SWR3 Gedanken

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16OKT2021
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Als Kind war ich von Schnecken fasziniert: mit ihren ein- und ausfahrbaren Augen und ihren lustigen Häuschen. Doch diese Leidenschaft hat irgendwann ihr trauriges Ende gefunden. Mit neun oder zehn bin ich barfuß auf einer Nacktschnecke ausgerutscht. Seit diesem Moment waren für mich die kleinen Kriechtiere einfach nur noch schleimig und eklig. Bis zu diesem Jahr, mein kleiner Sohn hat nämlich Schneckensuchen zu seinem neuen Lieblingshobby erklärt. Wie seine Augen leuchten, wenn er eine in einer Mauernische findet oder wie er anfängt zu kichern, wenn eine auf seiner Hand aus dem Haus gekrochen kommt. Ich steh daneben und kriege plötzlich auch große Augen. Was es da alles gibt: Weinberg- oder Leopardenschnecken, mit gelben oder mit spitzen Häusern. Und das Witzigste dabei: die haben alle gar kein Bauch, die tragen ihren Kopf direkt auf den Füßen. Ich hätte nie gedacht, dass ich meine Meinung über diese Tierchen ändern würde. Das hat dieser kleine Mann geschafft: dass ich als erwachsener und gebildeter Mensch Schnecken jetzt mit anderen Augen sehe. Und wie ist das eigentlich so generell? Es kann schon Spaß machen, mal was anders zu sehen als bisher. Bei den Schnecken hat es funktioniert. Vielleicht schaffe ich das auch bei anderen Sachen. Bei meinem Stadtteil zum Beispiel, den ich noch so langweilig finde, oder meiner neuen Kollegin, die erstmal komisch auf mich wirkt.

Gott hat so viel Geniales in die Welt gelegt. Manchmal sehe ich das aber nicht. Dann brauch ich jemanden wie meinen Sohn, der staunen kann. Mit ihm zusammen kann ich wieder mehr sehen. Er hat mich überzeugt: Schnecken sind wow!

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