SWR3 Gedanken

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30MRZ2020
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„Wenn jeder an sich selber denkt ist an alle gedacht.“ Diesen Spruch habe ich schon immer gehasst. Eine zynische Umschreibung für rücksichtslosen Eigennutz. Hauptsache ich hab meine Schäfchen im Trockenen. Wer nach mir kommt, der hat Pech gehabt. Klar, solche Leute gab‘s schon immer, aber im Moment fallen gerade die besonders unangenehm auf, die sich unsolidarisch und asozial verhalten. Durch Hamsterkäufe etwa oder unnötige Parties.

Und dennoch glaube ich, dass das nicht die Mehrheit ist. Ich höre und lese auch von den vielen jungen Leuten, die gerade unerwartet viel Zeit haben und ein Teil dieser Zeit für andere investieren wollen. Schulen und Unis haben dicht gemacht und viele von ihnen kommen gerade nicht weiter. Und statt rumzuhängen engagieren sie sich. Nicht alle, klar, aber immerhin viele von ihnen. Helfen etwa mit, wo sich Menschen nicht mehr raus zum Einkaufen trauen, weil sie besonders gefährdet sind. Sie sind die andere Seite, leben Solidarität. Christen nennen es auch Nächstenliebe.

Ich glaube, wie eine Gesellschaft wirklich tickt wird erst dann so richtig deutlich, wenn es mal eng wird. Wenn eine heftige Krise plötzlich alle betrifft. Wenn Solidarität mit den Schwachen mehr denn je zuvor gefragt ist. Ja, wenn sie sogar lebenswichtig wird.

Und ich hoffe und bete, dass unsere Solidarität auch dann noch anhält, wenn die Gefahr irgendwann vorüber ist. Denn dann werden sie all jene dringend brauchen, die ihr Geschäft und ihre Existenz verloren haben. Wie großartig wäre es, wenn der Satz dann lauten würde: „Wenn jeder auch an den anderen denkt, erst dann ist wirklich an alle gedacht.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=30627
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