SWR2 Wort zum Tag

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Hermann Hesses Gedanken über das Alter beschäftigen mich immer wieder. Sie bringen eine Saite in mir zum Schwingen, die häufig stumm ist; denn es ist nicht selbstverständlich und auch nicht ganz leicht, sich mit dem eigenen Älterwerden ehrlich auseinander zu setzen. Es geht dabei ja nicht um theoretische Fragen, sondern um mich selbst und um den Sinn des eigenen Lebens.
Bei Hesse lese ich: „Auf eine menschenwürdige Art alt zu werden und jeweils die unserem Alter zukommende Haltung […] zu haben, ist eine schwere Kunst.“ Man ist „mit seinem Alter nicht immer auf einer Stufe, man eilt innerlich oft voraus, und öfter bleibt man hinter ihm zurück. – das Bewußtsein und Lebensgefühl ist dann weniger reif als der Körper, wehrt sich gegen dessen natürliche Erscheinungen, und verlangt etwas von sich selber, was er nicht leisten kann.“1 Dabei geht es nicht nur um die Grenzen der physischen Leistungsfähigkeit, es geht auch um Erwartungen, die sich nicht erfüllt haben, um Ziele, die nicht erreicht worden sind und die sich auch nicht mehr erzwingen lassen. Am allerwenigsten lässt sich die Antwort auf die Frage erzwingen, welchen Sinn das Leben hat. Dass mein Lebensgefühl dadurch manchmal etwas durcheinander gerät, dafür muss ich mich nicht schämen.
Das ist allerdings nicht nur eine Frage des Älterwerdens. Ich erlebe auch jüngere Menschen, denen die Zukunft abhanden gekommen zu sein scheint und die von Angst besetzt sind. Die Krise unserer Gesellschaft, von der zur Zeit viel die Rede ist – ist sie nicht vor allem eine Krise des Vertrauens darauf, dass trotz bedrückender Erfahrungen überall Spuren von Sinn zu finden sind, Chancen des Neuen? Man muss allerdings offen dafür sein.
Hermann Hesse sagt: „Erst im Altwerden sieht man die Seltenheit des Schönen, und welches Wunder es eigentlich ist, wenn zwischen Fabriken und Kanonen auch Blumen blühen und zwischen Zeitungen und Börsenzetteln auch noch Dichtungen leben.“2 Und weiter heißt es: „Für den, der alt geworden ist, war das Suchen ein Irrweg und das Leben verfehlt, wenn er nichts […] über ihm und seinen Sorgen Stehendes, nichts Unbedingtes oder Göttliches zu verehren gefunden hat“, in dessen Dienst er sein Wirken stellt und das seinem Leben Sinn gibt.3
Ist das eine Alterssicht auf das Leben? Ja, aber es ist auch eine junge Sichtweise, weil sie nicht resigniert ist, sondern dem Überraschenden, der Hoffnung, der inneren Freiheit Raum gibt.

1 Hermann Hesse, Mit der Reife wird man jünger. Betrachtungen und Gedichte über das Alter, hrsg. v. Volker Michels, Frankfurt/M.-Leipzig 1990 (insel taschenbuch 2311), 54 f., 50 f. (1952).
1 Hermann Hesse, Mit der Reife wird man jünger. Betrachtungen und Gedichte über das Alter, hrsg. v. Volker Michels, Frankfurt/M.-Leipzig 1990 (insel taschenbuch 2311), 90 (1953); 54 f. (1952).
2 A.a.O. 79 (1953).
3 Vgl. a.a.O. 80 (1953).
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6146
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