SWR3 Gedanken

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13AUG2021
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Alles liegt da. Sofa, Tisch, Matratze, Fernseher, Fotoalben, Teller, Schuhe, Bücher, alles zusammengeschoben zu einem Berg. "Das war mein Leben", flüstert sie, „ich hab nichts mehr“. Um die vierzig mag sie sein. Eine derjenigen, die nach der Flut-Katastrophe auf diese Berge sehen. Unterschiedlichste Dinge, nun alle gleich: schlammbraun.

Ich sage nichts, beschämt, dass ich noch ein Zuhause habe mit Wasser und Strom, mit Bett und Mann, der in Bad Neuenahr arbeitet, aber in seiner Zweitwohnung glimpflich davongekommen ist. "Was bin ich noch?", fragt sie, wie ein Gespenst in Gummistiefeln. Ihre Frage setzt sich fest. Was bin ich, ohne das, was ich zum Leben brauche, und ohne das, was dazu gehört, Fotos, Briefe, Erinnerungsstücke. Ganz zu schweigen von geliebten Menschen, die manche verloren haben.

"Was ist der Mensch?" fragt der Dichter Erich Mühsam 1914. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs, der sogenannten Urkatastrophe, schreibt er:
Was ist der Mensch?
Ein Magen, zwei Arme,
ein kleines Hirn und ein großer Mund,
und eine Seele – daß Gott erbarme! (…)
Was muß der Mensch?
Muß beten und lieben und fluchen und hassen,
muß hoffen und muß sein Glück verpassen –
und leiden wie ein geschundner Hund.

Wie viele leiden noch. Wie die Hunde. Und doch wie Menschen. Begleitet von denen, die für Magen, Mund und Seele sorgen – über Hilfseinsätze, Notfallseelsorge – und all jenen, die mithelfen, mitweinen, beten, zuhören. „Was bin ich noch?“ Antworten konnte ich dieser Frau nicht, nur Schulter an Schulter vor ihrem Trümmerberg stehen. Mit unserer Seele, dass Gott erbarme.

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