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SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR Kultur Wort zum Tag

21AUG2024
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„Ich hätte gerne eine Seele!“ Der junge Mann, der da unlängst morgens beim Bäcker neben mir seine Bestellung aufgegeben hat, hat sich wohl nichts weiter dabei gedacht. Ganz spontan habe ich zu ihm gesagt: „Aber sie haben doch schon eine!“ Erst hat er mich ganz verständnislos angeschaut; dann hat er plötzlich herzhaft gelacht. „Ja, aber nicht so eine!“ Und mit einem Mal waren wir mitten im Gespräch. Über das, was unsere innere Seele ausmacht und was es mit der Seele auf sich hat, die er für sein Frühstück mitnehmen wollte. Und die ich genauso köstlich finde wie er. Der Teig, meist aus Dinkelmehl, länglich geformt, mit langer Gärzeit der Hefe, muss Blasen werfen. Am Ende wird der Teig mit Salz und Kümmel bestreut. Wenn die Seelen dann gebacken sind, gleicht keine der anderen. Jede hat ihre eigene Form, wenn sie da auf dem Backblech nebeneinander liegen.

Aber es ist nicht die eigene, unverwechselbare Form, die dem Gebäck seinen Namen gegeben hat. Womöglich stammt die Seele als Gebäck sogar noch aus vorchristlicher Zeit, als man armen Seelen etwas Nahrhaftes zum Überleben geben wollte. Und später haben christliche Backhandwerker diesen Brauch dann gerne weitergeführt und den Begriff für das gebackene Teilchen übernommen.

Das kurze Gespräch über die Seele gehört aber nicht nur an die Brötchentheke. Auf dem Heimweg habe ich weiter nachgedacht. Umgangssprachlich wird der Begriff Seele oft verwendet als Gegensatz zu dem, was von einem Menschen bleibt, wenn der Körper nach dem Tod zu Staub zerfällt. Ich meine aber, dass ich die Bibel auf meiner Seite habe, wenn ich Leib und Seele mir nur als eine Einheit vorstellen kann: „Lobe den Herrn, meine Seele!“, heißt es da zum Beispiel in einem Psalm. Hier ist ein Mensch doch als Ganzes im Blick. Nicht nur als Seele, wie sie umgangssprachlich oft verstanden wird.

„Ich hätte gerne eine Seele!“ Der Wunsch des jungen Mannes beim Bäcker, er könnte dann - jetzt wörtlich genommen - zum Ausdruck bringen: „Ich wäre gerne eine unverwechselbare, einzigartige Person, gerne mit Ecken und Kanten. Aber auch mit der mir eigenen Würde. Und der Aussicht, dass etwas von mir bleibt.“ Und dann sind wir mittendrin im Nachdenken über Gott und die Welt. Über meine Beziehungen zu den Menschen um mich herum. Und über meine Beziehung zu Gott, dem sich alles Leben verdankt. Deshalb will ich nicht nur meine Seele in Sicherheit bringen. Sondern andere Seelen für diese Sicht aufs Leben begeistern.

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SWR Kultur Wort zum Tag

20AUG2024
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„Gott ist Luft für dich? Dann bitte tief einatmen!“ sagt der Theologe Hans-Joachim Höhn am Ende eines Interviews. Dieser Satz hat mich richtig elektrisiert. Wenn ich sage, jemand ist Luft für mich, meine ich doch, dieser Mensch spielt für mich keine Rolle mehr. Dabei ist Luft ja für jeden Menschen lebensnotwendig. „Ich brauche dich wie die Luft zum Atmen!“ Das trifft dann schon eher, was Luft für mich ist.

Hans-Joachim Höhn hat beide Sichtweisen miteinander kombiniert. Wenn Gott für jemanden Luft ist, da hilft nur eines: Diese Luft kräftig einatmen. Sich diesem göttlichen Luftzug aussetzen. Und Gott in diesem Sinn dann wirklich Luft sein lassen. Ein genialer Gedankengang!

Eigentlich ist es kein Wunder, dass jemand Gott mit der Luft in Verbindung bringt! Gleich am Anfang der Bibel findet sich der Bericht von der Erschaffung des Menschen. Aus Erde formt Gott eine menschliche Gestalt. Wie ich sie schon häufig am Strand aus Sand geformt gesehen habe. Eine Figur aus Sand – ohne Leben. Im Schöpfungsbericht der Bibel heißt es dann weiter: „Da blies Gott den Atem des Lebens in den Menschen hinein. So wurde er lebendig.“ (1. Mose 2,7)

Zum ersten Mal ist Gott hier Luft für den Menschen. Durch diese göttliche Mund-zu-Mund-Beatmung ist der Erdenkloß dann ein lebendiges Wesen geworden. Wer atmet, lebt. Auch in einem übertragenen Sinn mache ich diese Erfahrung immer wieder: Ich spüre, dass es da etwas gibt, das Leben in mich bringt, wenn mir die Lust daran auch mal abhandenkommt. Ich spüre eine Lebendigkeit, die nicht aus mir selber kommt. In Form von Ideen, die mir zufliegen. In der Bereitschaft, etwas noch einmal zu versuchen, was bisher gescheitert ist. Oder mich auf etwas Neues einzulassen. Das fühlt sich dann an, wie von der Luft Gottes zu kosten.

Und wenn Gott einmal wirklich für mich Luft ist, wenn ich Gott irgendwie verloren habe, dann bleibt mir immer noch die Übung, tief durchzuatmen. Und irgendwann womöglich wieder etwas von der Lebendigkeit des Lebens zu spüren. Von der Lebenslust und Lebensluft Gottes. Auch wenn dabei oft eine ordentliche Portion Geduld nötig ist. Dass Gott Luft für mich ist – im einen wie im anderen Sinn - hält mich mit Gott in Beziehung. Ganz so wie Hans-Joachim Höhn es formuliert hat: Gott ist Luft für dich? Dann bitte tief einatmen!

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SWR Kultur Wort zum Tag

19AUG2024
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„Gott schätzt uns, wenn wir singen! Aber wenn wir tanzen, liebt er uns!“ Von Augustinus stammt dieser Satz, der vor mehr als eineinhalbtausend Jahren gelebt hat. Ich bin - ehrlich gesagt - kein allzu begeisterter Tänzer. Dafür singe ich gern. Trotzdem habe ich in diesem Sommer über das Tanzen nachdenken müssen.

Studierende einer Dresdner Tanzhochschule waren eine Woche lang auf der Insel Hiddensee, wo wir Urlaub gemacht haben. Die haben da überall getanzt. An ganz verschiedenen Orten. Am Hafen. In der Natur. In der Kirche. Immer wieder anders gekleidet. Und in wechselnden Formationen. Ein fantastisches Erlebnis! Der Gegensatz von Kopf und Körper? Irgendwie schien er wie aufgehoben. Kein Wunder, denn von der großen Tänzerin und Tanzlehrerin Gret Palucca, nach der die Hochschule benannt ist, stammt der Satz: „Ihr müsst mit dem Kopf tanzen und mit den Beinen denken!“

Dieser Satz dreht die normalen Verhältnisse auf den Kopf. Man denkt doch mit dem Kopf und tanzt mit den Beinen. Die Schwierigkeit dabei: Man bekommt beides eben oft nicht zusammen. Mit dem Kopf tanzen und mit den Beinen denken – diese Umkehrung des Gewohnten hat mich an einen Satz des Paulus erinnert. Der schreibt einmal: „Ihr müsst mit dem Herzen glauben und mit dem Mund bekennen.“ (Römer 10,10) Und dieser Satz macht auch umgekehrt Sinn: Gerade mein Bekennen muss doch tief in meinem Herzen verankert sein. Dann kann ich auch mit meinem Mund meinen Glauben öffentlich machen.

Manche Wahrheiten entdeckt man eben erst, wenn man das Gewohnte auf den Kopf stellt. Das gilt für den Satz von Palucca genauso wie für den des Paulus. Für meinen Glauben könnte das heißen: In meinem Herzen kommt mein Glaube in Bewegung. In einen inneren Dialog der Wahrheit. Da formt sich mein eigenes Bekennen. Dann erst kann ich über meinen Glauben auch mit anderen ins Gespräch kommen; ihn so festigen und weiterentwickeln. Kann sagen, was mich in meinem Leben trägt. Gerade auf das Letzte kommt's mir an. Mit meinem Glauben nicht hinterm Berg zu halten. Sondern im Gespräch mit anderen Suchbewegungen in Gang zu bringen. Meine eigenen Fragen zu klären. Und andere Menschen auch in ihrem Leben, in ihrem Suchen, in ihrem Glauben in Bewegung zu bringen. Fast wie beim Tanzen. Vielleicht sollte ich es wagen, mich auf beides neu einzulassen!

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SWR Kultur Wort zum Tag

17APR2024
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Der Spielplatz um die Ecke hat unlängst wieder frischen Sand bekommen. Das Spielen mit dem alten, verdreckten Sand hat den Kindern irgendwann keinen Spaß mehr gemacht. Gut, dass er ersetzt wird, hab‘ ich mir gedacht. Und dabei zugeschaut, wie die Kinder ihre Sandburgen bauen. So prächtig sie am Anfang auch aussehen - spätestens nach ein paar Tagen bleibt nur noch ein kleiner Sandhaufen übrig. Die ach so stolze Sandburg war halt nicht nur aus Sand. Sie war auch auf Sand gebaut!

Jesus spricht einmal von Häusern, die buchstäblich auf Sand gebaut sind. In der Bergpredigt sagt er: „Ein unvorsichtiger Hausbauer verzichtet auf ein Fundament, sondern baut einfach auf Sand. Schon beim nächsten Sturm fällt das Haus in sich zusammen.“ (Matthäus 7,26+27) Zumindest als Untergrund taugt Sand also nicht unbedingt. Es sei denn, man fügt Zement und Wasser dazu – und erhält widerstandsfähigen Beton.

Deshalb steht der Sand heute in höherem Kurs als zur Zeit Jesu. Nicht nur Beton lässt sich aus Sand machen. Sondern etwa auch Glas. Inselstrände werden mit Sand gesichert. Und Land ins Wasser ausgedehnt. Sand ist nach Wasser der wichtigste Rohstoff. Und sein Besitz längst Anlass für kriegerische Auseinandersetzungen.

Daran konnte Jesus noch gar nicht denken. Jesu Sand-Beispiel aus der Bergpredigt meint zunächst: Leben braucht einen verlässlichen Grund. Ich muss auch standhaft bleiben können, wenn Sturm und Unwetter über mich hinwegfegen. Deshalb wirbt Jesus für den Glauben an Gott. Mehr noch: Jesus bietet sich selber als Fundament an für ein Leben, das nicht gleich ins Wanken kommt, wenn’s einmal stürmisch wird. In der Bergpredigt geht es genau darum, wie sich ein solches Fundament fürs Leben gewinnen lässt. Indem ich Frieden stifte und auf meine Feinde zugehe. Indem ich für Gerechtigkeit eintrete. Indem ich Licht in das Leben der Menschen bringe. Wenn ich versuche, meinem Leben ein solches Fundament zu geben, ersetze ich also nicht einfach den alten Sand durch neuen. Vielmehr soll ich auf einen Untergrund bauen, der Bestand hat. Höchste Zeit also, meine ich, an den eigenen Sandaustausch zu denken. Damit meine ich: Meinen Lebens-Sand nicht einfach nur ersetzen, das wäre keine Lösung, die Bestand hat. Vielmehr geht es darum, ihn festzumachen. Damit ich auf ihm bauen kann. Auf dem Spielplatz wäre das keine gute Idee. Im Leben aber schon.

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SWR Kultur Wort zum Tag

16APR2024
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Keine sportliche Veranstaltung beeindruckt mich so sehr wie ein Marathonlauf. Ich weiß, ich werde nie 42 Kilometer am Stück laufen können. Schon gar nicht mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers. Aber es sind immer Tausende, die bei einem Marathonlauf mitmachen. So wie unlängst wieder in Freiburg. Die Strecke hat ganz nah an unserem Haus vorbeigeführt. Kein Wunder, dass meine Frau und ich auch am Rand der Strecke gestanden und die Läuferinnen und Läufer unterstützt haben.

Am Anfang kommen die Schnellen, denen es ums Gewinnen geht. Die weitaus meisten gehören aber zu denen, die einfach stolz sind, den Lauf durchzuhalten. Wir haben unterschiedslos alle angefeuert. Das Schöne war: Es haben sich auch alle gefreut. Und gestrahlt. Viele haben „Danke“ gerufen. Andere haben uns abgeklatscht. Hinterher haben uns manche der Teilnehmenden dann erzählt, wie wichtig die Menschen an der Strecke für sie sind, um den Lauf durchzuhalten. Läuferinnen und Läufer und die, die am Rand stehen und anfeuern – beide gehören sie zu einem Marathonlauf dazu. Und machen ihn nicht nur für die, die mitlaufen, zu einem besonderen Ereignis.

Wie schon am Beginn der Jesus-Bewegung habe ich gedacht. Da waren auf der einen Seite die, die mit Jesus durchs Land gezogen sind. Die alles zurückgelassen haben. Ihren Beruf. Ihre Umgebung. Die vertrauten Menschen. Sie haben sich auf etwas eingelassen, von dem sie nicht gewusst haben, ob sie es wirklich durchhalten. Ein Marathonlauf der besonderen Art. Aber da gab’s dann eben auch die Sympathisantinnen und Sympathisanten. Menschen, die die anderen mit allem Lebensnotwendigen versorgt haben. Mit Essen. Mit einem Dach über dem Kopf. Es hat also beide gebraucht: Die einen, die das Wagnis eingegangen sind, mit Jesus die besonderen Herausforderungen seines Lebens zu teilen. Und die anderen, die für deren Versorgung nötig gewesen sind. (Lukas 8,1-3)

Für mich heißt das: Ich kann im Leben verschiedene Rollen einnehmen. Ich muss gar nicht der Marathonläufer sein. Manchmal genügt es, einfach an der Strecke zu stehen. Auch dann bin ich dabei und mache mit.  Ich kann mich um Menschen in Not kümmern. Möglichkeiten gibt es genug. Manchmal genügt aber auch schon ein mutiger Widerspruch. Wenn über Menschen schlecht geredet wird. Beides gehört zusammen. Bei beidem kann ich wichtig sein.

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SWR Kultur Wort zum Tag

15APR2024
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Ich hab‘ richtig den Atem angehalten! Mit einem Mal ist meine Enkeltochter quer durch den Raum gelaufen. Von einer Ecke zur anderen. Wenige Tage ist das erst her. Für mich war das irgendwie schon ein besonderer Augenblick. Für alle anderen, die dabei gewesen sind, auch. Und das Glück und der Stolz – sie standen auch der Kleinen ins Gesicht geschrieben. Am Ende ist sie stehen geblieben. Und hat sich selbst beklatscht.

Warum ist das so faszinierend, dass ein Mensch auf zwei Beinen steht? Und geht? Dass ich aufrecht durchs Leben gehen kann, das ist zuallererst einfach eine Besonderheit meiner biologischen Ausstattung. Das unterscheidet den Menschen von den allermeisten Tieren. Für Johann Gottfried Herder, Theologe und Philosoph im Geist der Aufklärung, der im 18. Jahrhundert gelebt hat, war der aufrechte Gang sogar das entscheidende Kennzeichen des Menschen. Nur so käme auch die Vernunft zum Zug, hat er gemeint. Auch wenn wir heute noch andere Kriterien heranziehen, um Mensch und Tier zu unterscheiden: Der aufrechte Gang gehört sicher weiter zu den besonderen Eigenschaften, die dem Menschen zugeschrieben werden. Nicht ohne Grund wird er auch als Bild dafür verwendet, was einen Menschen auszeichnet

Wenn ich an einem Menschen wertschätze, dass er aufrecht durchs Leben geht, dann möchte ich damit ausdrücken, dass sich jemand nicht verbiegen lässt. Dass einem Menschen Wahrheit und Wahrhaftigkeit wichtig sind. In einem Psalm in der Bibel finde ich das mit schönen Worten zum Ausdruck gebracht. Da heißt es: „Gott hat den Menschen wenig niedriger gemacht als die Engel!“, (Psalm 8). Gottes Ebenbild sei er. Derart gewürdigt kann der Mensch nur aufrecht durchs Leben gehen. „Schon an den Kindern können wir diese besondere Würde ablesen“, heißt es im selben Psalm dann weiter.

Der erste Gang meiner Enkeltochter – er war für mich so etwas wie eine Predigt. Ohne Worte. Aber eindrücklich und eindringlich. Staunend habe ich wahrgenommen, wie die Kleine mit den ersten Schritten einen ganz großen Schritt auf ihrem Weg durchs Leben gemacht hat. Die Predigt der ersten Schritte – sie hat mich daran erinnert, wie Gott sich den Menschen vorgestellt hat. Standhaft. Aufrecht. Und frei, seine Richtung zu wählen. Aufrecht möchte ich darum durchs Leben gehen. Selbst dann, wenn mir der Gang auf zwei Beinen Mühe macht.

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SWR2 Wort zum Tag

23MRZ2024
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Der Gang zum Briefkasten gehört für mich jeden Tag dazu. Kaum höre ich die Klappe, weil jemand etwas eingeworfen hat, da werde ich auch schon neugierig. Und schaue nach, was sich im Briefkasten findet. Ehrlich gesagt, es ist immer weniger und immer belangloseres Zeug. Selbst Rechnungen kommen inzwischen meist per Mail. Und persönliche Nachrichten über einen Nachrichtendienst auf dem Handy. Der Briefkasten verkommt zusehends zum Relikt einer zu Ende gehenden Zeit. Trotzdem komme ich von meinem Gang zum Briefkasten nicht los.

Ein Brief ist ja viel mehr als nur ein Medium, um eine Nachricht zu überbringen. Schon am Format erkenne ich, ob ein persönlicher Absender schreibt oder eine Firma. Ich spüre, ob der Umschlag gefüttert ist. Und ich nehme wahr, ob es sich um einen Serienbrief handelt oder ein persönlich an mich gerichtetes Schreiben. Die erste Botschaft sendet ein Brief also längst, bevor ich ihn überhaupt gelesen habe.

Der Apostel Paulus war ein leidenschaftlicher Briefeschreiber. Kritiker haben aber von ihm erwartet, dass er sich auch als Apostel ausweist. Dass er Referenzen und Zeugnisse vorlegen kann. Wie bei einer Bewerbung. Da verweist Paulus auf die von ihm gegründete Gemeinde in Korinth. An die schreibt er: „Ihr seid mein Beglaubigungsschreiben. Mehr noch: Ihr seid ein Brief Christi!“ (2. Korinther 3,3) Das heißt doch: An euch, an eurem Zusammenleben, an den Botschaften, die ihr in die Welt sendet, ist abzulesen, wofür ihr steht. Ein schönes Bild ist das, finde ich. Das Zusammenleben in der Gemeinde als ein Brief, den andere öffnen und lesen können. Vielleicht kann ich selber auch für andere ein Brief sein. Ein Mensch, dem andere abspüren können, wofür er steht. Was ihm wichtig ist. Und am liebsten bin ich das mit einer guten Nachricht: Du bist für mich wertvoll. Manchmal bin ich vielleicht auch ein Mahnschreiben. Aber ich möchte möglichst selten als vernichtendes Urteil wahrgenommen werden.

Dass die Mitmenschen um mich herum mich wie einen Brief lesen können, der eine gute, eine hilfreiche Nachricht übermittelt, das wünsche ich mir. Etwas von dem, was mich zu einem Brief Christi machen könnte, ist hoffentlich auch dabei. Weil es mir wichtig ist, etwas von seiner Botschaft der Menschenfreundlichkeit Gottes in die Welt und unter die Menschen zu bringen. Und wenn nicht als Brief, dann gerne als Mail oder Tweet oder als Wort zum Tag!

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SWR2 Wort zum Tag

22MRZ2024
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„Erkenne dich selbst!“ Dieser Satz ist am Apollon-Tempel im griechischen Delphi zu lesen. Wer sich in der Antike zur Befragung des berühmten Orakels aufgemacht hat, konnte ihm nicht entgehen. Vor kurzem war ich zum ersten Mal selbst in Delphi. Ich gebe zu: Eine gewisse Ehrfurcht hat mich an diesem Ort schon ergriffen. Delphi war für die Menschen damals schon ein ganz besonderer Ort. Hier wollten viele die Antwort auf die entscheidenden Fragen ihres Lebens finden.

Der Satz über dem Eingang in den Tempel macht klar: Die Antworten des Orakels entspringen nicht einfach irgendeiner willkürlichen Einsicht. Wohl auch nicht den heißen Wasserdämpfen, die die Priesterin in eine Art Trance versetzt haben sollen. Sie spiegeln die Überzeugung wider, dass diejenigen, die dem Orakel eine Frage gestellt haben, die Antwort in sich selbst finden können. Die eigentliche Aufgabe beim Entschlüsseln bestand darin, in der Beschäftigung mit sich selbst den Sinn der Antwort zu verstehen.

Die Überzeugung, dass die Lösung eines Problems in mir selbst liegt, ist also nicht neu. Manchmal bin ich aber auch etwas ratlos, wenn mich jemand zu schnell darauf verweist, dass die Antworten auf meine Fragen doch in mir selbst zu finden seien. Sicher - wenn ich versuche, meine Gefühle, meine Reaktionsweisen zu verstehen, kommen meine Prägungen, meine Erfahrungen, meine Überzeugungen ins Spiel. Aber manchmal stoße ich da auch an eine Grenze. Vor allem dann, wenn ich ganz grundsätzliche Fragen stelle. „Woher komme ich? Und wohin geht die Reise meines Lebens? Was ist der Sinn meines Daseins?“ Hier werde ich in mir alleine nicht fündig. Jedenfalls nicht so, dass ich mit der Antwort dann auch zufrieden bin. Deshalb hilft mir hier ein Satz des Apostels Paulus weiter. Der schreibt einmal: „Jetzt erkenne ich nur Bruchstücke. Aber irgendwann werde ich vollständig erkennen, so wie Gott mich schon jetzt vollständig erkannt hat.“ (1. Korinther 13,12) Ich bin also längst erkannt. Erkannt durch Gott, der mich durch und durch kennt. Besser als ich mich selbst. Das entlastet mich. Ich bin erkannt, wertgeschätzt - bei Gott. Für mich selbst stelle ich der Aufforderung, mich selbst zu erkennen, noch einen weiteren Satz zur Seite, nämlich: „Weil ich längst erkannt bin!“ Mit dieser Überzeugung mache ich mich dann auch gerne auf die Suche nach den Antworten, die in mir liegen.

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SWR2 Wort zum Tag

21MRZ2024
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Der Frühling ist die Lieblingsjahreszeit Gottes! Da bin ich mir ziemlich sicher. Die Schöpfung wird neu - unübersehbar und kraftvoll. Der Frühling ist auf jeden Fall meine Lieblingsjahreszeit. Gestern hat sie auch im astronomischen Kalender wieder begonnen. Mit einem Mal sprosst es überall hellgrün. Wie ein Flaum. Dann mit immer kräftiger werdendem, dunklerem Grünton. Im Garten vor dem Fenster wachsen Krokusse, Narzissen und Tulpen und überziehen die Erde mit Farbe. Ein Satz aus der Bibel fällt mir dazu ein. Ein Prophet gibt ihn im Auftrag Gottes an seine Mitmenschen weiter: „Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (Jesaja 43,1+19)

Was ich besonders mit dem Frühling verbinde, ist sein Licht. Licht – das Werk des ersten Tages schon bei der biblischen Urerzählung der Schöpfung. Jeden Tag ist es einige Minuten länger da. Das hat dem Frühling einen weiteren Namen gegeben. Aus dem mittelalterlichen Wort für „lang“ - lang für die längeren Tage - hat sich der Name Lenz entwickelt. Dieser Name wird manchmal dafür verwendet, das Alter eines Menschen anzugeben. Ein schöner Brauch, finde ich, das Lebensalter nach den Frühlingsanfängen zu zählen. Man zählt nicht die Sommer, die Herbste oder die Winter eines Lebens. Sondern die Lenze! Und sagt dann: Er oder sie ist soundsoviele Lenze alt. Eine Zählweise, die auch in übertragenem Sinn ihr Recht hat. Denn jedes Leben setzt sich aus einer Kette von Neuanfängen zusammen. Und immer ist eine Ahnung da, dass die Welt auf Dauer nicht so bleiben wird, wie sie sich derzeit darstellt. Die Erfahrung der Schöpfung, die immer wieder neu aufleuchtet, ist eines der stärksten Hoffnungsbilder für die Welt. Ein unübersehbarer Widerspruch gegen alles, was mich sorgenvoll stimmt, wenn ich an die Zukunft denke. Von einem Historiker habe ich unlängst den Satz gehört: „Die Geschichte der Welt ist eine Abfolge von Kriegen.“ Ich denke: Genauso könnte man behaupten: Die Geschichte der Welt ist eine Kette von Neuschöpfungen. Manchmal gegen alle Vernunft. Und gegen allen Augenschein.

Dass die Lichtfenster am Tag länger werden, darauf warte ich. Und dass Gott seiner Schöpfung noch viele Lenze gönnt. Darauf vertraue ich. Wenn denn der Frühling schon Gottes Lieblingsjahreszeit ist.

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SWR2 Wort zum Tag

27JAN2024
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In meinem Bücherregal stehen eine ganze Reihe Bücher zum Thema Glück. Das Thema war lange Zeit der Renner. Die Regale mit Glücks-Büchern in den Buchhandlungen dazu wurden immer länger. Glücksseminare haben geboomt. Eine ganze Reihe Schulen haben sogar Glück als Unterrichtsfach eingeführt. Dann ist die Glückswelle langsam wieder abgeebbt.  Erst Corona. Dann neue kriegerische Auseinandersetzungen. Der schwindende Zusammenhalt in der Gesellschaft. Das hat Folgen. Auch für die lange vorherrschenden Hoffnungen auf immer mehr Glück. Bei einer Glücksforscherin habe ich unlängst gelesen: „Glück ist zurzeit weniger ein Thema! Es geht eher darum: Wie kommen wir durch diese belastete Zeit?“ Ich finde, sie hat recht. Heute kommt es vor allem darauf an, dass wir nicht den Mut verlieren. Oder uns nur noch hinter unseren eigenen vier Wänden von der Welt abschotten. „Das Wort Zuversicht ist heute angemessener als das Wort Glück“, sagt die Glücksforscherin deshalb. „Zuversicht und die psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken, sind die wirkungsvollsten Möglichkeiten, die Krisen-Zeit einigermaßen zu überstehen.“ 

Zuversicht ist ein Wort, das mir gefällt. Aus dem Mittelhochdeutschen stammt dieser Begriff. Lässt sich seit mehr als eintausend Jahren nachweisen. Im Wort Zu-Versicht verbirgt sich ein richtungsgebundenes Schauen. Wer zuversichtlich ist, wartet nicht einfach ab. Sondern schaut der Wirklichkeit ins Auge. Schaut nach vorne. Über das Ende der aktuellen Krisen hinaus. Ich kann danach schauen, was mitten in allem Schwierigen doch auch schön ist. Was jemandem gut gelungen ist. Ich sehe auf die Menschen, die mit mir unterwegs sind. Ich erinnere mich, wie in einer aussichtslosen Situation eine neue Idee plötzlich doch einen Ausweg möglich gemacht hat. 

Wenn ich zuversichtlich bleiben möchte, heißt das aber nicht nur, dass ich hinschaue. Für mich persönlich heißt es auch hinaufzuschauen. Hinauf zu Gott. Mein Glaube an Gott ist die Quelle meiner Zuversicht. „Gott ist meine Zuversicht und Stärke!“ (Psalm 46,2), heißt es in einem alten Lied in der Bibel. Ich finde es wichtig, gerade in diesen nicht leichten Tagen die Zuversicht zu stärken. Nicht nur bei mir. Auch bei anderen Menschen. Durch ein mutmachendes Wort. Durch einen freundlichen Blick. Durch ein Stück geteilte Zeit. Denn Zuversicht steckt an – zum Glück! 

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