SWR4 Sonntagsgedanken

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05APR2020
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Palmsonntag 2020

Heute ist Palmsonntag. Wir Christen erinnern uns, wie Jesus auf einem Esel in Jerusalem eingeritten ist. Große Menschenmassen haben ihm zugejubelt, haben Palmwedel geschwenkt und Kleidungsstücke vor ihm auf die Straße gelegt. Das alles erzählt die Bibel.

Dieser Tage würde Jesus durch leere Gassen reiten. Dieses Jahr ist für mich die Festtagsstimmung von Palmsonntag nicht zu spüren. Auch eine andere Geschichte aus der Woche vor Ostern würde dieses Jahr nicht stattfinden. Jesus war eingeladen und saß mit seinen Jüngern beim Essen. Plötzlich kommt eine Frau durch die Tür und gießt Jesus teures, parfümiertes Öl über den Kopf. Damit hätte sie aktuell den Sicherheitsabstand von anderthalb Metern deutlich unterschritten. Überhaupt hätte das Essen gar nicht stattfinden können.

Die Geschichte geht aber noch weiter. Die Jünger sagen: „Dieses Öl ist ein Jahresgehalt wert. Wir hätten es verkaufen sollen. Das Geld hätten wir den Armen spenden können.“ Jesus antwortet ihnen: „Ihr könnt für die Armen immer spenden. Ich werde bald nicht mehr da sein. Die Frau hat richtig gehandelt.“

Ich habe lange mit dieser Geschichte so recht nichts anzufangen gewusst. Jetzt in der Corona-Zeit kann ich sie neu verstehen.

Für mich steckt in der Geschichte von der Frau ohne Namen die Lebensfreude, die wir alle unter normalen Umständen haben. Wir gehen raus, treffen Freundinnen und Freude, machen einander Geschenke. In dieser Geschichte steckt aber auch, wie plötzlich die Stimmung kippen kann. Jesus sagt: „Ich bin bald nicht mehr da.“ In diesen Tagen höre ich diese Worte als Echo auf unsere Situation, in der wir zu Hause bleiben sollen. Eben haben wir das Leben noch mit anderen gefeiert. Jetzt geht das nicht mehr.

Eine Fülle von Selbstverständlichkeiten gehen nicht mehr: Freundinnen und Freunde zu treffen, Spazieren gehen, Bummeln in der Stadt. Im Januar habe ich noch auf einer Fortbildung mit Kolleginnen und Kollegen darüber geredet, was Fülle überhaupt ist. Da war Corona noch weit weg in China. Und wir haben damals diskutiert und keine Antwort gefunden. Heute, drei Monate später, merke ich: Ich hatte die Fülle und momentan fehlt sie mir.

Wenn ich so nachdenke: Ich kann mich gut einreihen bei den Jüngern, die nicht sehen wollen, dass Jesus bald weg sein könnte. Die davon ausgehen, dass sich nie etwas ändert. Die nicht damit rechnen, dass die Fülle mal wegbricht.

Leben in Fülle trotz allem.

Wissen Sie, ich will die Parallelen zu heute nicht auf Biegen und Brechen herstellen. Aber gerade dieses Jahr finde ich diese Geschichte so passend für unsere Lage.

Viele Menschen rufen mich im Moment an und erzählen mir, um wen sie Angst haben. Sie fühlen sich von der Situation überfordert. Und ich kann nur sagen: Ja, ich verstehe das. Für mich ist es auch nicht leicht, immer die Ruhe zu bewahren. Ich sorge mich auch um ältere Verwandte. Und ich merke natürlich auch an mir, dass ich im Moment sage: „Das ist keine schöne Zeit.“ So nur in den eigenen vier Wänden.

Trotzdem sagt mir die Geschichte von Jesus und der Frau etwas. Sie lehrt mich Dankbarkeit für die Menschen, die mir geschenkt sind. Die Frau, die Jesus mit dem duftenden Öl etwas Gutes tut, lässt ihre Dankbarkeit raus. Vielleicht, weil sie auch weiß: Morgen kann es schon zu spät dafür sein.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich möchte Ihnen keine Angst machen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Meine Nachbarin ist Anfang 70. Sie ist Witwe, hat aber beim Tanzen einen Mann kennengelernt. Ganz lieb nennt sie ihn „meinen Partner.“ Er ist Mitte 70 und die beiden genießen die Zeit miteinander sehr. Ich habe sie mal gefragt: „Warum ziehen Sie nicht zusammen?“ Sie hat mir gut gelaunt geantwortet: Nein, wissen Sie, wir sind beide schon alt. Wir haben beide schon ein Haus gebaut, eine Ehe geführt. Jetzt gönnen wir uns das Schöne. Irgendwann geht einer von uns dann zuerst.

Das fand ich am Anfang überraschend, aber: Klar. Stimmt! Da spricht viel Lebenserfahrung aus ihr. Diese Lebenserfahrung lässt sie ihr Glück und ihre Dankbarkeit erst richtig genießen. Die Zeit jetzt ist für beide natürlich trotzdem ein schmerzlicher Einschnitt, da sie sich nicht besuchen können. Aber damit haben sicher auch diese beiden Menschen nicht gerechnet. Jetzt telefonieren sie täglich, hat sie mir erzählt.

Heute ist es nicht üblich, sich mit Öl zu parfümieren. Aber wenn sie allein leben: Man kann Freundinnen und Freunde anrufen. Und die Eltern freuen sich, endlich mal regelmäßig von Ihnen zu hören! Und in der Familie oder mit der Partnerin: Versuchen sie doch mal wieder ein Brettspiel! Oder lesen sie einander vor! Und eines ist ja sicher: Irgendwann werden wir auch wieder vor die Türen gehen können.

Auch die Geschichte von Jesus und seinen Jüngern hört ja auch nicht an Karfreitag auf, wenn sie ihn ans Kreuz schlagen.. Sie geht bis Pfingsten. Da werden sie von Gottes Kraft erfüllt, öffnen die Türen und ziehen hinaus in die Welt.

In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund und zuversichtlich bis die Türen sich wieder öffnen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30670
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