SWR3 Gedanken

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In seinen Tagebüchern stellt der Schweizer Schriftsteller Max Frisch eine Menge kluger Fragen. Zum Beispiel diese: „Sind Sie sich selbst ein guter Freund?“
Ina ist eine gute Freundin. Für die anderen. Sie kann gut zuhören und ist immer hilfsbereit. Man kann mit ihr Pferde stehlen und sich unbedingt auf sie verlassen. Deswegen ist Ina auch beliebt. Eine gute Freundin eben.
Eines Tages bricht Ina zusammen. Sie zittert, sie heult. Kann nicht mehr aufhören. Kommt ins Krankenhaus. Dort entdeckt man die Narben an ihren Unterarmen. Viele, kleine Narben. Von vielen, kleinen Verletzungen. Die sich Ina selbst zugefügt hat.
Ihre Freunde sind entgeistert. Sie ist doch immer so fröhlich und ausgeglichen. Was fehlt ihr bloß? In den langen Gesprächen nach dem Zusammenbruch stellt sich heraus, dass ihr Freundschaft fehlt. Und zwar die zu sich selbst. Ina ist jedermanns Freund. Nur nicht ihr eigener. Sie ist mit sich selbst todunglücklich. Und wenn sie in den Spiegel schaut, sieht sie einen Menschen, dem sie am liebsten aus dem Weg gehen würde.
Mit der Zeit fängt Ina an, eine Freundschaft zu sich selbst aufzubauen. In der Bibel findet Ina einen Satz, der ihr auf diesem Weg ein Begleiter wird. Im 139. Psalm heißt es: Ich danke dir, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele. Und wenn Ina inzwischen in den Spiegel schaut, sieht sie einen Menschen, mit dem sie es gern zu tun hat. Einen liebenswerten und wertvollen Menschen. Und dieses Gefühl will sie nie wieder verlieren.
Max Frisch fragt: „Sind Sie sich selbst ein guter Freund?“. Meine Antwort: Wenn Gott mich wunderbar gemacht hat, bin ich es wert, geliebt zu werden. Nicht zuletzt von mir selbst. Das gelingt nicht immer gut. Manchmal kann ich mich selbst nicht ausstehen. Manchmal bin ich mir eben kein guter Freund. Aber dennoch ist es gerade diese Freundschaft wert, dass ich an ihr arbeite.
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