SWR2 Wort zum Tag

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25SEP2021
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„Mahlzeit!“ ruft mir eine Frau zu. Es ist kurz vor halb zwölf, ich stehe am Eingang unseres Gemeindehauses und die ersten Gäste kommen, um im großen Saal ein Mittagessen einzunehmen.

Ich kenne sie gut. Sie kommt schon seit Jahren. Früher hat sie in einem Handwerksberuf gearbeitet. War fest angestellt. Aber dann kam eines zum anderen. Eine schwere Krebserkrankung. Körperliche Langzeitfolgen. Der Verlust der Arbeitsstelle. Eine bleibende Arbeitsunfähigkeit. Die viel zu geringe Erwerbsminderungsrente. So dass sie auch ihre Eigentumswohnung nicht mehr halten konnte. Seitdem lebt sie von Hartz-IV. Und sie weiß, da wird sie nie mehr herauskommen.

„MahlZeit“ heißt auch das Sozialprojekt, das hier im Martin-Luther-King-Haus an der Gedächtniskirche in Speyer für Menschen, die bedürftig sind, an vier Tagen in der Woche ein warmes Essen anbietet: Menschen, die in der Armutsklemme stecken. Mit Hartz IV-Bezug, Rentner, Alleinstehende mit zu geringem Einkommen, Obdachlose. Alle bekommen eine vollständige Mahlzeit mit Vorspeise, Salat, Hauptspeise und Nachtisch. Für 1 Euro. Aus Wertschätzung für das Essen wie der Bedürftigen gleichermaßen.

Das ist auch der Frau wichtig. Dass sie nicht als Almosenempfängerin und Mensch 2. Klasse behandelt wird. Diese Erfahrung macht sie oft genug. Aber hier bei der Kirche sei das zum Glück anders. Dafür ist sie dankbar.

Für Menschen wie sie ist die „MahlZeit“ wichtig. Nicht nur wegen des Essens. Sondern besonders auch wegen der Begegnung mit anderen. Der Gemeinschaft, die man erfährt. Das tut gut. Sie weiß, sie ist mit ihrem Schicksal nicht allein. So wie auch der Rentner mit der nicht ausreichenden Rente. Für ihn wie für viele andere ist die Begegnung „Therapie“ gegen die Einsamkeit. Anderen gibt der „MahlZeit“-Termin eine feste Struktur für den Tag.

Darum ist das „Z“ in der „MahlZeit“ groß geschrieben. Weil beides gleich wichtig ist: Das Mahl und die Zeit. Beim Essen miteinander ins Gespräch zu kommen, sich auszutauschen, zu erfahren, anderen geht es auch so. Einen Raum, einen Ort, eine Zeit haben. Miteinander und Füreinander. Auch mit den über 30 Ehrenamtlichen, die sich hier engagieren.

Sozialprojekte wie dieses können die Armut nicht beseitigen. Aber Not lindern. Und Leib und Seele stärken. Wenigstens einmal am Tag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33958
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