SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Die Menschen haben Böses im Sinn – von Kindheit an. Gott selber soll das gesagt haben – steht ziemlich am Anfang in der Bibel. Aber stimmt das wirklich?

Vielleicht kommt es auf die Betrachtung an. Wenn ich zum Beispiel die Nachrichten von Terroranschlägen höre, dann fällt es mir nicht schwer, es auch so zu sehen. Die Menschen: einfach nur böse. Von Jugend an.

Aber es gibt auch andere Beispiele. Neulich im Großraumwagen im IC von Köln nach Koblenz. Freitagnachmittag. Der Zug war brechend voll. Dann war die Klimaanlage offenbar defekt. Wenn der Zug fuhr, dann ging es noch einigermaßen. Aber dann blieb er eine Viertelstunde lang stehen. Auf offener Strecke. So viele Menschen auf engstem Raum – und in dem war es heiß und stickig. Doch niemand hat sich aus der Ruhe bringen lassen. Ein nicht mehr ganz junger Mann in schickem Anzug und mit braungebrannter Glatze hat im Mittelgang gestanden und umwerfend gute Laune verbreitet. Ein junges Mädchen ist geduldig stehengeblieben, obwohl sie ein Recht auf einen Platz gehabt hätte. Ein Mann ist dann einige Zeit vor dem nächsten Bahnhof aufgestanden und hat ihr seinen Platz gegeben. Sie hat verlegen gesagt: Ich hätte ja jemanden auffordern können, aufzustehen. Aber das ist doch assig!

Eine Zufallsbeobachtung. Aber eine, die mir gefallen hat. So können Menschen zueinander sein. Menschen, die sich nie vorher gesehen haben und sich wahrscheinlich nie wieder sehen werden. Einfach die Situation hinnehmen, wie sie eben ist. Mit freundlichen Worten, einem Lachen. Es einander leichter machen. So geht es auch.

„Die Menschen haben Böses im Sinn von Jugend auf“, steht in der Bibel. Gott selbst hat das gesagt, entsetzt über die Menschen, die er doch geschaffen hat. Es hat ihm weh getan, was aus seinen Geschöpfen geworden ist, erzählt die Bibel. Gott hat all die Bosheit, Gemeinheit und Niedertracht auf der Erde gesehen. Da hat er es vierzig Tage und Nächte regnen lassen. Die Sintflut.

Gott war die Menschen leid. Das Trachten ihrer Herzen ist einfach böse von Anfang an. Nur Noah und seine Familie und die Tiere durften überleben. Dann ist die Sintflut vorbei. Nun tut es Gott doch leid, dass er die Flut geschickt hat. Er beschließt: Das war das erste und letzte Mal. Es soll nie wieder eine Flut geben, die alles zerstört. Denn – das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.

Dieselbe Begründung wie für die Flut! Jetzt ist es die Begründung dafür, dass es nie wieder so eine Sintflut geben soll. Alles ertränken und zerstören: damit ändert sich eigentlich nichts. Können wir uns denn überhaupt ändern? Auch wenn es so aussieht, als wäre es längst zu spät? Davon mehr nach der Musik.

II

„Die Menschen haben Böses im Sinn von Jugend auf.“ In der Bibel ist das die Begründung für die Sintflut. Aber so wird auch begründet, dass es nie wieder so eine schlimme Flut geben soll. Darüber habe ich eben in den SWR4-Sonntagsgedanken mit Ihnen nachgedacht. Anscheinend gibt Gott die Hoffnung nicht auf. Die Menschen können sich ändern. Gott mag seine Menschen. Er will, dass sie leben. Gut leben.

Manchmal unterhalte ich mich mit Leuten, die irgendwie verbittert sind. Böse auf alle und alles. Menschen, die lieber allein sein wollen. Da muss man auf keinen Rücksicht nehmen. Sich nicht anpassen und freundlich sein.

Wenn ich solchen Menschen zuhöre, dann merke ich: Sie haben so viel zu erzählen. Davon, dass es ihnen nicht immer gut gegangen ist. Wie andere Menschen sie enttäuscht haben. Wie sie Menschen verloren haben. Und damit auch ihre Freude am Leben. Und ich spüre: Es tut ihnen gut, dass sie das endlich einmal jemandem erzählen können.

Diesen Sommer ist ein Film aus Frankreich in unsere Kinos gekommen, der von so einem Menschen erzählt. Einem einsamen alten Mann, den alle schwierig finden. Und der sich auch alle Mühe gibt, schwierig zu sein! Dieser Monsieur Henri hat einen Sohn, Paul, den er verachtet. Der schickt seinem Vater eines Tages die junge Studentin Constance als Untermieterin. Constance hat bisher das Gefühl, eine völlige Versagerin zu sein. Sie ist kurz davor, richtig abzurutschen. Sie bleibt bei dem alten Grantler, weil sie nicht weiß, wo sie sonst hinsoll. Eines Tages setzt sie sich einfach an sein Klavier, obwohl er es ihr streng verboten hat. Das Klavier seiner verstorbenen Frau. Constance spielt wunderschön. Erinnerungen steigen in Henri hoch. Die tun ihm weh. Aber ihr Spiel bringt in ihm etwas zum Klingen, das er ganz tief in sich versteckt hat. Das niemand mehr sehen sollte. Constance fasst Vertrauen und fängt an, den Alten zu verstehen. Sie vertraut sich ihm an. Erzählt ihm, wie man ihr das Klavierspiel schlechtgemacht hat. Spricht über ihre Angst, es nicht zu schaffen.  

Henri begreift, was ihr fehlt. Er zeigt ihr, dass er ihr eine schwere Prüfung zutraut, zu der sie selbst nie den Mut gehabt hätte. So lernt Constance, dem Leben zu trauen. Und erkennt, dass sie keine Versagerin sein muss. Das hat der alte Mann geschafft, der doch so böse war auf die ganze Welt.

Die Menschen haben Böses im Sinn von Jugend an? Ja, das stimmt wohl. Das stimmt auch. Unsere Schatten gehören zu uns. Aber in der Bibel geht die Geschichte nach der Sintflut mit dem Regenbogen weiter. Der ist Gottes Einladung an seine Menschen, voller Vertrauen zu leben. So wird das Böse weniger. Probieren Sie es aus!

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22909
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