SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

23JUN2019
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Ich singe für mein Leben gern. Doch von Weihnachten bis Ostern war meine Singstimme weg. Sie hat einfach nicht mehr funktioniert. Statt Töne kam nur ein Krächzen oder heiße Luft. Ich singe eigentlich jeden Tag. Für mich zu Hause und auch in Chören. Deshalb war das wirklich bitter, dass ich meinen Mund halten musste, wenn alle anderen gesungen haben.

Erst dachte ich, das wird schon von allein wieder. Doch nichts hat sich getan. Es war, als würde ich irgendwie feststecken und allein kam ich nicht raus aus meinem Problem. Eine tolle Logopädin hat mir dann geholfen und jetzt ist meine Stimme wieder wie früher.

In der Bibel erzählt der 40. Psalm, wie einer auch richtig im Schlamassel feststeckt und wie er wieder rauskommt: „Unbeirrt habe ich auf den Herrn gehofft, auf seine Hilfe habe ich gewartet. Er hat mein Schreien gehört und hat mir geholfen. 3 Ich sah mich schon im Grabe liegen, ich sah mich im Sumpf versinken; doch er hat mich herausgezogen und mich auf Felsengrund gestellt. Jetzt kann ich wieder sichere Schritte tun. 4 Ein neues Lied hat er mir in den Mund gelegt, mit dem ich ihn preisen kann, ihn, unseren Gott. Viele sollen es hören und sehen; dann nehmen sie den Herrn wieder ernst und schenken ihm ihr Vertrauen.“

Das hört sich nach echten Problemen an, was dieser Mensch durchgemacht hat, nicht nur nach Unannehmlichkeiten, wie in meinem Fall. Er war wie in einem Sumpf gefangen und jeder Versuch, sich selbst zu befreien, hat ihn nur tiefer einsinken lassen. Er scheint in Lebensgefahr gewesen zu sein. Und ein Glück ist es gut ausgegangen, sodass er nun allen davon erzählt. Er packt die Geschichte, wie er gerettet worden ist, in ein Lied. Dazu inspiriert ihn Gott. Und es ist ein Loblied geworden. So froh und dankbar ist er: „Gott hat ein neues Lied in meinen Mund gelegt, mit dem ich ihn preisen kann“, so sagt er.

Ich weiß nicht, wie Gott ihm geholfen hat. Vielleicht durch einen Fachmann oder eine Fachfrau, wie in meinem Fall. Gott hat ja viele Möglichkeiten, einzugreifen.

Die Gefahr ist gebannt und seine Unsicherheit ist nun mit einem Mal weg: „Jetzt kann ich wieder sichere Schritte tun“ sagt er. Ich kann das so gut nachvollziehen, wie es ist, wenn man wieder sicheren Boden unter den Füßen hat. So habe ich mich auch gefühlt, als ich das erste Mal wieder im Gottesdienst gesungen habe und die Stimme gehalten hat.

Dieses Loblied vergisst der Sänger bestimmt sein Leben lang nicht mehr. Er will es auch gar nicht vergessen, sondern anderen vorsingen. Denn er hat jetzt eine Botschaft: „Verliere nicht den Mut, auch wenn Du mächtig in Schwierigkeiten steckst. Rufe nach Gott. Er hat Wege, Dir zu helfen.

Von manchen Ereignissen nimmt man ein Lied mit, das man nie mehr vergisst:
der Hit aus dem Schullandheim, das Mottolied eines Kirchentags, das Schlaflied des ersten Kindes. Es kann aber auch ein Lied nach einer tiefen Krise sein. So eines steht in der Bibel, im 40. Psalm. Was genau passiert ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur: Jemand war in einer aussichtslosen Lage und ist gerettet worden. Darüber hat er ein Lied geschrieben, ein Loblied auf Gott.

Was ihm passiert ist, vergisst er bestimmt nie mehr. Und mit diesem Lied macht er nun anderen Mut, nicht zu verzweifeln, sondern um Hilfe zu rufen. Er hat nun ein Lebenslied, das immer mit ihm geht und das er auch überall singen will. Denn er gibt bekannt: „Ich will mir meinen Mund nicht stopfen lassen.“

Viele haben ihr Lebenslied, eine Melodie, in der sie schwingen. Bei manchen ist es fröhlich und mitreißend. Bei anderen klingt es eher melancholisch und doch wunderschön. Wieder andere klingen nach Ärger und Wut. Das tut mir immer leid, wenn jemand so verbittert ist. Gegen so eine Verbitterung singt der Sänger aus der Bibel an. Er erzählt von seiner Erfahrung und macht damit anderen Mut.

Die Schwaben sagen manchmal: „Die Stroph isch gsonge“ wenn etwas unumkehrbar ist. Übersetzt für Nichtschwaben: Die Strophe ist gesungen.
Für den Sänger gilt das nicht. Er gibt nicht auf. Er singt auch gegen Mutlosigkeit an. Übrigens war nach seiner Krise nicht alles immer einfach. Wenn man den Psalm 40 zu Ende liest, tauchen da neue Schwierigkeiten auf. Doch davon will er sich nicht runterziehen lassen, sondern dranbleiben an seinem Glauben und an der Hoffnung, dass Gott ihn nicht im Stich lässt. Dazu macht er auch anderen Mut, indem er schreibt: „Doch alle, die deine Nähe suchen, sollen über dich jubeln und glücklich sein.“ Jetzt würde man denken, der letzte Satz des Psalms ist bestimmt so ein Jubel-Satz. Doch gerade da klagt er Gott nochmal seine Schwierigkeiten: „Ich bin arm und wehrlos; Herr, vergiss mich nicht! Du bist doch mein Helfer und Befreier, mein Gott, lass mich nicht länger warten!“ Sein Lied ist also kein reines Loblied, sondern da kommt auch Klage drin vor und Ungeduld. Das macht ihn in meinen Augen glaubhaft. Denn ich kenne niemanden, bei dem immer alles rund läuft. Es bleibt ein Loblied, aber keines, das die Schwierigkeiten unter den Teppich kehrt. Er bekennt die Probleme offen und ehrlich. Er macht anderen Mut und sucht dann selbst wieder bei Gott die Bestätigung, dass er eben nicht scheitern wird, sondern Gott ihm hilft. 

Er singt sein Lied voller Leidenschaft. Und was kann schöner sein, als ein Lied, das anderen Mut macht? Gemeinsam mit Gott überwindet er die Sumpflöcher, die sein Leben mit sich bringt.
Ich lasse mich gerne von Lobliedern anderer inspirieren. Mir hilft es, zu hören, wie andere mit ihren Schwierigkeiten umgegangen sind und wie Gott ihnen geholfen hat. Dabei erkenne ich, dass Gott für mich da ist. Und immer wieder erlebe ich es auch ganz praktisch. So wie neulich, als ich auf die fähige Logopädin gestoßen bin und seitdem wieder mit Leidenschaft singen kann.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. Vielleicht mit einem Lied auf den Lippen.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=28888
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