Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Manchmal, wenn man unsere Politiker so hört, könnte man meinen: Das Christentum sei eine Religion der Alteingesessenen, der Sesshaften. Eine Religion der Mehrheit im Lande, die ihre Kultur und Religion gegenüber anderen verteidigen muss. Gegenüber Einwanderern, Fremden vor allem. Aber: Wenn ich in die Bibel schaue, dann lese ich da etwas ganz anderes. Ich lese wenig von alteingesessenen Gläubigen, sondern: von Gläubigen in der Fremde. Schon im Alten Testament beginnt ein Bekenntnis zur Religion des Abraham mit den Worten: „Mein Vater war ein heimatloser Aramäer" (Dtn 26,5). Und im Neuen Testament wird das aufgegriffen. Da heißt es: „Aufgrund des Glaubens hielt sich Abraham als Fremder im verheißenen Land ... auf und wohnte mit Isaak und Jakob in Zelten." (Hebr 11,8) Jüdische wie auch christliche Religion: Sie ist deshalb im Grunde eine Religion der Migrantinnen und Migranten. Eine Religion, die dadurch auch eine besondere Vorliebe hat für Menschen, die heimatlos sind, ihre Heimat verlassen haben. Schon im Alten Testament heißt es: „Wenn ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen." (Lev. 19,33-34) Heute ist der Internationale Tag der Migrantinnen und Migranten. Eine gute Gelegenheit könnte so ein Tag sein, sich wirklich auf jüdische und christliche Tradition zu besinnen. Ein Tag, an dem ich ganz bewusst nicht misstrauisch auf Fremde zugehe. Nicht erst einmal das Gefährliche sehe in dem Menschen, der anders aussieht, andere Kleidung trägt, eine andere Religion hat als ich. Sondern das, was mich mit ihm verbindet. Das Heimatlose, die Sehnsucht nach Heimat oder eben auch: das Erbe das Abraham, die religiösen Wurzeln, die Christentum und Judentum und Islam miteinander verbinden. „Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst." Das ist, zugegeben, eine ziemliche Herausforderung. Aber es ist eben auch die wirkliche jüdisch-christliche Tradition.

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