SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

14DEZ2020
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Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte oder Gesten. Das stimmt wirklich. Man kann viel sagen, nur mit einem Blick. Schon beim Begrüßen fängt es an.

Wir kennen ja viele Möglichkeiten, um uns zu begrüßen: Händeschütteln. Umarmen. Küsschen rechts. Küsschen links. Das alles geht aber halt gerade nicht. Klar, Abstand ist wichtig, weil er mich und andere schützt. Und trotzdem habe ich gemerkt: es fehlt mir. Aber mit Blicken kann man sich auch nahekommen.

Das haben wir gemerkt, als es in einem Gottesdienst um Hagar ging, eine Frau aus der Bibel. Sie wurde von ihrer eigenen Familie verbannt und buchstäblich in die Wüste geschickt. Mit ihrem Sohn. Eigentlich ziemlich aussichtslos, das zu überleben. Aber sie hat Wasser gefunden, mitten in der Wüste. Da hat sie verstanden: Gott hat mich gerettet. Deshalb hat sie von Gott gesagt: Du bist ein Gott, der mich sieht. Gott ist ihr ganz wortwörtlich auf Augenhöhe begegnet. Und das Leben von ihr und ihrem Sohn konnte weitergehen.  Gott hat Hagar und ihren Sohn gesehen und ist ihnen so begegnet. So ist Gott. Auch zu mir. Wenn Gott mich anschaut, dann ist das nicht abschätzig. Dann beurteilt er mich nicht. Wie ich aussehe, was ich mache, wie ich mein Leben lebe. Er sieht mich an, mit allem, was ich bin. Er sieht, was ich brauche, was mir guttut. Er sieht, wo ich verletzlich bin und wo meine Schwachstellen sind.

Im Gottesdienst haben wir uns dann kurz die Zeit genommen und haben uns gegenseitig mit Blicken begrüßt. Mich hat das in dem Moment total berührt, weil ich gemerkt habe: Ich brauche gar nicht unbedingt eine Berührung, um anderen nahe zu sein. Das geht auch mit einem Blick. Vielleicht sogar noch besser. Manchmal würde ich mir wünschen, dass auch die Mächtigen dieser Welt, sich genau so ansehen. Oder die Menschen sich überhaupt mehr ansehen würden.

Ich habe von der Frau in der Geschichte gelernt: Weil Gott mich so wohlwollend ansieht, kann ich das auch. Und das geht im Moment eigentlich besonders gut. Weil wir von vielen Menschen ja nur die Augen sehen. Probieren Sie es mal aus. Ich finde, dass da total viel zwischen zwei Menschen entsteht, wenn man sich anschaut. Mit einem Blick, der mehr ist als „nur“ sehen. Mit einem Blick, der sieht, wer der andere ist und was er oder sie braucht.

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