SWR2 Wort zum Tag

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Lina Kromer, die Bauermagd und Lyrikerin aus Obereggenen im Markgräfler Land, hat eines ihrer Gedichte bescheiden mit dem Wort „Spruch" überschrieben. Darin sagt sie: „Wer du auch bist / und was du tust / nach einem such allein / in unsres Daseins / dumpfem Wust: / Ein Mensch, / und nur ein Mensch zu sein."[1]
Das klingt nach einer einfachen Botschaft: Sei ein Mensch, das ist wichtiger als Erfolg und Macht und Größe. Sieh im Anderen den Menschen - jenseits aller Zuschreibungen wie angesehen oder bedeutungslos, arm oder reich, behindert oder nicht behindert, einheimisch oder fremd. Sei menschlich, heißt diese Botschaft.
Sie klingt einfach, und sie ist es wohl auch. Und doch kann das Einfache am schwersten sein. Wir müssen danach suchen, Mensch zu sein, sagt Lina Kromer - suchen im Wust des Daseins, wo der Mensch von den Dingen beherrscht wird und sie zum Höchsten erhebt und wo im „wirren Geschling" die Grenzen von Gut und Böse zerfließen.[2] Sich und dem anderen fremd ist der Mensch, ein „Bruder Namenlos", ein herbergs- und heimatloser Wanderer in der Nacht.[3]
Die mühselige Suche nach dem Menschen zieht sich durch das ganze dichterische Werk Lina Kromers. Es ist die Suche nach dem Sinn des Lebens. Es ist die Suche nach dem Licht - angesichts der unausweichlichen Vergänglichkeit, des unablässigen Stroms von Werden und Vergehen. Angesichts der dunklen Verstrickungen in Schuld. Dieses Suchen nach Licht macht einsam und löst Spott aus. „Man rechnet, misst und zählt. / Man lächelt, überlegen, leise ...,: / ‚Du Narr! Bring für dein Licht Beweise, / dann kannst du wieder gehen.'"[4]
In ihrem Gedicht „Gesicht im Strom" findet Lina Kromer ein Wort für dieses Licht: Es ist „das Kreuz von Holz, nicht behauen, nicht poliert"[5]. Im Kreuz sieht sie die Nähe Gottes in der ungeschönten, harten Wirklichkeit des Lebens. Im Kreuz sieht sie auch die Nähe von Mensch zu Mensch -  in dunkelster Stunde, wo die Herzen einander erkennen[6]. Das Kreuz ist ein anderes Wort für Liebe. Liebe ist das Licht, ist der Sinn, auf den hin wir unterwegs sind - ein Leben lang. Liebe ist das Wunder, das den Mensch zum Menschen macht. Sie lässt uns ahnen, was das heißt: der Mensch sei ein Widerschein Gottes.
Es ist nicht unsere Leistung, es ist ein Geschenk, um das wir beten müssen: „Du bist! Du bist! Lass uns doch werden - Du Licht des Lichts - ein Widerschein", so spricht Lina Kromer Gott an. Ja noch viel mehr sagt sie: Wo der Mensch zur Liebe findet, wo er zum Menschen wird, da kommt Gottes Sein zur Vollendung: „Du bist! Du bist! Doch hier auf Erden / vollendet einmal sich Dein Sein."[7]


[1]Lina Kromer, „Spruch", in:Nur ein Mensch zu sein. Ausgewählte Gedichte, 1979, 2. Aufl. 1989, 17.
[2]Dies., „Der Mensch und das Ding", in: a.a.O. 159.
[3] Dies., „An Bruder Namenlos", in: a.a.O. 71.
[4]Dies., übers. nach „Gesicht im Strom", in: a.a.O. 122.
[5]Dies., übers. nach „Gesicht im Strom", in: a.a.O. 125.
[6]Dies, „Man kennt sich lange ...", in: a.a.O. 26.
[7]Dies., „Du bist! Du bist!", in: a.a.O. 173.

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