die an und denke: Wo sind eigentlich meine Kinder? Die kommen nicht wieder. Auf einer gewissen Ebene ist da auch etwas zu Ende gegangen. Und die Frage kann sein: haben wir die eigentlich gut genug verabschiedet, diese Zeit? Und haben wir die neue gut begrüßt? Das sind die Lebensübergänge.

 

Dass die erste Lebenshälfte ganz andere Fragen stellt als die zweite, das merke ich auch an mir selbst. Gibt es denn einen bestimmten Punkt im Leben, an dem ich weiß: Jetzt beginnt die zweite Hälfte?

 

Es geht nicht um die Lebensjahre. Ich habe mal beim ZDF im Kinderprogramm gearbeitet. Wir haben Sendungen gemacht über krebskranke Kinder, die haben mit zehn, elf Jahren Dinge gesagt, die ich von manchen Senioren noch nicht gehört habe. Das Leben hat sie schon in die zweite Lebenshälfte gebracht, weil sie sich eben zum Beispiel mit der Endlichkeit auseinandersetzen mussten. Es geht um Kontrollverlust an diesen Schwellen, und wie gehe ich damit um. Wie gehe ich also mit diesen Dingen um, die mir natürlich auch meine Begrenztheit deutlich machen? Das ist zweite Lebenshälfte.

 

Geht es letztlich also um die uralte Frage nach dem Sinn meines Lebens? Und darin vielleicht auch um die Frage nach Gott?

 

Es geht darum, wie ich mein Leben leben kann, wie ich mit den Fragen umgehe, die mein Leben mir auch stellt. So sind die Lebenshälften auch nicht nacheinander, sondern es sind zwei Qualitäten und ich wachse in die zweite hinein, das Innere, das Große und Ganze. Mystik ist die Erfahrung des Ganzen, Erfahrung Gottes. Gott ist ein Wort für das Ganze. Für das Sein, für das Da-Sein.

 

Ein Wiederentdecken also der christlichen Mystik.

 

Und an der Stelle bräuchte es Exerzitienhäuser, Orte der Einkehr, spirituelle Orte, das, was wir früher Frömmigkeit genannt haben. Damit die Leute, eine gute Erfahrung machen, die sie wirklich trägt im Leben.

 

 

 

www.barfuss-und-wild.de

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

16MRZ2025
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„Vertrauen ist der Anfang von allem.“ Das war mal ein erfolgreicher Werbeslogan einer großen Bank. Ob er da wirklich immer so gepasst hat, das weiß ich nicht. Aber grundsätzlich stimmt der Satz ja. Denn wenn ich nichts und niemandem mehr vertraue, dann werde ich es mächtig schwer haben. Wer vertrauen kann, hat es einfach leichter im Leben. Dabei fängt Vertrauen tatsächlich schon beim Geld an. Wenn ich etwa nicht mehr darauf vertrauen kann, dass mein 50-Euro-Schein auch in zwei Wochen noch genau 50 Euro wert ist, dann habe ich ein echtes Problem. Wenn ich Menschen, die ein politisches Amt innehaben, grundsätzlich nicht vertraue, dann hat unsere Demokratie ein Problem. Und wenn ich überhaupt niemandem mehr vertraue, der mir begegnet, dann werde ich schon bald nur noch ein missmutiger und ziemlich einsamer Mensch sein. Misstrauen entfremdet Menschen voneinander, macht echte Nähe unmöglich, zerfrisst jede Beziehung. Man könnte den Satz darum auch umdrehen: Misstrauen ist das Ende von allem.

Weil Vertrauen so unglaublich wichtig ist, spricht auch die Bibel immer wieder davon. Schon ganz am Anfang, im allerersten Buch. Da wird von Abraham erzählt. Bis heute spielt der für den Glauben von Juden, Christen und Muslimen eine entscheidende Rolle. Die Geschichte geht so: Jahre zuvor schon hatte Gott dem Abraham, der als Nomade in der Wüste lebte, und seiner Frau Sara versprochen, dass sie mal ganz viele Nachkommen haben werden. Das Problem war nur: Die beiden haben bis dato einfach keine Kinder bekommen. Trotzdem vertraut Abraham blind auf Gottes Zusage. Danach jedoch passiert dann viele Jahre einfach gar nichts. Eines nachts nun, in einer Vision, wendet sich Abraham erneut an Gott. Er will wissen, was denn nun aus Gottes damaligem Versprechen geworden ist. „Das wird doch eh nichts mehr mit Kindern“, hält er Gott vor. Und Gott? Wiederholt einfach sein Versprechen. Mehr noch. Er schickt Abraham nach draußen, vor sein Zelt. In den Nachthimmel über der dunklen Wüste soll er schauen - in jenes grenzenlose Meer an Sternen, das man nachts dort sehen kann. So viele Sterne, wie du da oben siehst, so zahlreich werden mal deine Nachkommen sein, verspricht ihm Gott. Manch einer hätte da wohl gesagt: „Na klar, wer‘s glaubt wird selig.“ Aber Abraham vertraut ihm. Wieder mal. „Und das“, so heißt es in der Bibel, „rechnete Gott ihm als Gerechtigkeit an“.

Für mich gehört diese Geschichte vom nächtlichen Sternenhimmel zu den schönsten in der Bibel. Weil sie so viel darüber erzählt, was Glauben bedeutet. Nämlich, vertrauen zu können. Grenzenlos. Gegen jede Einflüsterung, die mir sagen will: Ist doch alles Quatsch. Bringt ja eh nichts. Ein Mensch der vertrauen kann, der kann glauben.

                                                                                                                                                                      

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ein geflügeltes Wort, das sich schon lange in unserer Alltagssprache eingenistet hat. Ist ja auch was dran. Wenn es um Abrechnungen oder Bankauszüge geht. Um Firmenvertreter, die an der Haustür klingeln. Um unbekannte Anrufer, die mir irgendwas aufschwatzen wollen. Und obwohl wir das im Prinzip ja alle wissen, fallen trotzdem Menschen darauf rein. Weil sie anderen vertraut haben, obwohl gesundes Misstrauen und Kontrolle sinnvoller gewesen wären.

Aber auch in Glaubensfragen halten es viele heute eher mit Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser und gehen lieber auf Abstand. Vielleicht, weil ja bisher noch keiner irgendeinen Gott gesehen oder bewiesen hat. Weil jene, die an so einen Gott glauben, immer so ein Geruch von Selbstbetrug umweht. Der Verdacht, dass sie sich etwas zurechtphantasieren, was es nicht gibt und nie gegeben hat. Eine Krücke für schwache Gemüter eben, die mit den Zumutungen der realen Welt nicht klarkommen und sich darum was vormachen müssen. Ich kann Menschen, die so denken, sogar verstehen. Glauben in einer rationalen, durchorganisierten Welt ist eine ständige Zumutung. Auch für mich.

Als ich vor einigen Jahren am Sarg meines Vaters gestanden habe, da habe ich zu ihm gesagt: „Wir sehen uns wieder!“ Ich weiß noch, dass mir damals Zweifel kamen, noch während ich das sagte. Wird das so sein? Machst du dir nicht was vor? Zweifel gehören aber dazu, sind die Rückseite jedes erwachsenen Glaubens. Und doch kann ich noch immer glauben, was ich damals gesagt habe. Weil ich immer noch auf diesen Gott vertraue. Denn wenn ich dieses Vertrauen nicht hätte, dann würde letztlich auch der Satz, dass die Liebe stärker ist als der Tod, keinen Sinn mehr machen. Auch so ein Satz aus der Bibel. Ich kann ihn sogar spüren, immer wieder.

Hier kommt Abraham nochmal ins Spiel, der schließlich doch noch Kinder bekam, gegen jede Lebenserfahrung. Abraham, den nichts und niemand erschüttern konnte in seinem Vertrauen auf Gottes Zusage. Oder anders gesagt: In seinem Glauben. Damals, am Sarg meines Vaters, habe ich gemerkt: So unerschütterlich glauben wie dieser Abraham kann ich nicht. Aber vertrauen will ich trotzdem darauf, dass das Leben und die Liebe größer sind als der Tod. Und dass an Gottes Wort, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, etwas dran ist. Vertrauen ist vielleicht nicht der Anfang von allem. Aber es ist der Anfang des Glaubens.

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SWR1 3vor8

23FEB2025
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Heute wird ein neuer Bundestag gewählt. Was von all den steilen Forderungen aus dem zurückliegenden Wahlkampf am Ende übrig bleibt, das wird sich zeigen. In den letzten Wochen jedenfalls konnte man mitunter meinen, dass es nur noch Schwarz oder Weiß gibt. Dass kaum noch Platz ist für die unendlich vielen Grau- und Zwischentöne, die unsere Gesellschaft ausmachen.

Nun sind steile Forderungen ja keine Spezialität von Wahlkämpfern. Auch das Christentum kennt sie, vor allem, wo es ums Zusammenleben geht. Ein Blick in die sogenannte Feldrede Jesu, die der Evangelist Lukas aufgeschrieben hat, genügt. Ein Ausschnitt daraus ist heute in den katholischen Kirchen zu hören. (Lk 6,27-38) Da lese ich etwa: Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück! Ich gebe zu: Da bin ich schon raus. Ich gebe nicht jedem was, der mich auf der Straße nach Geld fragt. Und wenn ich bestohlen werde, möchte ich mein Eigentum natürlich zurückhaben. Außerdem sind das nicht die einzigen steilen Forderungen, die Jesus an seine Anhängerinnen und Anhänger richtet: Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen, heißt es da noch. Und auch: Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin. Nimmt man Jesus beim Wort, dann verlangt die christliche Botschaft denen, die ihr folgen, also eine ganze Menge ab. Anzunehmen ist aber auch, dass sehr viele Christinnen und Christen diesem hohen Anspruch kaum genügen dürften. Mich selbst eingeschlossen.

Nun wusste Jesus natürlich, dass die Welt nicht nur schwarz-weiß ist. Dass es da endlos viele Schattierungen und Zwischentöne gibt. Seid barmherzig, fordert er deshalb. Vielleicht kommen ja nur Menschen, die die vielen Grautöne wahr- und ernstnehmen, überhaupt auf so ein Wort wie „barmherzig“. Weil kein Mensch auf der Welt perfekt ist. Und weil unser Zusammenleben schnell unerträglich würde, wenn wir bei Fehlern und Schuld, bei Dummheit und Schwäche nicht mehr barmherzig sein könnten. Barmherzig zu anderen und auch zu uns selbst. Das kann natürlich nicht bedeuten, alles einfach gutzuheißen. Wegschauen und Schönreden lösen kein einziges Problem. Doch für die, die sich am Evangelium orientieren wollen, kann es nicht nur Schwarz oder Weiß geben. Und ein Mensch, der als Christ oder Christin barmherzig mit sich selbst sein kann, der wird es auch hinnehmen, wenn er an den hohen Ansprüchen Jesu öfter mal scheitert. Auch, wenn er sich noch so sehr bemüht hat.

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SWR1 3vor8

12JAN2025
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Es war während eines Familienurlaubs an der Küste. Dicke Wolken standen am Himmel, aus denen es immer wieder regnete. Ein kräftiger Wind blies uns ins Gesicht. Doch dann, in einer kurzen Regenpause, riss plötzlich die Wolkendecke auf. Ein Stück blauer Himmel kam zum Vorschein und ein paar Sonnenstrahlen brachen durch die graue Wolkendecke. Ein magischer Moment.

Dieses Bild habe ich seitdem vor Augen, wenn ich die biblische Geschichte von der Taufe Jesu im Jordan höre. Wie Jesus sich da geduldig einreiht in die Schlange der Wartenden. Wie er dann endlich vor dem Täufer Johannes steht. Und - nachdem er getauft ist - wie sich mit einem Mal der Himmel öffnet. „Und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab“, heißt es da. Spätestens hier dürfte klar sein, dass das kein historischer Tatsachenbericht ist. Es ist ein Bild. Ein ziemlich starkes sogar. Ein Bild dafür, dass Erde und Himmel sich verbinden. Das Sichtbare und das Unsichtbare. Leben und Glauben.

Natürlich weiß ich, dass die grauen Wolken an der Küste und das Blau darüber nicht der Himmel sind, von dem diese Geschichte von der Taufe Jesu erzählt. Der Himmel, aus dem es stürmt und regnet, ist eben nicht der Himmel, wo Gott zu finden ist. Aber vielleicht brauchen wir einfach solche Bilder. Weil wir Menschen sind. Erdverbunden und sinnlich zugleich. Es ist wie mit der Liebe. Die kann ich in den blumigsten Worten besingen. Doch die schönsten Worte nützen nichts, wenn ich Liebe nicht auch gespürt und erfahren habe. Ganz körperlich und sinnlich. Von Mensch zu Mensch.

Für mich berührt das Bild vom offenen Himmel deshalb eine tiefe Sehnsucht, die Menschen haben. Dass da doch noch mehr sein muss als das oft so schwer erträgliche Klein-Klein hier auf der Erde. Dass mein Leben einmal nicht im Nichts endet. Sondern, dass da etwas sein wird, dass ich mir jetzt hier noch nicht vorstellen kann. Und auch: Dass es eine größere Gerechtigkeit geben muss. Weil so viel Unrecht und Gewalt geschieht, die nie gesühnt wird und weil die Sehnsucht nach Gerechtigkeit nicht ungestillt bleiben kann.

Der Publizist Heribert Prantl hat einmal gesagt: Die Kirche könne idealerweise der Ort sein, an dem der Himmel offen ist. Das sollte nicht nur für die Kirche, sondern für jede Religion gelten. Dass sie Menschen, die suchen, den Himmel offenhält. Weil der offene Himmel ein Bild ist für Hoffnung. Hoffnung, dass es gut ausgehen wird. Egal, was kommt.

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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

29DEZ2024
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Die kleine Familie aus der Weihnachtskrippe. Die „heilige Familie“ wird sie auch genannt! Für was musste sie nicht alles herhalten. Ich erinnere mich dunkel an Predigten, die ich als Jugendlicher in unserer Pfarrkirche anhören musste. In denen der Pfarrer uns von der Kanzel herab diese Kleinfamilie aus der Krippe, Maria, Josef und den neugeborenen Jesus, als strahlendes Idealbild von Familie pries. Garniert mit Klischees. Eine Familie, in der sich die Partner inniglich zugetan sind und in der kein böses Wort fällt. In der Kinder brav und angepasst sind. In der es natürlich fromm zugeht, wo gebetet wird und so weiter. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann merke ich erst, wie sehr sich solche Bilder im Kopf festgesetzt haben. Die sogenannte „heilige“ Familie als abgehobenes, kaum erreichbares Ideal. Weil uns da eben nicht eine „heilige“, sondern eine „heile“ Familie vorgestellt wurde. Jedenfalls das, was man sich damals darunter vorstellte. Denn natürlich wusste der Pfarrer, wie auch jeder in der Kirche, dass es in unseren eigenen Familien nicht nur „heil“ zuging. Dass es da auch mal Streit gab und böse Worte. Dass es zwischen Eltern und Kindern immer wieder auch heftig knirschte. Und dass Glück und Unglück manchmal verdammt nah beieinanderliegen konnten. Was da in höchsten Tönen besungen wurde, erinnerte deshalb oft mehr an die strahlenden Familien aus der Fernsehwerbung, als an die Realität. Verklärte Familienbilder, an denen man nur scheitern kann. Die Abneigung gegen diese Vorstellung einer „Heiligen Familie“ spüre ich noch heute.

Dabei hätte man nur in die Bibel schauen müssen um festzustellen, dass auch die Familie von Jesus alles andere als makellos war. Zumindest, wenn man den wenigen Erzählungen folgt, in denen es um sie geht. Da setzt sich etwa der jugendliche Jesus bei einem Besuch der Familie in Jerusalem von seiner Familie ab, ohne ein Wort zu verlieren (Lk 2,41-51). Die Sorge der Eltern kann man sich vorstellen. Und als dieser Jesus dann erwachsen ist, da kanzelt er vor seiner Anhängerschaft seine Mutter und Geschwister einmal so schroff ab, dass man sich beim Lesen noch heute fremdschämen möchte (Lk 8,19-21). Nein, auch die biblischen Geschichten zeichnen keine idyllisch heile Welt. Die Familie Jesu, sie war wohl eine ziemlich normale jüdische Familie ihrer Zeit. Kaum anders, als Familien überall auf der Welt. Und das ist dann doch irgendwie wieder ganz beruhigend.

Es gibt nur wenige Geschichten in der Bibel, die die Familie von Jesus überhaupt erwähnen. Und die wollen nicht idealisieren oder verkitschen. Das kam erst viel später. Die Schriftsteller der Bibel hatten keine fromme Homestory im Sinn. Ihnen ging es nur um diesen Jesus. Darum, wie außergewöhnlich er gewesen ist, seit seiner wundersamen Zeugung. Davon wollten sie erzählen. Und deshalb ist an diesen Familiengeschichten nur wenig historisch. Denn wie es tatsächlich gewesen ist, mit seiner Geburt und Kindheit, das wissen wir einfach nicht.

Und trotzdem rührt sie viele Menschen an, diese „Heilige Familie“. Bis heute. Sie steht in trauter Eintracht in vielen Wohnstuben unterm Weihnachtsbaum. Sie steht in Kirchen und auf Weihnachtsmärkten. Und folgt man den biblischen Erzählungen, dann ist sie vielleicht gerade deshalb anschlussfähig für Menschen von heute, weil sie kein fernes Idealbild ist. In dieser „Heiligen Familie“ muss ein Vater sich damit abfinden, dass er nicht der leibliche Vater des Kindes ist – und nimmt es trotzdem wie sein eigenes an. Da kommt ein Kind nicht in Saus und Braus zur Welt, sondern in armseliger Umgebung. Da muss eine junge Familie schon kurz nach der Geburt des Kindes fliehen, weil ihr Leben in höchster Gefahr ist. In dieser „Heiligen Familie“ können sich viele wiederfinden, noch heute. Und auch in den weiteren Erzählungen der Bibel scheint die Realität von heute auf. Von Kindern, die ihre Eltern an den Rand der Verzweiflung bringen. Von erwachsenen Söhnen und Töchtern, die sich von ihren alt gewordenen Müttern und Vätern distanzieren. Es gibt so vieles, das nicht heil ist. Die heile Welt, von der so viele träumen, hat es so nie gegeben. Und wer das Glück hat, seine Welt gerade heil erleben zu dürfen, kennt trotzdem auch die schweren und schmerzhaften Seiten.

Doch bei allem, was geschieht, bleibt diese Kleinfamilie aus der Bibel trotzdem die „Heilige Familie“. Weil Gott dabei ist. Unauffällig. Im Dazwischen. Heilige, das waren für die frühe Christenheit nämlich nicht besondere Gestalten, die man beweihräucherte und auf Sockel und Podeste stellte. Heilige, so nannte man einst alle, die glaubten. Jede und jeder also, der sich entschieden hatte, mit Gott durchs Leben zu gehen. Und deshalb bin ich sicher: Heilige Familien, die gibt’s auch heute. Selbst da, wo es im Leben nicht immer nur heil zugeht.

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SWR Kultur Zum Feiertag

25DEZ2024
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Ich spreche heute, am ersten Weihnachtstag, mit Dr. Fabian Freiseis. Er arbeitet beim Erzbistum Freiburg und er ist Vizepräsident des Vereins „Kinderhilfe Bethlehem“. Und dieser Verein wiederum ist Träger des Caritas Babyhospitals in Bethlehem. Einer Einrichtung, die ein echter Segen ist für diese gebeutelte Region. Herr Freiseis, wie kam es damals überhaupt dazu, dass dieses Krankenhaus im Westjordanland entstanden ist?

 

Die Gründungsgeschichte, ist vor allem mit dem Namen Hedwig Vetter, das war eine Schweizer Kinderkrankenschwester, und Dr. Antoine Dabdoub verbunden. Beide haben nach der Staatsgründung Israels gesehen, dass es in Bethlehem eine Anlaufstelle braucht für Kinder und deren Mütter vor allem, aber auch deren Familien. Und sie haben dann eben angefangen, eine Tagesklinik aufzubauen, wo man einfach hingehen konnte, wenn Kinder krank waren. Caritas Deutschland hat 1952 dann den Gründer des späteren Vereins geschickt, Pater Ernst Schnydrig. Das Babyhospital war erstmal eine Babypraxis zum niedrigschwelligen Herangehen, und wurde dann einziges Kinderspital im Westjordanland mit beinahe 50.000 Behandelten.

 

Nun heißt das Haus ja „Caritas Baby Hospital“, oder kurz „CBH“. Genau genommen ist es aber keine Einrichtung, die der Dachorganisation Caritas gehört. Das klingt ja etwas verwirrend.

 

Der Deutsche Caritasverband, der Schweizer Caritasverband sind Gründungsorganisationen des Vereins. Und das kommt einfach daher, dass, wie gesagt, Hedwig Vetter aus der Schweiz kam, vom Schweizer Caritasverband, und Pater Ernst Schnydrig war beim Deutschen Caritasverband angestellt. Und so kommt die Nähe zu diesen Mitgliedsorganisationen und auch die Nähe zum Namen Caritas. Und das ist auch, was für die christliche Nächstenliebe in der Region steht. Denn das Hospital liegt nicht nur an der Caritas Road, sondern viele Menschen, auch Muslime, sagen: We go to the caritas.

 

Gibt es denn über den medizinischen Aspekt hinaus etwas, dass dieses Krankenhaus ganz besonders auszeichnet?

 

Uns ist es wichtig, dass das CBH in der Gemeinschaft vor Ort lokal verankert ist. Das gesamte Executive Committee, also die ganzen leitenden Angestellten des Hospitals, sind allesamt Palästinenserinnen und Palästinenser, kommen aus Bethlehem oder den Dörfern, Städten in der Nähe von Bethlehem. Das ist schon noch mal eine Besonderheit, dass eben nicht Menschen aus aller Herren Länder oder aus den Geberländern vor Ort das Sagen haben, sondern dass man auch als Vorstand des Trägervereins in intensivem Austausch mit den Verantwortlichen vor Ort nach den besten Lösungen sucht. Das halte ich schon für ein ganz großes Alleinstellungsmerkmal.

 

Das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern ist extrem angespannt. Welche Rolle spielt Herkunft oder Religion für die Arbeit im Krankenhaus?

 

Die Grundlage ist das relativ einfache Recht aller Kinder auf medizinische Versorgung. Das richtet sich nicht an Christen oder Muslime oder Juden, sondern es richtet sich erst mal an Kinder, die verletzlich sind, die zu den vulnerabelsten Gruppen überhaupt gehören. Diese vulnerable Gruppe steht ohne Ansehen der Ethnie, der Herkunft, der Religion im Zentrum der Arbeit. Und das wird auch gelebt im Alltag. Und es gibt einen intensiven Austausch in Zeiten, die besser sind, zwischen israelischen Krankenhäusern und dem Caritas Baby Hospital, weil wir beispielsweise keine Operation am offenen Herzen anbieten, oder ähnlich für schwerwiegende Fälle einfach nicht gerüstet sind. Da steht der Mensch im Mittelpunkt und das Wohl des Menschen, das Wohl des Kindes.

 

Beeinflussen die politischen Verwerfungen zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde denn auch die Arbeit am Krankenhaus?

 

Grundsätzlich gilt, dass sich das Caritas Baby Hospital, wenn es jetzt um die Politik geht, politisch neutral verhält. Denn die Kinder kümmern sich nicht drum, auf welcher Seite man steht. Sie brauchen Behandlung. Und in den Krisenzeiten, die wir momentan haben, wird dennoch darauf geachtet und wird alles versucht, dass auch die Überstellung nach Israel funktioniert. Kurz nach den Terrorangriffen vom 7. Oktober und den folgenden Tagen war das nicht möglich. Da waren die Grenzübergänge gesperrt. Das ist aber mittlerweile wieder möglich, auch die Grenze zu übertreten, wenngleich man auch bemerkt, dass es härtere Einschränkungen gibt seitens der israelischen Regierung für diese Grenzpassierung von kranken Kindern.

 

Wir haben ja schreckliche Bilder aus Gaza gesehen. Auch Krankenhäuser, die völlig zerstört waren. Haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Bethlehem Angst, dass so etwas dort ebenfalls geschehen könnte?

 

Ja, die Hauptsorge ist, dass die Situation im Westjordanland ein Stück weit in Vergessenheit gerät und dass im Schatten dieses Gazakrieges Fakten geschaffen werden durch die israelische Regierung. Und da gibt es schon große Sorgen, dass es zur Schaffung von Fakten kommt und eine Annexion stattfindet. Es gab ja auch die Situation in den zurückliegenden Monaten, dass es auch sogar Einsätze von Kampfjets gab, die Stellungen angeflogen haben. Die Situation der Mitarbeitenden vor Ort ist schon auch von einer großen Angst geprägt, wenngleich auch dieses neue Hoffnungszeichen, das wir jetzt setzen konnten, mit dem Spatenstich des Neubauprojekts am 4. November auch wiederum so ein Zeichen ist für eine bessere Zukunft für die Menschen in der Region, gerade in diesen Zeiten.

 

Worum geht es da konkret?

 

Es gibt im Westjordanland keine Tageschirurgie, wo einfach Routineeingriffe, Mandeloperation, Hernienoperation etc., wo die vorgenommen werden können. Diese Tageschirurgie würde ein Angebot geben, was von den Menschen dringend benötigt wird, um eben gerade auch in diesen Krisenzeiten, wo manchmal auch das Passieren längerer Strecken von Checkpoints nicht möglich ist, um vor Ort eine Möglichkeit zu haben. Die Hoffnung ist, dass das in ungefähr zehn, elf Monaten dann steht, dass dann der Innenausbau beginnen kann. Und dann geht es um die medizinischen Gerätschaften, um die Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Infektionsschutz usw. und so fort. Dass man dann so Ende 2025, Anfang 26 hoffentlich die ersten Kinder auch dort therapieren kann. Und darauf freuen wir uns sehr.

 

In der westlichen Kirche feiern wir heute das Weihnachtsfest. Wird auch im Hospital gefeiert?

 

Weihnachten wird auch im Hospital gefeiert. Wir haben dort indische Schwestern, die auch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dann einen Weihnachtsbaum schmücken. Es gibt einen Gottesdienst, auch für die Mitarbeitenden, nach Möglichkeit von Patriarch Pizzaballa gefeiert, wo es einfach auch eine enge Beziehung gibt. Und wir sind auch sehr dankbar, dass die indischen Schwestern diesen christlichen Geist im Hospital auch einbringen. Und umgekehrt sind auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr dankbar für diese Präsenz von indischen Schwestern.

 

Weihnachten ist ja ein Fest, auf dem jedes Jahr viele Hoffnungen ruhen. Auf Frieden, auf eine gute, von Gott gewollte Zukunft. Ich nehme an, das gilt jetzt besonders auch dort in Bethlehem.

 

Weihnachten ist ein Fest, das uns zurückblicken lässt, aber auch vorausahnen lässt in dieser auch von den Engeln verkündeten Friedens und Hoffnungsbotschaft. Und das wünschen wir als Verein allen Kindern, vor allem der gesamten Region. Es ist gerade keine Freude, als israelisches Kind unter Raketenbeschuss in Sderot zu leben. Es ist keine große Freude, als Kind im Gazastreifen leben zu müssen oder in Bethlehem oder in Hebron. Und da glaube ich, dass es auch an diesem Weihnachtsfest gilt zu beten, sich mit Gott, aber auch mit den Mitmenschen in Verbindung zu bringen und zu fragen: Wie können wir Zivilgesellschaft dort unterstützen, damit eben auch vor Ort in Bethlehem in der Region Friede geschaffen werden kann.  

 

Wenn wir zum Schluss nochmal auf das Caritas Baby Hospital schauen. Was könnte uns diese Einrichtung in Bethlehem vom Geist der Weihnacht erzählen?

 

Es zeigt einerseits, dass dieser Friede und diese Hoffnung auf Frieden, auch 2000 Jahre später noch zur Veränderung führt. Dort wirkt diese Idee in der Hoffnungslosigkeit und schafft Frieden. Zugleich wird man aber auch sagen dürfen, dass schon auf den weiteren Verlauf dieser Geschichte, die Gott mit uns Menschen durch seine Menschwerdung teilt, dass darauf auch schon verwiesen wird, weil wir eben leben: Es gibt weder Juden noch Griechen, weder Sklaven noch Freie. Die Kinder sind vor dem Angesicht Gottes alle gleich, mit gleicher Würde ausgestattet. Und diese große Vielfalt in der Menschlichkeit, in der Humanität, das ist auch noch mal ein Aspekt, der sich von Weihnachten das ganze Jahr über durchzieht in dem Caritas Baby Hospital als Ort der Menschlichkeit.

 

Herr Freiseis, ich danke Ihnen für Ihre Zeit.

 

https://www.kinderhilfe-bethlehem.de/

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

11DEZ2024
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Die Fernsehmoderatorin Sandra Maischberger hat vor kurzem erzählt, dass sie einen Aschenbecher aufbewahrt, in dem ein paar alte Zigarettenkippen liegen. Es sind die Reste der Zigaretten, die der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seinem letzten Fernsehinterview mit ihr geraucht hat. Schmidt starb vor neun Jahren.

Für Manchen mag sowas vielleicht seltsam klingen. Ich kann das aber ganz gut verstehen. In einer Schublade verwahre ich nämlich in einer kleinen Schachtel auch einen Schatz. Die Armbanduhr meines Vaters. Vor ein paar Jahren ist er gestorben. Es ist keine wertvolle Uhr. Kein teures Sammlerstück. Sowas besaß mein Vater nicht. Nichts also, was für Andere sonderlich interessant wäre. Aber für mich. Weil diese unscheinbare Armbanduhr verbunden ist mit ganz vielen Erinnerungen. Mein Vater hat sie getragen, als meine Tochter ihren Schulabschluss mit uns gefeiert hat. Er hat sie getragen, als er zum letzten Mal bei uns war. Ein paar Monate vor seinem Tod. Er hatte sie auch am Handgelenk, als man ihn ins Krankenhaus brachte. Auf dem Nachttisch neben seinem Krankenhausbett hat sie gelegen bis zum Schluss. Wenn ich die Uhr heute in die Hand nehme, dann sehe ich meinen Vater wieder vor mir. Erinnere mich an ihn. An so Vieles, das wir zusammen erlebt haben. Die unscheinbare Uhr lässt Momente lebendig werden, die längst vergangen sind. Holt sie für kurze Zeit zurück in meine Gegenwart.

Der brasilianische Theologe Leonardo Boff hat solche Dinge mal Sakramente genannt. Dinge also, die Menschen heilig sind. Weil sie eine Brücke bauen zu etwas, das für ihr Leben wichtig war und ist. Von außen betrachtet vielleicht nur wertloses Zeug, so wie die Zigarettenkippen. Für Eingeweihte hingegen ein Schatz, den sie sorgsam hüten. Ich bin überzeugt: Die Welt dürfte voll sein von solchen Sakramenten des Alltags. Wahrscheinlich so vielen, wie es Menschen gibt.

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