SWR4 Abendgedanken

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01DEZ2021
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Man sollte mir keine Gutscheine schenken!

Ich habe eine ganze Schublade mit Gutscheinen darin. Beim Aufräumen fallen sie mir wieder in die Hand. Und machen mir gleich ein schlechtes Gewissen. Ein Gutschein für eine Massage. Ein Gutschein für ein Essen in einem Lokal. Ein Gutschein für einen Theaterbesuch.

Manche Gutscheine sind schon etwas älter. Ich habe sie mal zum Geburtstag bekommen oder beim Abschied aus einem Amt. Und dann hatte ich keine Gelegenheit, sie gleich einzulösen. Mittlerweile sind sie wahrscheinlich wertlos. Und bei einigen habe ich auch vergessen, von wem ich den Gutschein einmal geschenkt bekommen habe.

Gutscheine sind so etwas wie in die Zukunft verlagerte Geschenke. Eigentlich sogar nur Teilgeschenke: Der Geber hat schon dafür bezahlt. Nun muss die Beschenkte ihren Teil dazu beitragen und sich irgendwann drum kümmern, dass der Gutschein eingelöst wird.

Auf den ersten Blick sieht es nach sehr viel Freiheit aus. Ich kann mir aussuchen, wann ich das Geschenk einlöse. Und ich habe mich auch jedes Mal sehr über den Gutschein gefreut.

Aber jetzt liegen sie fast alle ungenutzt in der Schublade, und ich merke: Mich macht das nicht frei, so wie es die Schenker einmal geplant hatten, sondern es engt mich ein.

Angesichts meiner Schublade mit den vielen Gutscheinen denke ich an das Bibelwort aus dem Buch der Prediger. Darin heißt es: Alles hat seine Zeit.

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit.

Der Prediger zählt noch eine ganze Reihe Dinge auf – immer in solchen Gegensatzpaaren. Und mir sagt das, dass es für viele Dinge den richtigen Zeitpunkt gibt, Und wenn der Zeitpunkt verstrichen ist, dann ist etwas anderes dran.

Ich denke, das gilt auch für Gutscheine, und der Bibeltext könnte weitergehen: Schenken hat seine Zeit. Beschenkt werden hat seine Zeit. Ich nehme mir vor, Gutscheine nicht mehr aufzuheben, sondern immer so bald wie möglich einzulösen, weil ich sie dann – zu ihrer Zeit – auch wirklich genießen kann.

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