SWR4 Abendgedanken

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100.000 Frauen in Deutschland haben sich im vergangenen Jahr entschieden, ihre Schwangerschaft abzubrechen.

Mit diesen 100.000 Frauen möchte die katholische Kirche nichts zu tun haben. Man muss es so klar und deutlich formulieren. Für Frauen, die meinen, ihre Schwangerschaft nicht fortsetzen zu können, gibt es keine Begleitung seitens der katholischen Kirche. Und das ist seit zwanzig Jahren so.

Ein kurzer Blick zurück: 1999 hatte Papst Johannes Paul II die katholischen Bischöfe in Deutschland gezwungen, im Schwangerschaftskonfliktfall nicht mehr zu beraten. Denn am Ende der Beratung erhielten die Frauen bis dahin einen Beratungsnachweis, den sogenannten „Schein“. Dieser ermöglicht eine zwar rechtswidrige aber straffreie Abtreibung. Die Begründung des Papstes: Die Ausstellung des Scheines und der dadurch mögliche Schwangerschaftsabbruch würden das Zeugnis der Kirche für das Leben „verdunkeln“.  Es gibt die begründete Annahme, dass Leben mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle beginnt. Dem schließt sich die katholische Kirche an, wenn sie sagt, dass zu diesem Zeitpunkt die Seele in das neue Leben eingezogen ist – und damit hat Gott zu diesem Leben „Ja“ gesagt.

Die Anweisung aus Rom hat zu großer Empörung bei vielen Katholiken geführt. Denn Frauen in einer existentiellen Konfliktsituation Halt und Orientierung zu geben ist im Verständnis Vieler ein Seelsorge-Fall - und damit Kernauftrag der Kirche. Sie haben deshalb im September 1999 den Verein „donum vitae“ gegründet – übersetzt „Geschenk des Lebens“. Zu den Gründern zählten auch viele prominente Katholiken: Erwin Teufel, Annette Schavan und Winfried Kretschmann.

Donum vitae übernimmt bis heute die Begleitung von vielen tausend Frauen. Ob diese sich letztlich zur Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden, ist dabei offen – auch wenn die Beratung und Hilfestellung immer das Ziel hat, Leben zu ermöglichen. Gleichzeitig ist eines ebenso klar: Frauen sollen aus dem Gespräch zumindest die Ahnung, wenn nicht die Gewissheit mitnehmen, dass Gott sie nicht aus seiner Liebe fallen lässt. Auch wenn ihnen das Geschenk des Lebens eine Last ist, die sie womöglich nicht tragen werden.

Zu den am häufigsten genannten Gründen, weshalb Frauen in Deutschland eine Schwangerschaft abbrechen zählen seit Jahren die berufliche und finanzielle Unsicherheit. Und das ist – neben dem Ausstieg der Amtskirche - der zweite Skandal.

Kirche kann nur glaubwürdig Kirche sein, wenn sie sich ganz in den Dienst der Menschen stellt. In Krisen, in Not, im Konflikt. Das führt manchmal auch in die Abgründe menschlicher Existenz. Für den Schwangerschaftskonflikt gilt aller Erfahrung nach: Nur wenn man sich den Frauen in der Not zuwendet, gibt es überhaupt eine Chance sie für ihr Kind zu gewinnen.

Beim zwanzigsten Geburtstag von donum vitae werden wahrscheinlich keine Sektkorken knallen. Trotzdem ist gut, dass es diesen Verein gibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=29187
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