Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ich habe alle Medikamente von meinem Mann aufgehoben", erzählt mir eine Patientin im Krankenhaus, deren Mann an einem Tumor gestorben war. „Die kann ich dann nehmen, wenn es so weit ist." 
„Was meinen Sie damit: Wenn es so weit ist?" frage ich.
„Naja", sagt sie, „wenn ich mal nicht mehr leben möchte oder mein Sterben abkürzen will, dann habe ich schon vorgesorgt. Und das ist ein gutes Gefühl.
Denn ich will meinen Tod selbst bestimmen."
Den Tod selbst bestimmen - das ist ein Wunsch, den ich als Seelsorgerin immer öfter höre. Und ich kann ihn auch verstehen, wenn man - wie diese Frau - Schlimmes mit angesehen hat. Oder wenn man dieses Schreckensbild vor Augen hat, nur noch an Apparaten zu hängen und ungefragt am Leben gehalten zu werden...- Das ist schon ziemlich Angst einflößend...
Auf der anderen Seite: was hilft es eigentlich, das Sterben selbst zu bestimmen?
Dahinter steckt ja das Bedürfnis, die Kontrolle zu behalten, bis zuletzt.
Eine Frau, die von Berufs wegen Sterbende begleitet, fragt:
Wird da nicht gewaltsam etwas abgebrochen, wenn jemand die letzte Strecke seines Lebensweges nicht gehen will? Und sind die wirklich so frei, die das wollen?
Denn eins ist doch klar: da findet ein Machtkampf statt zwischen dem Ich, das die Kontrolle behalten will, und der Notwendigkeit, sein Leben loszulassen. - Denn so ist das nun mal im Sterben: da muss ich alles loslassen, was mein Ich ausmacht, mein ganzes Leben.
Dieser Machtkampf kostet Kraft und Lebensqualität.
Menschen, die entschlossen sind, den Tod vorwegzunehmen, versäumen den Reichtum an Erfahrungen, die man durchaus noch in der letzten Phase des Lebens machen kann. Denn wo Sterbende einwilligen und geschehen lassen, erleben sie erfahrungsgemäß: Es gibt etwas, das über mich hinausgeht. Etwas, wo mein Ich nicht mehr wichtig ist. Und doch ist dort so etwas wie Glück.
Natürlich habe ich keine Ahnung, wie sich das Sterben anfühlt, oder was ich in meiner Verzweiflung alles tun würde. Doch eines weiß ich: Vertrauen hilft mir mehr als Angst.

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