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SWR3 Gedanken
Seit Jahren begleite ich eine Frau aus der Gemeinde. Wir gehen in den Wald an den Fluss.
Nebeneinander zu laufen, macht es oft leichter zu reden. Wir müssen uns nicht immer in die Augen sehen. Ich sehe nicht jede ihrer Tränen, sie nicht meine, nicht mein Entsetzen, meine Wut über das, was sie erlebt hat und bis heute durchmacht.
Dieses Mal nimmt unser Spaziergang einen besonderen Auftakt. Durch ein paar Bäume hindurch sehen wir eine Schaukel. Eine Frau sitzt darauf. Sie schwingt vom Ufer zwischen den Bäumen auf den Rhein hinaus. Mit jedem Schwung wagt sie sich ein bisschen weiter in die Leere über dem Wasser. Jedes Mal, dass sie sich hinausschwingt, ein Risiko. Der Fluss ist hier groß und gefährlich. Wenn du fällst, können Strömungen und Strudel dich in die Tiefe ziehen. Langsam, sanft ist dieses Schwingen. Und voll Vertrauen. Wie eine Meditation, ein Mantra: Die Schaukel wird halten, die Seile werden nicht reißen.
Ich werde nicht fallen. Wir bleiben stehen und sehen zu. Wir stehen lange, sehen uns an und lächeln. Etwas überträgt sich auf uns. Diese Übung von Vertrauen und Mut und Leichtigkeit. Auch unsere Gespräche sind so eine Übung von Vertrauen und Mut.
Heute ist unser Spaziergang leichter. Uns begleitet das Vertrauen: Ich kann mich hinauswagen dahin, wo es mich in die Tiefe zieht. Ich werde nicht fallen.
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In der Schule, auf der Arbeit, alle schwärmen sie: So blau der Himmel in Italien, so türkis das Wasser rund um Kreta, die Berge so hoch, die Luft so frisch - in den Augen ein schwärmerischer Glanz. Die fremde Umgebung und die Zeit zum Genießen haben sich eingezeichnet in Augen und Haut. Urlaub tut der Seele und dem Körper gut. Auch ich kann ein Lied davon singen.
In der Schule treffe ich Gabriel. Er war mal wieder nicht in Urlaub. Seine Familie geht ins Schwimmbad, wenn es sehr heiß ist. Vielleicht mal Freunde besuchen, die wohnen auch alle hier um die Ecke. Sonst machen sie nicht viel. Gabriel war noch nie in Urlaub. Als er kleiner war, hat er sich Urlaube erfunden an fantastischen Orten. Er hatte genug davon gehört, was die anderen so erleben. Da konnte er sich etwas zusammenreimen und ist im Kopf verreist. Eine Superstrategie finde ich, besser jedenfalls als die Zeit, in der er traurig verstummt ist, wenn die anderen ins Schwärmen kamen.
Gabriel gehört zu den über 25% der Familien mit Kindern, die nicht genug Geld haben für Urlaub. Zu schlechtes Einkommen, Bürgergeld, eben fast nichts für Schönes und zum Genießen. Gabriel ist einer, der sich bedankt für den Ausflug in den Park mit der Kindergruppe. Für Kinder wie Gabriel wünsche ich mir, dass manchmal jemand auch nachfragt: „Was gab es denn in der Stadt Schönes zu erleben in den Ferien?“ Oder dass jemand sagt: „Was wäre euer wundervollster Urlaub? Wovon träumt ihr schon immer, Phantasiereisen erwünscht!“ Für Gabriel wünsche ich mir, dass er irgendwann einen Urlaub erlebt, in dem seine Träume sich erfüllen: So blau der Himmel, so türkis das Meer und die Luft so frisch und das allertollste Eis!
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In meiner Familie gibt es einen Schmerz, der über das hinaus geht, was Trauer macht, wenn Großeltern sterben oder alte Eltern. Ein Tod zur Unzeit, plötzlich. Ein harter Schnitt, der das Leben in ein Vorher und ein Nachher teilt. Ein Tod, der das Leben völlig durcheinanderbringt. Der Schmerz ist nun zehn Jahre alt. Damals ist mein Bruder bei einem Unfall gestorben. Der Schmerz darüber lässt nicht schlafen, und der Morgen danach fühlt sich an, als hätte man die ganze Nacht an einem Presslufthammer gestanden.
Kopf und Glieder, der ganze Körper verheert. Der Schmerz ist ein alter Bekannter. Ich weiß, ich muss ihm entgegentreten und mich vor ihm aufrichten. An einem solchen Tag mache ich mir am Morgen einen besonders feinen Cappuccino. Ich dusche lang und zieh mich sorgfältig an. Ich arbeite nicht und gehe nur ans Telefon, wenn jemand dran ist, der meine Tränen versteht und aushalten kann. Ich koche sein Lieblingsgericht, höre seine Musik, gehe ans Grab und rede lang auf ihn ein. Ich treffe mich mit seinen Lieblingsmenschen. Gemeinsam machen wir, was er liebte. Gehen an seinen See, schwimmen lange.
Ein Lied hat er uns hinterlassen, da heißt es: Wollt ihr mich sehn, so schließt die Augen, wollt ihr mich hören, so lauscht dem Wind. Schaut in die Sterne, geht zum Fluss. Soll ich ganz nah bei euch sein, besucht mich hier bei meinem Stein.
Da stehen wir, und manchmal gelingt es zu spüren, dass der Schmerz getragen ist. Mehr nicht. Aber es hilft.
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Ich liebe Bücher von Erich Kästner. Schon als Kind konnte ich mich in ihnen verlieren, mit ihnen träumen, die Welt verändern, mich wiederfinden, mit meiner Angst und mit meinem Mut. Jetzt lese ich sie gerade wieder. In diesem Jahr ist nämlich der 50. Todestag von Erich Kästner und sein 125. Geburtstag. Erich Kästner hat Bücher für Große und Kleine geschrieben. Voller Witz und Ironie, voller Mut und Vertrauen in die Menschheit, auch wenn die damals um ihn her durchdrehte und er selbst zum Opfer dieses Wahnsinns wurde. In der Nazidiktatur wurden seine Bücher verbrannt, er selbst wurde ‚verboten‘.
Eines meiner absoluten Lieblingsbücher war und ist Pünktchen und Anton. Das erzählt die Geschichte von zwei Kindern ganz unterschiedlicher Herkunft, die sich befreunden.
Pünktchen ist eine Direktorentochter mit Hausdame und Kindermädchen. Anton lebt allein mit seiner kranken Mutter. Er verkauft nachts auf der Straße Schnürsenkel, damit sie das Notwendigste zum Leben haben. Pünktchen hilft ihm und verkauft Streichhölzer.
Eine Kindergeschichte auch für Erwachsene. So schreibt er in einer ‚Nachdenkerei über die Armut‘ zwischen die anderen Kapitel: ‚Vor ungefähr hundertfünfzig Jahren zogen einmal die Ärmsten der Pariser Bevölkerung nach Versailles, wo der französische König und seine Frau wohnten und riefen: „Wir haben kein Brot! Wir haben kein Brot!“ Die Königin schüttelte verwundert den Kopf: ‚Dann sollen sie doch Kuchen essen!‘ Ihr denkt vielleicht, sie sagte das, um sich über die armen Leute lustig zu machen. Nein, sie wusste nicht, was Armut ist! Sie dachte, wenn zufällig nicht genug Brot da ist, isst man eben Kuchen.‘
Kästner fragt: ‚Glaubt ihr nicht auch, dass die Armut leichter abgeschafft werden könnte, wenn die Reichen schon als Kinder wüssten, wie schlimm es ist, arm zu sein? Und weil er die Hoffnung nicht aufgeben kann, erklärt er ganz zum Schluss: „Die Erde soll früher einmal ein Paradies gewesen sein. Möglich ist alles. Die Erde könnte wieder ein Paradies werden. Alles ist möglich.“
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Ein Mann sitzt auf einer Bank an der Promenade am Fluss. Er ist in sich zusammengesackt, eine Wodkaflasche in der Hand. Neben ihm ein riesiger Blumenstrauß, wunderschön bunt.
Kurz überlege ich mit meiner Freundin, ob wir hingehen und uns kümmern müssen. Dann entscheiden wir uns, doch weiterzugehen. Aber er lässt und nicht los. Beschäftigt uns. Regt unsere Fantasie an. Unser Mitgefühl. Wir machen uns Gedanken darüber, was wohl passiert ist. Ich meine: Er wollte zum Friedhof, seine Mutter wurde beerdigt, aber seine Schwester wollte ihn dort nicht sehen, weil er schon getrunken hatte, bevor es auch nur losging mit der Trauerfeier. Nein, meint meine Freundin, der wollte die Blumen in der Stadt verkaufen und ist, warum auch immer, nicht so weit gekommen, sondern hier mit seiner Wodkaflasche versackt. Es will einfach nicht zusammenpassen: Die Wodkaflasche und der Blumenstrauß.
Um uns her dauernd Situationen, die wie ein Schnappschuss eine Lebensgeschichte illustrieren. Mal verbergen sie mehr, mal enthüllen sie alles wie unter einem Brennglas. Je mehr Lebensgeschichten ich kenne, umso mehr berühren sie mich, irritieren, verstören.
Sie verändern meinen Blick auf die, die da sitzen auf der Bank am Fluss, in der Stadt, auf der Straße. Mit manchen habe ich gesprochen, mich länger unterhalten. Wenn wir uns jetzt sehen, lächeln oder nicken wir uns kurz zu.
Welche Geschichte eine Wodkaflasche und ein Blumenstrauß mir erzählen können, hängt davon ab, was für Geschichten ich schon kenne, aber vor allem davon, ob in meinem Blick schon ein Urteil liegt oder eher eine Frage: Was hast du erlebt? Wo kommst du her?
Und wie bist du hier gelandet, mit deiner Wodkaflasche und dem Blumenstrauß? Kann ich verstehen? Irgendwie helfen? Einen Moment Aufmerksamkeit schenken? Oder zumindest nicht verurteilen: Ein Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. (1. Sam 16, 7)
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Da sitzen sie wieder: aufgeregte Erstklässler in der ersten Reihe. Zahnlücken, Schultüten, ängstliche Blicke, stolzes Grinsen. Lauter kleine Persönlichkeiten voller Hoffnungen und Träumen, manche auch mit etwas Furcht. Hinter ihnen mindestens ebenso aufgeregte Papas und Mamas und Opas und Omas: Unsere Kleine, unser Kleiner ist schon so groß. Jetzt kommen sie also in die Schule! Im Einschulungsgottesdienst bei uns sind immer Kinder unterschiedlicher Sprache und Herkunft. Wenn ich danach frage, erklären sie aufgeregt: Mama kommt aus Lettland, Papa aus Albanien. Papa kommt aus Polen, Mama aus Ecuador… Viele der Kinder sprechen noch nicht richtig Deutsch. Aber ich weiß genau, an unserer Schule mitten in Mannheim lernen alle ganz schnell die Sprache, weil sie unterstützt und gefördert werden.
In einer der Ermutigungsgeschichten der Bibel sagt Gott zu Josua: „Sei mutig und entschlossen! Hab‘ keine Angst und lass dich durch nichts erschrecken; denn ich bin bei dir, wohin du auch gehst!« Im Gottesdienst segnen wir die Kinder mit genau diesen Worten, wir legen ihnen die Hände auf und sagen: ‚Sei mutig und entschlossen! Hab‘ keine Angst und lass dich durch nichts erschrecken, denn Gott ist bei dir, wohin du auch gehst!«
Die Kinder schauen ehrfürchtig und nehmen sich an den Händen. Ganz viel Mut brauchen sie – also Ermutigung. Wie gut, dass sie spüren können, dass Gott bei ihnen ist. Und Mamas und Papas und Omas und Opas, große Brüder und richtig nette Lehrerinnen!
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Teresa hat ein schwieriges Leben gelebt. Ich kenne sie schon seit Jahren. Sie kommt aus Polen, seit über zwanzig Jahren lebt sie auf der Straße. Übernachtet seit Jahren in einer Tiefgarage; ein unbehaustes Leben. Mal war sie im Gefängnis, weil sie schwarz gefahren ist mit der Bahn, mal ihr Mann. Als er im Gefängnis war, ist Teresa abgestürzt. ‚Ich kann nicht ohne ihn sein, sagt sie, er ist doch mein Mann! Ich weiß, er ist nicht immer gut, zu viel Wodka, zu viel Gewalt.‘ Teresa hat immer von nichts als Freundlichkeiten gelebt: Geld, Essen, gute Worte. Es gibt Menschen, die sie unterstützen, Streetworker, Passanten.
Teresa ist seit Jahren krank, sie hatte zunächst Brustkrebs. Obwohl sie keine Papiere hat und nicht versichert ist, ist es gelungen, sie operieren zu lassen. Aus dem Krankenhaus ist sie abgehauen. Dann ist der Krebs in ihre Knochen gewandert. Jetzt lebt sie seit Jahren im Rollstuhl auf der Straße. Das schafft nicht jeder; für Frauen ist es besonders schwierig, ohne Badezimmer, ohne Toilette. Bei alledem ist sie unglaublich freundlich geblieben, ein herzliches und offenes Wesen. Wenn ich ihr begegnet bin, ein Leuchten auf ihrem sanften Gesicht. Seit einigen Monaten geht es Teresa immer schlechter, sie war wieder im Krankenhaus. Die Ärzte sagen, sie wird bald sterben. Und da ist einem der Leute, die sie seit Jahren begleiten, ein Wunder gelungen: Teresa ist in einem Hospiz, ohne Papiere, ohne Versicherung! Dort wird sie sterben, liebevoll gepflegt, umsorgt, beschützt, geborgen. Sie bekommt regelmäßig Essen und Medikamente gegen die Schmerzen.
‚So gut ging es mir seit Jahren nicht mehr!‘, sagt sie. Sie ist sehr dankbar, sagt: ‚Ich fühle mich wie in einem Hotel‘, sie lebt auf. Ich bin sehr dankbar für jeden Tag, den Teresa in diesem Wunder lebt. Ich wünsche ihr nur eins: ein gesegnetes Ende.
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Heute Probe, morgen Konfirmation. Fünfundzwanzig Jugendliche, heute noch in Jeans, morgen schick herausgeputzt. Sie üben heute, wie sie dann gemeinsam in die Kirche einziehen, um den Altar stehen und ihre Konfisprüche aufsagen. Jeder und jede von ihnen hat sich einen biblischen Vers herausgesucht, der fürs ganze Leben passen soll, aber besonders für jetzt, für heute und morgen. Bei einem wurde eingebrochen, seither schläft er schlecht. Er lässt sich segnen mit dem Spruch „Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn allein der Herr hilft mir, dass ich sicher wohne.“ Hani ist sehr selbstbewusst und kritisch, sie hat sich herausgesucht: „Richtet euch nicht nach den Zwängen und Ordnungen dieser Welt. Wandelt euch. Habt Mut anders zu werden.“ Siena macht sich viele Gedanken über die ganze Welt, sie hört auf „Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein unversieglicher Bach.“ Ein anderer kämpft mit Unsicherheiten, und hat Worte des Propheten Jona gewählt: „Als ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, dachte ich an dich und du hörtest mein Gebet.“
Ich bin beeindruckt und gerührt, wie genau die Jugendlichen spüren, was sie brauchen, was sie ausmacht. Bei fast allen geht es um Gemeinschaft, darum wie wir zusammenleben und um Identität, darum wie sie als einzelne, den Mut finden, etwas ganz Eigenes zu machen und eine gute Rolle zu spielen. Konfisprüche reden davon, wie Gott stärkt, ermutigt und tröstet, begleitet und schützt – Und sie fragen danach, wie Gemeinschaft gelingt, welche Regeln es braucht. Wenn wir die Jugendlichen morgen segnen, wünsche ich mir, dass sie spüren: Ich bin frei mein Leben zu gestalten und ich bin verantwortlich. Mein Leben ist gottgeschenkt und es ist gar nicht egal, was ich damit mache in dieser Welt, für diese Welt. Dazu passt ganz besonders der Spruch von Nils, der sagt: „Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten auf deinen Wegen.“
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„Gott schuf den Menschen als Mann und Frau. Gott segnete sie und sprach zu ihnen, seid fruchtbar und mehret euch.“ So steht das am Anfang der Bibel oder so wurde es übersetzt.
Genauso richtig wäre es zu lesen: „Gott schuf die Menschen männlich und weiblich“. Alle Menschen haben männliche und weibliche Anteile in sich, mehr oder weniger. Für Menschen, die sich selbst nicht wiederfinden in der Polarität von Mann und Frau ist das hergebrachte Menschenbild eine Herausforderung. Eine Person in der Gemeinde erzählt, was das für sie bedeutet: Sie fühlt sich nicht gemeint, wenn es heißt: Gott hat die Menschen erschaffen als Mann und Frau und schon gar nicht von dem Satz: und segnete sie. Sie meint, sie gehört nicht dazu, zu Gottes guten Gedanken über die Welt und die Menschen.
Und da meine ich, beißt sich auf eigentümliche Weise die Katze in den Schwanz: Wenn Christen glauben, Gott hat alles gut geschaffen, dann ist es absurd zu denken: Menschen, die sich nicht als Mann oder Frau fühlen, wären nicht von Gott erschaffen. Denn entweder hat Gott alles erschaffen und alles und alle gehören zu seiner guten Schöpfung oder alles ist Zufall und nichts gehört dazu. Ich glaube und vertraue darauf, dass Gott alle erschaffen hat. Mann und Frau und so viel mehr. So wie in Gott selbst männliches und weibliches und so viel mehr ist. Gott ist kein weißer alter Mann, der auf seiner Wolke thront, patriarchal daherkommt und alles regiert. Gott ist viel mehr und immer ganz anders als wir sie/ihn/they denken können. Heute ist der Internationale Tag der nichtbinären Menschen. Der Menschen, die sich nicht im Schema Mann-Frau wiederfinden. Ein wichtiger Tag, um mein Nachdenken über Gott und die Welt herauszufordern. Und um neu zuzugehen auf Menschen, die sich nicht gemeint fühlen, aber natürlich gemeint sind, wenn es heißt: Und Gott segnete sie.
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You, only virtual. Du, nur eben in digital – ein neuer Trend: Menschen, die todkrank sind, erstellen einen Avatar von sich selbst. Sie unterhalten sich mit einem KI-gesteuerten System. Ihre Stimme wird aufgezeichnet, ihre Gedanken werden eingespeichert. Wenn sie tot sind, können sich die Hinterbliebenen dann mit dem Avatar unterhalten. Der kann nicht nur auf Fragen reagieren, die bereits mit dem Lebenden besprochen waren, sondern in dessen Sinn antworten.
Ich stelle mir vor, von jedem von uns würde so ein Avatar existieren. Was würde das mit unseren Beziehungen machen? Ich verstehe die Sehnsucht danach, an den Liebsten festzuhalten. Trotzdem erschreckt mich die Idee einer digitalen Verlängerung des Lebens.
Zuerst und vor allem, weil ich es für besonders wertvoll halte, dass ich dieses eine Leben habe, das mir geschenkt ist. Dieses Leben, in dem mir manches gelingt und anderes schief geht, in dem ich Beziehungen habe, in denen ich wachse und immer mal richtig daneben liege. Ein Leben, in dem ich glücklich bin und traurig, verletzt und doch fröhlich. In meinem eigenen Leben war und ist es wichtig, den Tod von Menschen, die mir die liebsten sind, nein waren, aushalten zu müssen. Begegnungen und Beziehungen haben eine andere Tiefe, seit ich nach dem Tod meiner Mutter genau das verstanden habe: dass unser Leben ein Ende hat, dass es nur vorwärts gelebt werden kann, dass Leben wie Sterben Mut erfordern. Ich möchte auf keinen Fall nach meinem Tod einer KI erlauben, so zu tun, als dächte sie meine Gedanken. Weil – und das ist mein zweiter wichtiger Gedanke: Ich kann erklären so viel ich will, ich bin heute, wie und wer ich bin, aber - ich bin nicht fertig. Eine KI kann mein jetziges Ich spiegeln, aber, was das Leben oder Gott noch mit mir vorhaben, davon weiß die KI nichts, und auch ich weiß es nicht. Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, sagt Gott, und das finde ich gut.
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