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SWR Kultur Wort zum Tag
Vor einigen Wochen stand ich ganz oben auf einer Schanze. Der Skiflugschanze in Oberstdorf. Sie ist höher als die meisten Kirchtürme. Man steht da oben ganz schön ungeschützt im Freien. Die Schanze ragt schräg wie ein Pfeil in den Himmel hinein, ohne irgendeinen Pfeiler als Unterstützung. Es ist mir erst nicht leicht gefallen zu entscheiden: Traue ich mich da wirklich hoch?
Ich hab mir ein Herz genommen. Und bin in den Aufzug gestiegen. Oben wurde ich reich belohnt. Der Blick in die Bergwelt ist gigantisch. Am meisten hat mich der Blick vom Schanzentisch nach unten fasziniert. Ich hab mir vorgestellt, wie die, die sich das Skifliegen zutrauen, da auf ihren beiden Skiern hinunterrasen. Ich bin sicher, die müssen sich jedes Mal einen inneren Ruck geben. Es muss dann aber auch ein tolles Gefühl sein. Ob im Wettkampf überhaupt Raum bleibt, dieses Gefühl bewusst wahrzunehmen? Ich weiß es nicht.
In Gedanken bin ich dann auch die Anlaufspur hinuntergerast und hab mich in die Luft erhoben. Ein tolles Gefühl! So möchte ich manchmal ins Leben springen. Einfach Anlauf nehmen und dann geht’s los. Und „alles, was uns groß und wichtig erscheint, wird plötzlich nichtig und klein!“ Reinhard Mey hat das vor einem halben Jahrhundert mit diesen eindrücklichen Worten besungen. Für mich ist dieser Schanzenflug über alles hinweg und hinein ins Leben ein schönes Bild. Für das, was ich mit meinem Glauben verbinde. Dem Leben zu trauen und intensiv zu leben. Und dabei irgendwie zurechtzukommen mit dem, was mich in meinem Alltag belastet. Nein, durch den vertrauensvollen Sprung ist nicht einfach alles Schwere weg. Wie der Skiflieger lande ich auch irgendwann wieder auf der Erde. Mitten auf dem Boden der Tatsachen. Aber die Erfahrung des Fliegenkönnens. Der Perspektivwechsel durch den Blick von oben lässt mich auch auf der Erde anders an manche Dinge herangehen.
Das Bild des Fliegens ist gar kein neues. „Mein Glaube lässt mich aufsteigen wie ein Adler“ (Jesaja 40,31) – das beschreibt ein Poet und Prophet der Bibel schon vor zweieinhalbtausend Jahren. Da kannte also schon lange vor mir einer das Gefühl, was ich oben auf der Schanze hatte. Ich bin froh, dass ich mutig genug gewesen bin, ganz nach oben zu fahren. Jetzt kann ich mir zumindest besser vorstellen wie das sein könnte: einfach loszufliegen. Und ein wenig kann diese Vorstellung auch meinem Glauben Flügel verleihen.
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So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt! Der Lärm war ohrenbetäubend. Ein paar hundert Kühe und Kälber drängten auf eine große Wiese. Alle mit Glocken um den Hals. Das Leittier vorne mit einem Blumenkranz geschmückt.
Viehscheid heißt dieses alljährliche Spektakel. Mit Festzelt und Blasmusik. Man kann es im Allgäu im September miterleben. So wie ich vor wenigen Wochen. Die Tiere kommen von ihren Sommerwiesen auf den Bergen zurück ins Tal. Und werden dann voneinander getrennt. Geschieden. Und ihren jeweiligen Eigentümern zurückgegeben.
Ein biblisches Gleichnis ging mir durch den Kopf, während ich gebannt zugeschaut habe. Auch eine Scheid. Die große Viehscheid am Ende. Da beschreibt der Evangelist Matthäus ein großes Trennungsspektakel. Dort werden die Tiere nicht nach ihren Besitzern geschieden. Sondern nach der Bewertung ihres Lebens. Die Schafe rechts und die Böcke links. Die Böcke werden ausgeschieden. Zukunft haben nur die Schafe. Dabei handelt das Gleichnis nicht einmal von einer Viehscheid. Sondern von einer Menschenscheid. (Matthäus 25,31-46)
Kriterium, ob ich Zukunft habe, ist im Gleichnis mein Engagement für die Schwächsten. Für die, denen es am Allernötigsten fehlt, um menschenwürdig leben zu können. Entscheidend für die große Scheidung am Ende ist die Frage, zu wem ich gehöre. Zu denen, die Menschen verachtend über andere hinweggehen. Oder zu denen, die es nicht ertragen, wenn andere kleingemacht werden. Und vom Leben abgeschnitten.
Die Menschenscheid ist manchmal sehr leise. Oft sehe ich gar nicht, wie ein Mensch anderen Menschen Gutes tut. Manchmal ahnt er es nicht einmal selbst. Manchmal ist es dagegen offensichtlich, dass jemand anderen Menschen das Lebensnötige bewusst vorenthält. Dann ist mein Wort des Widerspruchs gefragt. Und mein Eintreten für die Opfer. „Was ihr den Schwachen an Gutem angedeihen lässt, tut ihr mir selber an. Und was ihr euren Mitmenschen vorenthaltet, enthaltet ihr mir vor.“ Der König, der dies im biblischen Gleichnis sagt, ist ein Bild für Gott.
Dennoch ist diese Menschenscheid eine Vorstellung, die mir Mühe macht. Ich hoffe sehr, dass möglichst viele zu denen gehören, die Leben ermöglichen. Und damit zu denen, die gerettet und nicht ausgeschieden werden. Und ich bin heilfroh, dass es nicht meine Aufgabe ist, die Menschen auseinanderdividieren. Mit der Viehscheid im Allgäu ist es da einfacher. Die konnte ich deshalb auch genießen. Und hoffentlich nicht zum letzten Mal.
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Wie gut, dass der 3. Oktober ein Feiertag ist! Alles etwas geruhsamer um mich herum. Eine kleine Unterbrechung des üblichen Tagaus, Tagein – mitten in der Woche. Aber halt – da war doch was! Der 3. Oktober ist ja nicht ohne Grund ein Feiertag. Aber irgendwie rutscht er mir auch weg. So viel anderes hat sich in den Vordergrund gedrängt seit jenem Tag, an dem aus zwei deutschen Staaten einer geworden ist. Vor 34. Jahren. Ein gewaltiges Projekt, das immer noch nicht abgeschlossen ist.
Ich kann die Krisen seitdem aus dem Stehgreif gar nicht alle aufzählen. Die Corona-Pandemie. Die beiden Kriege, der in der Ukraine und der im Nahen Osten. Der Streit um den Umgang mit den Menschen, die weltweit auf der Flucht sind, beschäftigt viele sehr. Ganz zu schweigen von der Klimakrise, deren Folgen wir immer näher zu spüren bekommen.
Worum soll’s also heute gehen? Um ein Fest? Um Erinnerung? Wenn ich an die großen Gefühle denke, damals, an jenem 3. Oktober 1990, da denke ich: Schade! Euphorie und Glücksgefühle lassen sich leider nicht auf Dauer stellen. Aber wir können lernen, uns immer wieder an sie zu erinnern.
Feiertage haben den Sinn, der Erinnerung Raum zu geben. Eine Kultur der Erinnerung zu pflegen. In der jüdisch-christlichen Tradition gibt es das schon sehr lange. Erinnerung geschieht dadurch, dass die Ereignisse, an die erinnert werden soll, in der Vorstellung wiederholt werden. Bis dahin, dass sogar die alten Gefühle wieder entstehen können. An Passah wird an die Befreiung aus der Sklaverei erinnert. An Karfreitag an den Tod Jesu. An Ostern an seine Auferstehung. Der 3. Oktober ist kein kirchlicher Feiertag. Auch wenn sich die Kirchen damals sehr in den Protest gegen die alte Herrschaft eingebracht haben. Der 3. Oktober will die ganze Gesellschaft zu einer Erinnerungsgemeinschaft verbinden. Wir müssten dazu die Bauchgefühle von damals in unseren Kopf hinüberretten. Und staunen, was sich damals ereignet hat. Ein wahres Wunder. Eine politische Umwälzung ohne Blutvergießen.
Die aktuellen politischen Entwicklungen und die Wahlergebnisse zeigen deutlich: Der damals begonnene Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Er wirkt immer noch nach. Damals haben wir erlebt: Wunder sind möglich. Auch im Bereich der Politik. Und wenn ein paar der Glücksgefühle von damals in mir auftauchen, können Sie auch meine aktuellen Hoffnungen stärken. Gerade die auf Frieden.
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„Ich hätte gerne eine Seele!“ Der junge Mann, der da unlängst morgens beim Bäcker neben mir seine Bestellung aufgegeben hat, hat sich wohl nichts weiter dabei gedacht. Ganz spontan habe ich zu ihm gesagt: „Aber sie haben doch schon eine!“ Erst hat er mich ganz verständnislos angeschaut; dann hat er plötzlich herzhaft gelacht. „Ja, aber nicht so eine!“ Und mit einem Mal waren wir mitten im Gespräch. Über das, was unsere innere Seele ausmacht und was es mit der Seele auf sich hat, die er für sein Frühstück mitnehmen wollte. Und die ich genauso köstlich finde wie er. Der Teig, meist aus Dinkelmehl, länglich geformt, mit langer Gärzeit der Hefe, muss Blasen werfen. Am Ende wird der Teig mit Salz und Kümmel bestreut. Wenn die Seelen dann gebacken sind, gleicht keine der anderen. Jede hat ihre eigene Form, wenn sie da auf dem Backblech nebeneinander liegen.
Aber es ist nicht die eigene, unverwechselbare Form, die dem Gebäck seinen Namen gegeben hat. Womöglich stammt die Seele als Gebäck sogar noch aus vorchristlicher Zeit, als man armen Seelen etwas Nahrhaftes zum Überleben geben wollte. Und später haben christliche Backhandwerker diesen Brauch dann gerne weitergeführt und den Begriff für das gebackene Teilchen übernommen.
Das kurze Gespräch über die Seele gehört aber nicht nur an die Brötchentheke. Auf dem Heimweg habe ich weiter nachgedacht. Umgangssprachlich wird der Begriff Seele oft verwendet als Gegensatz zu dem, was von einem Menschen bleibt, wenn der Körper nach dem Tod zu Staub zerfällt. Ich meine aber, dass ich die Bibel auf meiner Seite habe, wenn ich Leib und Seele mir nur als eine Einheit vorstellen kann: „Lobe den Herrn, meine Seele!“, heißt es da zum Beispiel in einem Psalm. Hier ist ein Mensch doch als Ganzes im Blick. Nicht nur als Seele, wie sie umgangssprachlich oft verstanden wird.
„Ich hätte gerne eine Seele!“ Der Wunsch des jungen Mannes beim Bäcker, er könnte dann - jetzt wörtlich genommen - zum Ausdruck bringen: „Ich wäre gerne eine unverwechselbare, einzigartige Person, gerne mit Ecken und Kanten. Aber auch mit der mir eigenen Würde. Und der Aussicht, dass etwas von mir bleibt.“ Und dann sind wir mittendrin im Nachdenken über Gott und die Welt. Über meine Beziehungen zu den Menschen um mich herum. Und über meine Beziehung zu Gott, dem sich alles Leben verdankt. Deshalb will ich nicht nur meine Seele in Sicherheit bringen. Sondern andere Seelen für diese Sicht aufs Leben begeistern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40520SWR Kultur Wort zum Tag
„Gott ist Luft für dich? Dann bitte tief einatmen!“ sagt der Theologe Hans-Joachim Höhn am Ende eines Interviews. Dieser Satz hat mich richtig elektrisiert. Wenn ich sage, jemand ist Luft für mich, meine ich doch, dieser Mensch spielt für mich keine Rolle mehr. Dabei ist Luft ja für jeden Menschen lebensnotwendig. „Ich brauche dich wie die Luft zum Atmen!“ Das trifft dann schon eher, was Luft für mich ist.
Hans-Joachim Höhn hat beide Sichtweisen miteinander kombiniert. Wenn Gott für jemanden Luft ist, da hilft nur eines: Diese Luft kräftig einatmen. Sich diesem göttlichen Luftzug aussetzen. Und Gott in diesem Sinn dann wirklich Luft sein lassen. Ein genialer Gedankengang!
Eigentlich ist es kein Wunder, dass jemand Gott mit der Luft in Verbindung bringt! Gleich am Anfang der Bibel findet sich der Bericht von der Erschaffung des Menschen. Aus Erde formt Gott eine menschliche Gestalt. Wie ich sie schon häufig am Strand aus Sand geformt gesehen habe. Eine Figur aus Sand – ohne Leben. Im Schöpfungsbericht der Bibel heißt es dann weiter: „Da blies Gott den Atem des Lebens in den Menschen hinein. So wurde er lebendig.“ (1. Mose 2,7)
Zum ersten Mal ist Gott hier Luft für den Menschen. Durch diese göttliche Mund-zu-Mund-Beatmung ist der Erdenkloß dann ein lebendiges Wesen geworden. Wer atmet, lebt. Auch in einem übertragenen Sinn mache ich diese Erfahrung immer wieder: Ich spüre, dass es da etwas gibt, das Leben in mich bringt, wenn mir die Lust daran auch mal abhandenkommt. Ich spüre eine Lebendigkeit, die nicht aus mir selber kommt. In Form von Ideen, die mir zufliegen. In der Bereitschaft, etwas noch einmal zu versuchen, was bisher gescheitert ist. Oder mich auf etwas Neues einzulassen. Das fühlt sich dann an, wie von der Luft Gottes zu kosten.
Und wenn Gott einmal wirklich für mich Luft ist, wenn ich Gott irgendwie verloren habe, dann bleibt mir immer noch die Übung, tief durchzuatmen. Und irgendwann womöglich wieder etwas von der Lebendigkeit des Lebens zu spüren. Von der Lebenslust und Lebensluft Gottes. Auch wenn dabei oft eine ordentliche Portion Geduld nötig ist. Dass Gott Luft für mich ist – im einen wie im anderen Sinn - hält mich mit Gott in Beziehung. Ganz so wie Hans-Joachim Höhn es formuliert hat: Gott ist Luft für dich? Dann bitte tief einatmen!
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„Gott schätzt uns, wenn wir singen! Aber wenn wir tanzen, liebt er uns!“ Von Augustinus stammt dieser Satz, der vor mehr als eineinhalbtausend Jahren gelebt hat. Ich bin - ehrlich gesagt - kein allzu begeisterter Tänzer. Dafür singe ich gern. Trotzdem habe ich in diesem Sommer über das Tanzen nachdenken müssen.
Studierende einer Dresdner Tanzhochschule waren eine Woche lang auf der Insel Hiddensee, wo wir Urlaub gemacht haben. Die haben da überall getanzt. An ganz verschiedenen Orten. Am Hafen. In der Natur. In der Kirche. Immer wieder anders gekleidet. Und in wechselnden Formationen. Ein fantastisches Erlebnis! Der Gegensatz von Kopf und Körper? Irgendwie schien er wie aufgehoben. Kein Wunder, denn von der großen Tänzerin und Tanzlehrerin Gret Palucca, nach der die Hochschule benannt ist, stammt der Satz: „Ihr müsst mit dem Kopf tanzen und mit den Beinen denken!“
Dieser Satz dreht die normalen Verhältnisse auf den Kopf. Man denkt doch mit dem Kopf und tanzt mit den Beinen. Die Schwierigkeit dabei: Man bekommt beides eben oft nicht zusammen. Mit dem Kopf tanzen und mit den Beinen denken – diese Umkehrung des Gewohnten hat mich an einen Satz des Paulus erinnert. Der schreibt einmal: „Ihr müsst mit dem Herzen glauben und mit dem Mund bekennen.“ (Römer 10,10) Und dieser Satz macht auch umgekehrt Sinn: Gerade mein Bekennen muss doch tief in meinem Herzen verankert sein. Dann kann ich auch mit meinem Mund meinen Glauben öffentlich machen.
Manche Wahrheiten entdeckt man eben erst, wenn man das Gewohnte auf den Kopf stellt. Das gilt für den Satz von Palucca genauso wie für den des Paulus. Für meinen Glauben könnte das heißen: In meinem Herzen kommt mein Glaube in Bewegung. In einen inneren Dialog der Wahrheit. Da formt sich mein eigenes Bekennen. Dann erst kann ich über meinen Glauben auch mit anderen ins Gespräch kommen; ihn so festigen und weiterentwickeln. Kann sagen, was mich in meinem Leben trägt. Gerade auf das Letzte kommt's mir an. Mit meinem Glauben nicht hinterm Berg zu halten. Sondern im Gespräch mit anderen Suchbewegungen in Gang zu bringen. Meine eigenen Fragen zu klären. Und andere Menschen auch in ihrem Leben, in ihrem Suchen, in ihrem Glauben in Bewegung zu bringen. Fast wie beim Tanzen. Vielleicht sollte ich es wagen, mich auf beides neu einzulassen!
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Der Spielplatz um die Ecke hat unlängst wieder frischen Sand bekommen. Das Spielen mit dem alten, verdreckten Sand hat den Kindern irgendwann keinen Spaß mehr gemacht. Gut, dass er ersetzt wird, hab‘ ich mir gedacht. Und dabei zugeschaut, wie die Kinder ihre Sandburgen bauen. So prächtig sie am Anfang auch aussehen - spätestens nach ein paar Tagen bleibt nur noch ein kleiner Sandhaufen übrig. Die ach so stolze Sandburg war halt nicht nur aus Sand. Sie war auch auf Sand gebaut!
Jesus spricht einmal von Häusern, die buchstäblich auf Sand gebaut sind. In der Bergpredigt sagt er: „Ein unvorsichtiger Hausbauer verzichtet auf ein Fundament, sondern baut einfach auf Sand. Schon beim nächsten Sturm fällt das Haus in sich zusammen.“ (Matthäus 7,26+27) Zumindest als Untergrund taugt Sand also nicht unbedingt. Es sei denn, man fügt Zement und Wasser dazu – und erhält widerstandsfähigen Beton.
Deshalb steht der Sand heute in höherem Kurs als zur Zeit Jesu. Nicht nur Beton lässt sich aus Sand machen. Sondern etwa auch Glas. Inselstrände werden mit Sand gesichert. Und Land ins Wasser ausgedehnt. Sand ist nach Wasser der wichtigste Rohstoff. Und sein Besitz längst Anlass für kriegerische Auseinandersetzungen.
Daran konnte Jesus noch gar nicht denken. Jesu Sand-Beispiel aus der Bergpredigt meint zunächst: Leben braucht einen verlässlichen Grund. Ich muss auch standhaft bleiben können, wenn Sturm und Unwetter über mich hinwegfegen. Deshalb wirbt Jesus für den Glauben an Gott. Mehr noch: Jesus bietet sich selber als Fundament an für ein Leben, das nicht gleich ins Wanken kommt, wenn’s einmal stürmisch wird. In der Bergpredigt geht es genau darum, wie sich ein solches Fundament fürs Leben gewinnen lässt. Indem ich Frieden stifte und auf meine Feinde zugehe. Indem ich für Gerechtigkeit eintrete. Indem ich Licht in das Leben der Menschen bringe. Wenn ich versuche, meinem Leben ein solches Fundament zu geben, ersetze ich also nicht einfach den alten Sand durch neuen. Vielmehr soll ich auf einen Untergrund bauen, der Bestand hat. Höchste Zeit also, meine ich, an den eigenen Sandaustausch zu denken. Damit meine ich: Meinen Lebens-Sand nicht einfach nur ersetzen, das wäre keine Lösung, die Bestand hat. Vielmehr geht es darum, ihn festzumachen. Damit ich auf ihm bauen kann. Auf dem Spielplatz wäre das keine gute Idee. Im Leben aber schon.
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Keine sportliche Veranstaltung beeindruckt mich so sehr wie ein Marathonlauf. Ich weiß, ich werde nie 42 Kilometer am Stück laufen können. Schon gar nicht mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers. Aber es sind immer Tausende, die bei einem Marathonlauf mitmachen. So wie unlängst wieder in Freiburg. Die Strecke hat ganz nah an unserem Haus vorbeigeführt. Kein Wunder, dass meine Frau und ich auch am Rand der Strecke gestanden und die Läuferinnen und Läufer unterstützt haben.
Am Anfang kommen die Schnellen, denen es ums Gewinnen geht. Die weitaus meisten gehören aber zu denen, die einfach stolz sind, den Lauf durchzuhalten. Wir haben unterschiedslos alle angefeuert. Das Schöne war: Es haben sich auch alle gefreut. Und gestrahlt. Viele haben „Danke“ gerufen. Andere haben uns abgeklatscht. Hinterher haben uns manche der Teilnehmenden dann erzählt, wie wichtig die Menschen an der Strecke für sie sind, um den Lauf durchzuhalten. Läuferinnen und Läufer und die, die am Rand stehen und anfeuern – beide gehören sie zu einem Marathonlauf dazu. Und machen ihn nicht nur für die, die mitlaufen, zu einem besonderen Ereignis.
Wie schon am Beginn der Jesus-Bewegung habe ich gedacht. Da waren auf der einen Seite die, die mit Jesus durchs Land gezogen sind. Die alles zurückgelassen haben. Ihren Beruf. Ihre Umgebung. Die vertrauten Menschen. Sie haben sich auf etwas eingelassen, von dem sie nicht gewusst haben, ob sie es wirklich durchhalten. Ein Marathonlauf der besonderen Art. Aber da gab’s dann eben auch die Sympathisantinnen und Sympathisanten. Menschen, die die anderen mit allem Lebensnotwendigen versorgt haben. Mit Essen. Mit einem Dach über dem Kopf. Es hat also beide gebraucht: Die einen, die das Wagnis eingegangen sind, mit Jesus die besonderen Herausforderungen seines Lebens zu teilen. Und die anderen, die für deren Versorgung nötig gewesen sind. (Lukas 8,1-3)
Für mich heißt das: Ich kann im Leben verschiedene Rollen einnehmen. Ich muss gar nicht der Marathonläufer sein. Manchmal genügt es, einfach an der Strecke zu stehen. Auch dann bin ich dabei und mache mit. Ich kann mich um Menschen in Not kümmern. Möglichkeiten gibt es genug. Manchmal genügt aber auch schon ein mutiger Widerspruch. Wenn über Menschen schlecht geredet wird. Beides gehört zusammen. Bei beidem kann ich wichtig sein.
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Ich hab‘ richtig den Atem angehalten! Mit einem Mal ist meine Enkeltochter quer durch den Raum gelaufen. Von einer Ecke zur anderen. Wenige Tage ist das erst her. Für mich war das irgendwie schon ein besonderer Augenblick. Für alle anderen, die dabei gewesen sind, auch. Und das Glück und der Stolz – sie standen auch der Kleinen ins Gesicht geschrieben. Am Ende ist sie stehen geblieben. Und hat sich selbst beklatscht.
Warum ist das so faszinierend, dass ein Mensch auf zwei Beinen steht? Und geht? Dass ich aufrecht durchs Leben gehen kann, das ist zuallererst einfach eine Besonderheit meiner biologischen Ausstattung. Das unterscheidet den Menschen von den allermeisten Tieren. Für Johann Gottfried Herder, Theologe und Philosoph im Geist der Aufklärung, der im 18. Jahrhundert gelebt hat, war der aufrechte Gang sogar das entscheidende Kennzeichen des Menschen. Nur so käme auch die Vernunft zum Zug, hat er gemeint. Auch wenn wir heute noch andere Kriterien heranziehen, um Mensch und Tier zu unterscheiden: Der aufrechte Gang gehört sicher weiter zu den besonderen Eigenschaften, die dem Menschen zugeschrieben werden. Nicht ohne Grund wird er auch als Bild dafür verwendet, was einen Menschen auszeichnet
Wenn ich an einem Menschen wertschätze, dass er aufrecht durchs Leben geht, dann möchte ich damit ausdrücken, dass sich jemand nicht verbiegen lässt. Dass einem Menschen Wahrheit und Wahrhaftigkeit wichtig sind. In einem Psalm in der Bibel finde ich das mit schönen Worten zum Ausdruck gebracht. Da heißt es: „Gott hat den Menschen wenig niedriger gemacht als die Engel!“, (Psalm 8). Gottes Ebenbild sei er. Derart gewürdigt kann der Mensch nur aufrecht durchs Leben gehen. „Schon an den Kindern können wir diese besondere Würde ablesen“, heißt es im selben Psalm dann weiter.
Der erste Gang meiner Enkeltochter – er war für mich so etwas wie eine Predigt. Ohne Worte. Aber eindrücklich und eindringlich. Staunend habe ich wahrgenommen, wie die Kleine mit den ersten Schritten einen ganz großen Schritt auf ihrem Weg durchs Leben gemacht hat. Die Predigt der ersten Schritte – sie hat mich daran erinnert, wie Gott sich den Menschen vorgestellt hat. Standhaft. Aufrecht. Und frei, seine Richtung zu wählen. Aufrecht möchte ich darum durchs Leben gehen. Selbst dann, wenn mir der Gang auf zwei Beinen Mühe macht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=39696SWR2 Wort zum Tag
Der Gang zum Briefkasten gehört für mich jeden Tag dazu. Kaum höre ich die Klappe, weil jemand etwas eingeworfen hat, da werde ich auch schon neugierig. Und schaue nach, was sich im Briefkasten findet. Ehrlich gesagt, es ist immer weniger und immer belangloseres Zeug. Selbst Rechnungen kommen inzwischen meist per Mail. Und persönliche Nachrichten über einen Nachrichtendienst auf dem Handy. Der Briefkasten verkommt zusehends zum Relikt einer zu Ende gehenden Zeit. Trotzdem komme ich von meinem Gang zum Briefkasten nicht los.
Ein Brief ist ja viel mehr als nur ein Medium, um eine Nachricht zu überbringen. Schon am Format erkenne ich, ob ein persönlicher Absender schreibt oder eine Firma. Ich spüre, ob der Umschlag gefüttert ist. Und ich nehme wahr, ob es sich um einen Serienbrief handelt oder ein persönlich an mich gerichtetes Schreiben. Die erste Botschaft sendet ein Brief also längst, bevor ich ihn überhaupt gelesen habe.
Der Apostel Paulus war ein leidenschaftlicher Briefeschreiber. Kritiker haben aber von ihm erwartet, dass er sich auch als Apostel ausweist. Dass er Referenzen und Zeugnisse vorlegen kann. Wie bei einer Bewerbung. Da verweist Paulus auf die von ihm gegründete Gemeinde in Korinth. An die schreibt er: „Ihr seid mein Beglaubigungsschreiben. Mehr noch: Ihr seid ein Brief Christi!“ (2. Korinther 3,3) Das heißt doch: An euch, an eurem Zusammenleben, an den Botschaften, die ihr in die Welt sendet, ist abzulesen, wofür ihr steht. Ein schönes Bild ist das, finde ich. Das Zusammenleben in der Gemeinde als ein Brief, den andere öffnen und lesen können. Vielleicht kann ich selber auch für andere ein Brief sein. Ein Mensch, dem andere abspüren können, wofür er steht. Was ihm wichtig ist. Und am liebsten bin ich das mit einer guten Nachricht: Du bist für mich wertvoll. Manchmal bin ich vielleicht auch ein Mahnschreiben. Aber ich möchte möglichst selten als vernichtendes Urteil wahrgenommen werden.
Dass die Mitmenschen um mich herum mich wie einen Brief lesen können, der eine gute, eine hilfreiche Nachricht übermittelt, das wünsche ich mir. Etwas von dem, was mich zu einem Brief Christi machen könnte, ist hoffentlich auch dabei. Weil es mir wichtig ist, etwas von seiner Botschaft der Menschenfreundlichkeit Gottes in die Welt und unter die Menschen zu bringen. Und wenn nicht als Brief, dann gerne als Mail oder Tweet oder als Wort zum Tag!
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