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SWR Kultur Lied zum Sonntag

10NOV2024
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Meistens geschieht es in der Nacht. Bei mir, wenn ich lange nicht einschlafen kann. Bei anderen, wenn sie nachts um drei wach werden und bis zum Morgen keinen Schlaf mehr finden: Dann fangen die Gedanken an zu kreisen. Gründe, sich Sorgen zu machen, gibt es ja immer – ungelöste Konflikte, berufliche Schwierigkeiten, die Probleme der Kinder, von Eltern, guten Freuden…. Und wenn das nicht reicht, dann findet sich in der weiten Welt genug beängstigender Stoff, um das Gedankenkarussell anzukurbeln.

Mon âme se repose

Was hilft, um wieder zur Ruhe zu finden? In einem Gebet aus der Bibel gibt jemand eine persönliche Antwort auf diese Frage: Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe, von ihm kommt mir Hilfe, heißt es in Psalm 62.
Diese Ruhe, diesen Frieden – man kann ihn spüren in der fließenden Melodie des Gesangs aus der Gemeinschaft von Taizé.

Bei Gott bin ich geborgen

Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe – das hat der Mensch am eigenen Leib erfahren, dessen Gebet in der Bibel überliefert ist.
Ja, das wäre gut, so zur Ruhe zu kommen, wenn die Gedanken kreisen… wenn es denn so einfach wäre. Die Sorgen sind ja wirklich da – auch wenn sie in der Nacht oft größer erscheinen als sie wirklich sind.
Aber auch die Psalmbeterin, der Psalmbeter hat sehr konkrete Probleme. Und erzählt davon ungeschönt: Wie es ist, wenn alle gegen einen sind, wenn sie nicht lockerlassen, auch wenn einer schon am Zusammenbrechen ist. Wie es ist, wenn Leute lügen, heucheln und dadurch Gewalt anwenden: Sie segnen mit ihrem Mund, aber in ihrem Herzen fluchen sie, so heißt es im Psalm.
Und doch, wie ein Kehrvers wird immer wieder die Erfahrung wiederholt: Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe, von ihm kommt mir Hilfe.

Bei Gott bin ich geborgen, Chor

Wie kommt jemand unter widrigen Umständen zu so einem inneren Frieden? Sicher ist: Wer betet, bleibt nicht allein mit seinen Verletzungen und Enttäuschungen. Sie auszusprechen, sich beklagen zu können, jemanden haben, zu dem man kommen kann mit seinem Kummer, seinen Sorgen – das ist schon viel wert. Und manchmal – das habe ich auch schon erlebt – kehrt dadurch wieder Frieden ein.
Die Person, die im Psalm zu Wort kommt, begnügt sich aber nicht mit innerem Seelenfrieden. In der Ruhe liegt die Kraft: Mutig geworden, wendet sie sich am Ende direkt an die Menschen, die Unrecht tun: Vertraut nicht auf Gewalt, verlasst euch nicht auf Raub – ruft sie ihnen zu. Wenn der Reichtum auch wächst, so verliert doch nicht euer Herz an ihn! Ruhe und Frieden findet ihr nur woanders:

Bei Gott bin ich geborgen, Chor mit Flöte

Das Herz ausschütten bei Gott – und das Unrecht beim Namen nennen. Das hilft der Seele, zur Ruhe zu finden. Und auch: Mit mir selbst, mit meinen Versäumnissen und meiner Begrenztheit Frieden zu schließen. Weil Gott mit mir auch Frieden geschlossen hat – und meine Seele bei ihm in Frieden ruhen darf. In der Nacht – und auch am Tag.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

26OKT2024
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Wenn ich so in den Herbstregen rausschaue, träume ich gerne ein bisschen von Orten, an denen es schön warm und sonnig ist. Warum muss ich hier im nebligen Neckartal sitzen? Nicht nur das Wetter gibt mir Anlass zu überlegen, ob es anderswo vielleicht besser wäre. Wenn ich am Schreibtisch in unserem alten Haus friere, wünsche ich mich in eine gut gedämmte Wohnung. Wenn mich etwas an meiner Arbeit nervt, denke ich über andere Stellen nach…

Woanders sein Glück suchen, wenn es zu Hause nicht läuft – das ist ein naheliegender Gedanke. Aber ist es eine Lösung? Eine alte jüdische Geschichte erzählt davon mit einem Augenzwinkern:

Die Geschichte handelt von einem frommen Mann: Eisik, dem Sohn Jekels. Eisik lebt in Krakau – und hat es schwer im Leben. Eines nachts aber hat er einen Traum. In diesem Traum bekommt er den Auftrag nach einem Schatz zu suchen – und zwar in Prag unter der Brücke, die zum Schloss führt. Als er den Traum zum dritten Mal hat, macht sich Eisik tatsächlich auf die lange Wanderung von Krakau nach Prag, um den Schatz zu suchen. Doch an der Brücke stehen Tag und Nacht Wachen, und er traut sich nicht, dort zu graben. Jeden Tag kommt er wieder und umkreist die Brücke bis zum Abend – bis schließlich einer der Wachen ihn aufmerksam wird. Ob er hier etwas suche oder auf etwas warte, fragt der Wachmann freundlich. Eisik erzählt von seinem Traum. Der Wachmann lacht ihn aus: „Da bist du armer Kerl nur wegen eines Traums so weit gewandert… Ja, wer Träumen traut! Da hätte ich mich ja auch auf den Weg machen müssen, als ich im Traum den Rat bekam, nach Krakau zu wandern und in der Stube eines Eisik, Sohn Jekels, unterm Ofen nach einem Schatz zu graben…“ Als Eisik das hört verneigt er sich höflich, wandert heim, gräbt den Schatz aus und baut davon ein Bethaus.

Der jüdische Philosoph Martin Buber erzählt diese alte Geschichte. Für ihn gibt die Geschichte eine Antwort auf die Frage, wo wir unser Glück finden. „Es gibt etwas“, schreibt Buber dazu, „was man an einem einzigen Ort in der Welt finden kann. Es ist ein großer Schatz, man kann ihn die Erfüllung […] nennen.“ Diesen Schatz, da ist Buber überzeugt, findet man nicht ganz woanders, sondern: „Da, wo wir stehen, da, wo wir hingestellt worden sind.“ Also, wie Eisik in der Geschichte, quasi bei uns zu Hause. In dem, was uns Tag für Tag begegnet und fordert. In der kleinen Welt, die uns anvertraut ist.

Ich glaube, Buber hat recht. Das Ziel ist, das zu finden, wofür es sich zu leben lohnt: Heute – und genau da, wo ich gerade bin.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24OKT2024
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Nein, schön ist das nicht mehr! Von meinem Fenster aus kann ich ein großes Sonnenblumenfeld sehen. Vor einigen Wochen noch war es eine richtige Augenweide: ein Meer von leuchtend gelben Blüten. Inzwischen sieht das Feld gar nicht mehr gut aus. Die Pflanzen sind braun geworden, die Blüten vertrocknet, die Blätter hängen dürr und kraftlos nach unten. So trist ist der Anblick, dass die Landwirtin eine Nachricht zur Erklärung in eine lokale Chatgruppe geschrieben hat: Man soll die welken Sonnenblumen auf den Feldern bitte nicht beschädigen. Denn: Jetzt erst reifen die Kerne, aus denen das Sonnenblumenöl gemacht wird.

Die Nachricht hat mir gefallen, weil ich gemerkt habe: Ein bisschen geht es uns Menschen auch wie den Sonnenblumen. Es gibt Zeiten im Leben, in denen wir aufblühen, eine kraftvolle Ausstrahlung haben. Und dann gibt es Zeiten, in denen unsere Spannkraft und Attraktivität nachlässt. Aber ich glaube: Auch in uns reift dann oft etwas Wertvolles.

Das kann zu jeder Zeit im Leben passieren – spätestens aber im Alter. Wenn man älter wird, ganz langsam merke ich es auch, ist der Körper nicht mehr so leistungsfähig. Und es dauert länger, Neues zu lernen. Wer noch älter ist als ich, weiß: Manches geht irgendwann nicht mehr! Meist keine schöne Erfahrung…

Aber es ist eben im Laufe des Lebens auch etwas gereift. Etwas, das – wie die Kerne in der Sonnenblume – auch für andere wertvoll ist:

Im Alter reift auf jeden Fall die Erfahrung. Wer schon viele Jahre gelebt hat, dem ist meist nichts Menschliches mehr fremd – und Jüngere können, wenn sie zuhören, viel davon profitieren. Mit der Lebenserfahrung wächst im Alter im besten Falle auch die Gelassenheit: Wer schon viel erlebt hat, kann eher einordnen, worüber es sich lohnt, sich aufzuregen – und worüber nicht. Und nicht zuletzt reift im Alter auch die Einsicht, dass wir alle begrenzte Kräfte haben – und ja, auch eine begrenzte Lebenszeit. Eine Einsicht, finde ich, die auch wir Jüngeren ernster nehmen sollten.

Klar ist: Bei aller wertvollen Reife – einfach ist das Altwerden meist nicht. Deshalb finde ich den Bibelvers so tröstlich, in dem Gott verspricht, dass er nicht nur in den Blütezeiten des Lebens da ist: Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet, steht im Jesajabuch.

Das verblühte Sonnenblumenfeld vor meinem Fenster sehe ich auf jeden Fall mit anderen Augen, seit ich über die Sonnenblumenkerne nachdenke, die darin reif werden – und über das Altern. Das, was daran wertvoll ist, sieht man manchmal nicht auf den ersten Blick.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23OKT2024
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Neulich war ich schick zum Essen eingeladen. Ein feines Vier-Gänge-Menü gab es da: Buntes Gemüse an Basilikumpesto, dann eine würzige Brokkoli-Cremesuppe. Als Hauptgericht wurden dreierlei Knödel an Pilzrahm serviert und zum Abschluss Dessertvariationen mit Schokolade. Sehr lecker!

Das Besondere an diesem Menü war aber noch etwas anderes: Alle Zutaten, die dafür verwendet wurden, wären fast auf dem Müll gelandet wären. Wenn sie nicht jemand gerettet hätte…

Eingeladen war ich nämlich ins Foodsharing-Café. Solche Cafés gibt es jetzt in vielen Orten – vielleicht auch in Ihrer Nähe. Dort engagieren sich Leute, die etwas gegen Lebensmittelverschwendung tun wollen. Sie holen in Läden und Bäckereien Waren ab, die sonst in der Tonne landen würden – und geben sie kostenlos weiter. Im Café – und auch an anderen Stellen in der Stadt – gibt es sogenannte Fair-Teiler, Schränke, aus denen man gerettete Lebensmittel kostenlos mitnehmen kann. Manchmal treffen sich die Ehrenamtlichen im Café auch zu Schnibbel-Aktionen, bei denen sie frische Waren verarbeiten, die sich nicht mehr lange halten.

Ein Vier-Gänge-Menü, wie ich es genießen durfte, gibt es natürlich nicht alle Tage – aber das Café ist regelmäßig geöffnet. Zum Cappuccino gibt es dann zum Beispiel eine Schneckennudel vom Vortag, die sonst schon im Müll wäre. Für beides bezahlt man so viel, wie es einem Wert ist – oder wie man eben aufbringen kann. So können sich auch Leute mit schmalem Geldbeutel leisten, mal einen Kaffee trinken zu gehen.

Ein tolles Konzept, finde ich. Für mich als Christin gehört es auch zu meinem Glauben, respektvoll mit Nahrungsmitteln umzugehen. Weil ich Gott dankbar bin für das, was ich habe – und weil ich glaube, dass wir alle Verantwortung tragen: Dafür, dass Nahrungsmittel möglichst gerecht und sinnvoll verteilt werden – und dafür, dass wir unserem Planeten nicht durch sinnlose Massenproduktion schaden.

Diese Überzeugung teilen übrigens auch viele andere Religionen: Jüdinnen und Juden sind genauso dazu aufgerufen, nichts zu verschwenden – weil es Gottes Gabe ist. Auch im Islam gibt es viele Überlieferungen, die mahnen, Lebensmittel nicht achtlos wegzuwerfen. Als Zeichen von besonderem Respekt gibt es in vielen muslimischen Familien sogar die Tradition, das Brot zu küssen.

Ich bin froh, dass ich meine Überzeugung mit so vielen anderen Menschen teile. Und ich finde es super, dass die Lebensmittelretter mit ihren Fair-Teilern es mir leichter machen, mit Nahrungsmitteln gut umzugehen. Außerdem weiß ich jetzt: Aus den Sachen, die zum Wegwerfen bestimmt waren, kann man richtig lecker kochen. Es muss ja nicht immer gleich ein Vier-Gänge-Menü sein…

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22OKT2024
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Auf unserer Bergtour im Sommer haben wir im Matratzenlager übernachtet. Dreißig wildfremde Menschen dicht an dicht im gleichen Raum, das ist schon speziell – und ich bin ganz dankbar, dass ich normalerweise ein eigenes Bett zur Verfügung haben. Trotzdem waren diese Nächte im Matratzenlager für mich eine richtig gute Erfahrung. Vor allem deshalb, weil ich erstaunt war, wie gut das Miteinander auf engstem Raum geklappt hat – weil alle aufeinander Rücksicht genommen haben.

Der Umgangston war freundlich, alle sind bei Bedarf zur Seite gerückt und haben versucht, ihr Gepäck so zu verstauen, dass es niemanden stört. Und auch beim Schlafengehen gab es keine Probleme, obwohl ganz unterschiedliche Bedürfnisse aufeinandergetroffen sind: Der kleine Junge, der mit seiner Familie unterwegs war, war vom Tag in den Bergen total erschöpft und hat schon um 8 Uhr fest geschlafen. Auch das ältere Ehepaar hat sich früh aufs Lager zurückgezogen, genau wie die Familie aus den Niederlanden, die am nächsten Tag ganz früh auf den Klettersteig wollte. Der feierfreudige Freundeskreis aus dem Rheinland und die beiden amerikanischen Studenten haben dagegen unten in der Stube noch einen beschwingten Abend genossen – sind aber dann pünktlich zur Hüttenruhezeit mucksmäuschenstill mit Taschenlampen ins Lager geschlichen, um niemanden aufzuwecken.

Als ich nachts mal aufgewacht bin und gemerkt habe, wie friedlich alle um mich herum schlafen, habe ich mich richtig gefreut. Weil ich gespürt habe: Ganz unterschiedliche Menschen kommen auch unter beengten Verhältnissen miteinander klar, wenn alle aufeinander achten.

Klar, auf der Hütte ist es anders als im Alltag: Wer eine Hüttentour macht, stellt sich auf die Bedingungen dort ein, ist in der Regel freiwillig da, hat Urlaub und meistens einen schönen Tag in den Bergen hinter sich. Da ist es leichter, entspannt miteinander umzugehen als mitten im Alltagsstress.

Und trotzdem: Die Nächte im Matratzenlager haben mir gezeigt, dass es möglich ist, unter beengten Verhältnissen Rücksicht zu nehmen. Die Erfahrung versuche ich mitzunehmen auch in andere Situationen, in denen viele fremde Menschen auf engem Raum zusammenkommen: im Zug, bei dem mal wieder ein Wagen fehlt, im überfüllten Wartezimmer oder in der Supermarktschlange zum Beispiel. Auch da probiere ich, entspannt zu bleiben.

Ich bin sicher: Es lohnt sich – weil es das Leben so viel angenehmer macht. Eine „goldene Regel“, wie das besser gelingt, steht schon in der Bibel: Mit den anderen so umgehen, wie man selbst behandelt werden möchte. Meinen Nachbarn im Matratzenlager im Sommer ist das super gelungen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21OKT2024
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Im Sommer waren wir in den Bergen – und haben eine kleine Tour von Hütte zu Hütte gemacht. Alles, was wir für die Zeit gebraucht haben, musste in den Rucksack – und der auf den Rücken.

Das Packen für so eine Tour ist echt eine Herausforderung, finde ich. Denn jedes Gramm mehr auf dem Rücken macht sich am Ende bemerkbar und kann das Bergvergnügen empfindlich trüben. Vor allem, wenn man, wie ich, keine Wahnsinns-Kondition mitbringt. Also gilt es ganz genau zu überlegen: Was muss zwingend mit – und was ist verzichtbar. Ein gutes Buch, ohne das ich sonst nie auf Reisen gehe, wird da zum Luxusgegenstand.

Gleichzeitig gefällt es mir aber auch, mit möglichst leichtem Gepäck unterwegs zu sein. Weil es zeigt: Man kommt auch mit wenig klar.

Zurück aus den Bergen bin ich auf eine kleine Geschichte gestoßen, die gut dazu passt:

Da wird ein Wanderer in den Bergen von einem Gewitter überrascht. Völlig durchnässt sucht Zuflucht in einem Kloster. Die Mönche laden ihn ein, im Kloster zu übernachten, und der Wanderer nimmt die Einladung dankbar an. Interessiert schaut er sich ein wenig im Kloster um – und ist überrascht über die äußerst schlichte Einrichtung. „Wo habt ihr denn eure Möbel?“, fragt er schließlich einen der Mönche erstaunt. Der Mönch antwortet mit einer Gegenfrage: „Wo haben Sie denn Ihre?“. Der Gast schüttelt verständnislos den Kopf: „Wie meinen Sie das – ich bin ja nur auf der Durchreise!“. „Sehen Sie?“, antwortet der Mönch lächelnd. „Das sind wir auch!“

Nun, ganz so genügsam wie die Mönche bin ich vermutlich nicht. Aber nicht erst seit meiner Hüttentour frage ich mich schon immer mal wieder: Brauche ich wirklich so viele Sachen? Oder wäre vieles von dem, was bei uns zuhause rumliegt, nicht auch langfristig verzichtbar? Sicher, eine Wanderung in den Bergen dauert nur ein paar Tage. Und danach freue ich mich wieder auf meinen frisch gewaschenen Lieblingspulli und die Bücher auf meinem Nachttisch. Aber die Reise mit leichtem Gepäck wirft doch die Frage auf, ob es nicht entlastend wäre, auch sonst im Leben mit weniger Ballast unterwegs zu sein.

Denn darin hat der Mönch in der Geschichte ja recht: Eigentlich ist das ganze Leben so eine Art Reise – selbst wenn man immer am gleichen Ort lebt. Das Leben ist ein Weg, der einen Anfang hat und auch ein Ende. Letztlich sind wir auf unserer Welt alle nur auf der Durchreise. Und ja: mit leichtem Gepäck reist es sich besser.

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SWR Kultur Lied zum Sonntag

01SEP2024
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Eine beschwingte, tänzerische Melodie hat unser Lied heute. Kein Wunder, sie stammt ja auch ursprünglich von einem Liebeslied:

Strophe 1 Kreuzchor

Die beschwingte Melodie passt aber auch wunderbar zu dem geistlichen Text, den Johann Gramann dem Lied im 16. Jahrhundert gegeben hat: Nun lob, mein Seel den Herren. Eine Nachdichtung des 103. Psalms.

Beschwingt – das heißt ja eigentlich: wie auf Schwingen. Und gleich zu Beginn des Psalms und des Liedes ist genau davon die Rede: Du wirst wieder jung wie ein Adler. Weil Gottes Trost dir Flügel verleiht. Ein schönes Bild – aber vielleicht auch ein bisschen übertrieben?

Nein, mit Gott hebt man nicht automatisch ab, schwingt sich nicht leichtfüßig über alles Erdenschwere hinweg. Aber das legt der Psalm auch nicht nahe. Da ist nämlich auch von den Niederungen des Lebens die Rede: von Schuld und Gebrechlichkeit. Und von Gott, der dann da ist: Errett‘ dein armes Leben, nimmt dich in seinen Schoß, dichtet Johann Gramann. Mit Nachdruck werden diese Verse in der Motette von Heinrich Schütz wiederholt:

Schütz, Motette

Das väterlicher und mütterliche Bild von Gott, auf dessen Schoß ich mich verkriechen kann mit allem, was ich mitbringe – das berührt mich. Auch weil die weiche, liebevolle Seite Gottes im Psalm 103 eine besondere Begründung erfährt: Gott erbarmt sich über uns wie ein Vater über seine Kinder, weil er weiß: Wir sind schwache, vergängliche Geschöpfe.

Strophe 3 solo Mertens

Ja, unser Leben ist vergänglich. Und doch – oder gerade deshalb – sind wir von Gott geliebt und geachtet. Daran hält der Psalm fest.

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, heißt es gleich zu Beginn. Diesen Satz nehme mit in den Tag – und die beschwingte Melodie unseres Liedes dazu. In der Hoffnung, dass sie mir und auch Ihnen heute tatsächlich Flügel verleiht.

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SWR Kultur Lied zum Sonntag

23JUN2024
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Halt an, wo läufst du hin – der Himmel ist in dir!
Suchst du Gott anderswo. Du fehlst ihn für und für.

Davon ist Johann Scheffler zutiefst überzeugt. Für ihn ist klar: Gott ist nicht in Büchern zu finden. Und an Gott zu glauben heißt nicht, abstrakte Wahrheiten über ihn anzuerkennen. Für Scheffler ist Glaube ein Gefühl. Eine überwältigende Erfahrung – wie die Liebe. Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu bleiben ewiglich – heißt es im Kehrvers in einem seiner bekanntesten Lieder:

Musik Strophe 1

Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm. Diesem Gedanken aus dem 1. Johannesbrief der Bibel hat Scheffler, der im 17. Jahrhundert als Arzt und Theologe in Breslau gelebt hat, sein Lied gewidmet.

Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm – Schefflers Interpretation solcher Verse, seine mystische Glaubensüberzeugung, dass Gott nur in uns selbst zu finden ist, ja nur in uns existiert, war seinerzeit eine Provokation.

Ich weiß, dass ohne mich Gott nicht einen Augenblick kann leben: Solche Sätze brachten den Protestanten in Konflikt mit der evangelischen Geistlichkeit in Breslau, die sich als Hüterin lutherischer Rechtgläubigkeit verstand. Als die zugespitzten Verse aus seinem Hauptwerk, dem „Cherubinische Wandersmann“, zensiert werden sollten, konvertierte Scheffler, der später unter dem Namen Angelus Silesius bekannt geworden ist, aus Protest zum katholischen Glauben. Dort sah er eine größere Offenheit für die Mystik.

Musik Strophe 3

Gott ist die Liebe – was das bedeutet, beschreibt Scheffler in seinem Lied Strophe für Strophe. Und geht dabei – obwohl es ihm ums Gefühl geht – doch recht systematisch die ganze christliche Glaubenslehre durch: Gottes Liebe erfährt er durch Gott den Schöpfer, durch Christus und den Heiligen Geist. Und Gottes Liebe, darauf vertraut Scheffler, wird es auch sein, die ihn ganz am Ende empfängt

Liebe, die mich wird erwecken, aus dem Grab der Sterblichkeit,
Liebe, die mich wird umstecken, mit dem Laub der Herrlichkeit;
Liebe, dir ergeb ich mich, dein zu blieben ewiglich.

Schefflers Ideen sind, finde ich, auch heute ihrer Radikalität provokant – und bedenkenswert. Denn sie können eine Brücke sein zum christlichen Glauben für alle, die sich mit theoretischen Glaubenswahrheiten schwertun. Nein, sagt Scheffler, Gott finde ich nicht in Dogmen, sondern in mir selbst und meinen Gefühlen. Glauben heißt: Davon überwältigt sein:
Liebe, die mich ewig liebet, heißt es in der sechsten Strophe seines Liedes. Und in dieser Vertonung zitiert die Oberstimme dazu einen Vers aus dem Kolosserbrief der Bibel – wohl ganz in Schefflers Sinne: Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.

Musik Strophe 6

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22JUN2024
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Morgen Abend laufen sie wieder auf – die Stars der deutschen Nationalelf. Wo ich das Spiel schaue, weiß ich noch nicht. Aber mitfiebern werde ich schon. Wenn ich den Profis zuschaue – vor allem den ganz jungen Spielern wie Jamal Musiala oder Florian Wirtz – dann denke ich manchmal, dass es noch gar so nicht lange her ist, dass die als kleine Knirpse mit der F-Jugend oder den Bambinis auf dem Platz standen. Oft bei lokalen Clubs in ihrem Dorf oder Stadtteil, die niemand groß kennt.

Dass die Jungs jetzt in der Nationalmannschaft kicken, ist also auch denen zu verdanken, die sie damals trainiert und ihnen die Grundlagen beigebracht haben – vor allem aber: die ihnen den Spaß am Fußball vermitteln haben.

Darum geht es – jenseits vom großen Kommerz – im normalen Vereinssport ja Gott sei Dank vor allem: um Teamgeist und Spielfreude. Manchmal muss man zu ehrgeizigen Eltern am Spielfeldrand auch beim Dorfclub daran erinnern: Es ist sind nur Kinder. Es ist nur ein Spiel. Und alle hier machen das ehrenamtlich.

Ich finde es bemerkenswert, wenn Leute Woche für Woche, Monat für Monat, Wochenende für Wochenende als ehrenamtliche Trainerinnen und Trainer auf dem Platz sind, für die Jungs – und natürlich auch die Mädels –, die heute bei den Jüngsten spielen. Egal, ob die das Potenzial für eine große Karriere haben oder einfach Freude am Spiel und an der Gemeinschaft.

Wie großartig, dass überall so viele Menschen ihre Zeit, aber auch ihre Kompetenz, ihre Kraft, Nerven und Geduld einsetzen, um Kindern und Jugendlichen diese Erfahrung zu ermöglichen. Natürlich nicht nur als Trainerinnen und Trainer. Um den Spielbetrieb und einen Verein am Laufen zu halten, braucht es ja auch Leute, die sich als Schiris ausbilden lassen, die die Vereinskasse führen, die Trikots waschen und – vielleicht auch dieses Wochenende wieder – beim Vereinsfest die Bierbänke aufbauen und die Pommes braten. Ohne jede Menge ehrenamtliche Arbeit ist das alles jedenfalls nicht möglich. Und jede und jede ist mit seinen und ihren Fähigkeiten gefragt: Seid füreinander da, ruft übrigens schon der erste 1. Petrusbrief in der Bibel auf, mehr noch: Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er erhalten hat.

Ja, ob etwas geht oder nicht, liegt auch an unserem Engagement. Und falls Sport so gar nicht ihr Ding ist, Sie aber trotzdem auch nur ein bisschen Zeit erübrigen können: Der Naturschutzbund vor Ort, der Tafelladen in ihrer Stadt, der Besuchsdienstkreis ihrer Kirchengemeinde oder der Ortsverein ihrer Lieblingspartei wartet schon auf Sie!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21JUN2024
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Trinkst du schon echten Bohnenkaffee? Das hat neulich eine ältere Dame meinen jugendlichen Sohn gefragt. Bohnenkaffee! Das ist ein Wort, das ich schon lange nicht mehr gehört habe. Höchstens vielleicht gelesen, in Büchern über die Nachkriegszeit. Deshalb bin ich daran hängen geblieben.

Bohnenkaffee – aus dem Mund der alten Dame klingt das ein bisschen nach Luxus. Sie kann sich noch daran erinnern, wie es war, als man nur schwer an echten Kaffee kam.

Für mich dagegen ist Kaffee völlig alltäglich. Morgens schalte ich – wie viele von Ihnen wahrscheinlich auch – ohne nachzudenken als erstes die Kaffeemaschine ein und werde erst nach dem ersten Becher Kaffee halbwegs wach. Nachmittags kippe ich die Reste weg und setze gegen das Mittagstief einen neuen auf.

Aber der Klang des Wortes „Bohnenkaffee“ hat mich erinnert, dass es eigentlich stimmt. Kaffee ist ein kleiner Luxus. Kaffeebohnen anzubauen, zu fermentieren, zu rösten und nach Europa zu transportieren ist ein ziemlich aufwändiger Vorgang – und verbraucht viele Ressourcen. Und dass für mich Kaffeetrinken so selbstverständlich ist, liegt auch daran, dass die Leute, die den Kaffee anderswo anbauen und verarbeiten, viel weniger verdienen als ich. Wenn ich fair gehandelten Kaffee kaufe, kann ich dafür sorgen, dass auch dort zumindest einigermaßen faire Löhne gezahlt werden. Das ist wichtig. Aber es ändert nichts an der Tatsache, dass mein täglicher Becher Kaffee eigentlich etwas Besonderes ist – echter Bohnenkaffee eben! Nur wenige bei uns wissen heute noch, wie es war, als es keinen gab. Und wie wunderbar es sich damals angefühlt hat, wieder eine Tasse davon trinken zu können.

 „Bohnenkaffee“ - seit mir dieses Wort wieder begegnet ist, atme ich den Duft der ersten Tasse am Morgen erst einmal genüsslich ein. Dann der erste Schluck… Ein Mini-Genussmoment, bevor der Stress wieder losgeht.

Schmecket und sehet, wie freundlich Gott ist, so heißt es in einem Psalmgebet in der Bibel. Ich mag diesen Vers. Und ja: Die Kaffeepause mit dem echten Bohnenkaffee, dazu vielleicht noch ein Stückchen Schokolade – das ist für mich so ein Moment, in dem ich das schmecken und sehen kann. Und dankbar dafür bin. Ein kleiner Luxus, der mir gut tut!

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