Anstöße sonn- und feiertags

Anstöße sonn- und feiertags

Es gibt Menschen, die lassen sich auch noch vom größten Missgeschick inspirieren – also: vom Geist leiten:
Es ist Sonntag und eine Kollegin von mir hält einen Gottesdienst. Grade ist sie auf die Kanzel gestiegen - eine ziemlich hohe Kanzel - da macht sie eine ungeschickte Bewegung und… -  die Bibel fällt von der Kanzel herunter. Aber nicht einfach so – plumps, und da liegt sie. Nein, weil es ihre alte Gebrauchsbibel ist, schon arg mürbe, löst sie sich im Flug in Tausend Seiten auf, die dann sanft auf die Gemeinde herabschweben.

Die Pfarrerin hält die Luft an und schaut den Blättern hinterher… Dann gibt sie sich einen Ruck und sagt:
„Liebe Gemeinde, das tut mir furchtbar leid! Aber ich will es mal als Zeichen nehmen. Ich werde meiner Bibel folgen und zu Ihnen herunter kommen.“   Und dann fängt sie an, die Bibelseiten aufzulesen. Und während sie die Blätter zusammensammelt, erzählt sie der Gemeinde, wie die Bibel einmal entstanden ist:

-Wie viele Jahrhunderte es gebraucht hat, bis die Geschichten, Lieder und Berichte sich so zusammengefügt haben, dass daraus eine Bibel geworden ist.
-Und wie zuvor - in ganz frühen Zeiten - alles nur mündlich überliefert worden ist, von Generation zu Generation.
-Und wie sie oft am Lagerfeuer gesessen haben, dabei, und die Alten haben erzählt und die Jungen haben zugehört. Und das war für sie vermutlich spannender als jeder Sonntagskrimi heute im Fernsehen.
-Ja, und wie sie diese Geschichten dann irgendwann gesammelt und aufgeschrieben haben. Und dass zu manchen Geschichten unterschiedliche Varianten gesammelt wurden - was halt so passiert, wenn man Geschichten lange nur weitererzählt.
-Und wie es dann, viel später, ein großes Kirchentreffen gegeben hat. – Das ist jetzt auch schon 1700 Jahre her. Und wie sich die ersten Christen dann darauf geeinigt haben, was in die Bibel aufgenommen wird, und was nicht.

Das alles erzählt die Pfarrerin, während sie Blatt für Blatt ihre Bibel wieder einsammelt. Als sie fertig ist, sagt sie: „Und jetzt haben wir erlebt, wie schnell auseinanderfällt, was so lange gebraucht hat, um zusammenzuwachsen.“
Am Ende fanden fast alle, es sei ein sehr inspirierender Gottesdienst gewesen. Vom Geist geleitet, eben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24789
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