SWR3 Gedanken

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Mittagspause in einem gut besuchten Lokal. Das Paar am Nachbartisch zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Sie gestikulieren mit beiden Händen, unterhalten sich offensichtlich miteinander. Aber es ist kein Ton zu hören.

Die beiden gehören zu der Gruppe von gehörlosen Menschen, von denen es in unserem Land circa 80.000 gibt. Den Betroffenen sieht man das nicht an. Deswegen spricht man von einer „unsichtbaren Behinderung“. Aber auch wenn es Gehörlosen schwer fällt, mit ihrer Umgebung zu kommunizieren, haben sie sehr wohl ihre eigene, vielschichtige und sehr lebendige Kommunikation.

Die beiden am Nachbartisch verständigen sich mit Gebärden. Die Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache, die 175 Jahre lang unterdrückt wurde. Weil man der Meinung war, gehörlosen Menschen das Sprechen anerziehen zu müssen. Erst seit 2002 ist die Gebärdensprache mit dem Behindertengleichstellungsgesetz als vollwertige Sprache amtlich anerkannt, wird die Barrierefreiheit auch für Gehörlose zum gesellschaftlichen Standard erhoben.

Und die Gehörlosen sind zu Recht stolz auf ihre Sprache. Noch immer bin ich fasziniert von den fliegenden Händen am Nachbartisch. Und von den sprechenden Gesichtern. Denn eines ist bei der Gebärdensprache wichtig. Man muss einander ansehen. Gehörlose können sich nicht miteinander unterhalten, ohne einander wahrzunehmen. Und allein davon können auch Hörende etwas lernen.

Morgen ist der Internationale Tag der Gehörlosen. Seit Mitte der 70er Jahre wird er in Deutschland begangen. Gehörlosenverbände machen auf die Situation von Menschen mit der „unsichtbaren Behinderung“ aufmerksam. Und werben für die Gebärdensprache. Die Menschen so ausdrucksstark und engagiert kommunizieren lässt wie die beiden Gehörlosen am Nachbartisch.

Die beiden brechen auf. Unsere Blicke treffen sich. Wir lächeln einander zu. Kein Ton ist zu hören. Und dennoch ist Achtung und Sympathie im Raum. Und ich denke so bei mir, dass eben nicht nur der Körper Ohren hat, sondern auch die Seele.
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